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PolitikPolen

Parlamentswahl in Polen: Chance für Oppositionsführer Tusk

Jacek Lepiarz (aus Warschau)
16. Oktober 2023

Die nationalkonservative Regierungspartei PiS bleibt die stärkste Kraft in Polen. Allerdings kann die demokratische Opposition mit einer Mehrheit im Parlament rechnen. Donald Tusk will das Land künftig wieder regieren.

Donald Tusk zeigt das Peace-Zeichen
Donald Tusk ist nach der Parlamentswahl in Polen "der glücklichste Mann" Bild: REUTERS

"Wir haben es geschafft, wirklich", rief der liberale polnische Oppositionsführer Donald Tusk nach der Schließung der Wahllokale am Sonntagabend. "Die schlimme Zeit ist vorbei, die Regierung der PiS ist beendet." Kurz nach der Veröffentlichung der Prognosen in Polen zeigte sich der Vorsitzende der Bürgerplattform (PO) siegessicher: "Demokratie und Freiheit haben gewonnen. Wir haben sie (die PiS - Anm.d.Red.) von der Macht verdrängt." Strahlend und sichtlich bewegt fügte er hinzu: "Ich bin der glücklichste Mensch auf der Welt."

Die erste Prognose wurde am Morgen nach der Wahl durch neue Zahlen des Meinungsforschungsinstituts IPSOS mit kleinen Korrekturen bestätigt. Demnach hat die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski, die seit acht Jahren das Land regiert, 35,4 Prozent der Stimmen gewonnen. Sie ist damit stärkste politische Kraft in Polen geblieben, hat aber die absolute Mehrheit verfehlt. Vor vier Jahren hatte PiS 43,6 Prozent der Stimmen und 235 Mandate gewonnen.  

Die von Tusk angeführte Bürgerkoalition KO, die außer seiner PO auch zwei kleinere Parteien, darunter die Grünen umfasst, erreichte 30,7 Prozent. Ihre potenziellen Koalitionspartner - der christdemokratische Dritte Weg und die Neue Linke - holten 14,4 Prozent, beziehungsweise 8,6 Prozent der Stimmen.

Tusk-Anhänger feiern die Prognose nach Schließung der Wahllokale: Die Bürgerkoalition (KO) liegt zwar mit 31 Prozent nur auf dem zweiten Platz, kann aber mit kleineren Parteien eine Koalition bildenBild: Omar Marques/Getty Images

Damit hätten die drei Parteien, die bereits im Wahlkampf für eine gemeinsame Regierung geworben hatten, eine Mehrheit von 248 Mandaten im 460 Plätze zählenden Unterhaus (Sejm) und könnten die PiS ablösen. Mit dem amtlichem Endergebnis ist erst am Dienstag zu rechnen.

Kaczynskis PiS hätte laut dieser Berechnung nur 198 Mandate. Ihr einziger eventueller Koalitionspartner, die ultrarechte Konfederacja Wolnosc i Niepodleglosc (Konföderation Freiheit und Unabhängigkeit), gewann 6,4 Prozent der Stimmen und kann mit 14 Mandaten rechnen. Mit einem libertären Wirtschaftsprogramm und antiukrainischen Parolen wollte die Partei am rechten Rand Stimmen fischen. "Wir haben eine Niederlage erlitten. Wir wollten den Tisch umwerfen und sind dabei gescheitert", gab einer ihrer führenden Politiker, der Rechtsaußen Slawomir Mentzen, am Wahlabend zu. 

Jaroslaw Kaczynski will weiter regieren

Trotz ungünstiger Zahlen war Kaczynski zunächst nicht bereit, das Handtuch zu werfen. Am Wahlabend in Warschau zeigte sich der 74-Jährige kämpferisch. Er bezeichnete das Wahlergebnis als einen "großen Erfolg" seiner Partei. Es sei "der vierte Sieg der PiS bei einer Parlamentswahl", unterstrich der rechtsnationale Politiker.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski zeigt sich am Wahlabend siegessicherBild: Aleksandra Szmigiel/REUTERS

"Wir lassen nicht zu, dass Polen verraten wird, dass Polen das verliert, was in der Geschichte der Nation am Wertvollsten ist - das Recht, über das eigene Schicksal selbst zu entscheiden", sagte er zu seinen Anhängern und fügte eine Bemerkung hinzu, die von der Opposition als Drohung verstanden wurde: "Vor uns liegen Tage des Kampfes und der Spannungen."   

Tusk ließ sich von solchen Äußerungen jedoch nicht einschüchtern und kündigte die baldige Aufnahme von Gesprächen über die Bildung einer Koalitionsregierung an, "sobald die Wahlergebnisse bestätigt sind". Der PO-Chef sei der "natürliche Kandidat" für das Amt des Ministerpräsidenten, sagte sein Parteifreund Cezary Tomczyk.

Ministerpräsident Mateusz Morawiecki (PiS) gibt am Sonntag (15.10.2023) seine Stimme abBild: Slawomir Kaminski/Agencja Wyborcza/REUTERS

Der 66-jährige Politiker, der bereits 2007-2014 das Land erfolgreich regiert hatte, hat gute Gründe, stolz auf seine Leistung zu sein. Das gute Wahlergebnis der PO ist vor allem sein persönlicher Erfolg. Erst im vergangenen Jahr war er aus Brüssel zurückgekehrt, wo er zuletzt die Europäische Volkspartei EVP geleitet hatte. Zurück in seiner Heimat stellte er die tief in der Krise steckende Partei neu auf und organisierte einen furiosen Wahlkampf. Dabei musste er gegen die brutale Hetze seitens der PiS bestehen, die ihn als "deutschen Kollaborateur" und "von Berlin und Brüssel gesteuert" diffamierte.

Polens Präsident Andrzej Duda ist am Zug

Alle Augen richten sich nun auf Staatspräsident Andrzej Duda. Er muss innerhalb von 30 Tagen die erste Sitzung des neuen Parlaments einberufen und dann in einer Frist von zwei Wochen einen von ihm bestimmten Politiker mit dem Auftrag betrauen, die Regierung zu bilden. Dieser muss dann innerhalb von weiteren 14 Tagen für sein Kabinett die Zustimmung des Parlaments bekommen. Scheitert er beim Vertrauensvotum, geht die Initiative an das Parlament über, das mit seiner Mehrheit einen Kandidaten zum Premier wählen kann. Das Verfahren kann sich bis Ende des Jahres hinziehen. In seinem ersten Auftritt nach der Wahl hielt sich der Präsident bedeckt. "Wir warten ruhig auf die Ergebnisse", sagte er am Montag (16.10.2023) am Rande seines Besuchs im Vatikan. 

Mehrere Politiker der Opposition appellierten an Duda, den Regierungsauftrag gleich an drei Oppositionsparteien zu übertragen, statt durch eine Beauftragung der PiS auf Zeit zu spielen. Doch Duda fühlt sich der PiS verbunden. Er wurde von ihr im Jahr 2015 für die Präsidentschaftswahl aufgestellt und hat in den vergangenen Jahren die Politik der Kaczynski-Partei offen unterstützt. Mit seinem Veto kann er der neuen Regierung das Leben schwer machen. Die nächste Präsidentschaftswahl steht erst 2025 an.

Ein Fan von Oppositionsführer Donald Tusk zeigt sich am Wahltag siegessicherBild: Rafal Oleksiewicz/AP/picture alliance

Eine künftige Koalitionsregierung unter der Führung der PO wird gegen eine starke Opposition bestehen müssen. Tusk kündigte im Wahlkampf an, dass er als Erstes die von der PiS zum Propagandainstrument der Regierung degradierten öffentlich-rechtlichen Medien zurückerobern will. Er will zudem diejenigen, die gegen die Rechtsstaatlichkeit verstoßen haben, zur Rechenschaft ziehen. Ein scharfer Konflikt mit den Nationalkonservativen ist damit programmiert.

"Polen kehrt auf den europäischen Pfad zurück"

Als wichtige Aufgabe betrachtet die demokratische Opposition eine Neuorientierung im Verhältnis zur EU. "Ziel der liberalen Regierung wird die Wiederherstellung der Rechtsstaatlichkeit sein, damit die eingefrorenen EU-Gelder aus dem Aufbaufonds endlich nach Polen fließen können", sagt Piotr Buras vom European Council on Foreign Relations (ECFR) der DW. "Unter Tusk wird die polnische Regierung zum konstruktiven Player in der EU, der die Beziehungen zu den wichtigsten Partnern verbessert und das Vertrauen in die proeuropäische Haltung Polens wiederherstellt", so der Politologe. "Polen kehrt auf den europäischen Pfad zurück", versichert auch Rafal Trzaskowski, Oberbürgermeister von Warschau und ein enger Vertrauter von Tusk.

In und vor den Wahllokalen herrschte reger Andrang - hier ein Wahllokal in WarschauBild: ALEKSANDRA SZMIGIEL/REUTERS

Die Wahl war in Polen auf großes Interesse gestoßen. Die Wahlbeteiligung betrug 72,9 Prozent - ein Rekordwert in der polnischen Geschichte seit der demokratischen Wende vor 34 Jahren. Im Juni 1989, als die Polen über die Abschaffung des kommunistischen Regimes entschieden, waren 62,7 Prozent der Wahlberechtigten zu den Urnen gegangen. Vor mehreren Wahllokalen in den Großstädten warteten auch nach Mitternacht noch viele Menschen, um ihre Stimme abzugeben. Sie wurden von Anwohnern mit belegten Broten, Pizza und Kaffee versorgt. Die staatliche Wahlkommission versicherte, dass jeder, der sich bis 21 Uhr anstellte, wählen dürfe. Manche Wahllokale in Krakau und Wroclaw (Breslau) schlossen erst am frühen Morgen. "Das war ein Fest der Demokratie. Die PiS musste zur Kenntnis nehmen, dass man nicht alles mit Geld kaufen kann", kommentierte der Soziologe Jerzy Flis. Er verwies auf die enorme Mobilisierung junger Wähler zwischen 18 und 29 Jahren, die zum Sieg der Opposition wesentlich beigetragen haben.

Der Artikel wurde mit den amtlichen Endergebnissen aktualisiert.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.
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