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Politik

Orbán zum Dritten?

7. April 2018

Viktor Orbán und seine Partei Fidesz werden die Parlamentswahl am Sonntag voraussichtlich gewinnen, nur die Höhe des Wahlsieges scheint fraglich. Ungarn und Europa müssen sich auf eine weitere Konfrontation einstellen.

Ungarn - Premierminister Viktor Orban spricht während der ungarischen Nationalfeiertage
Bild: Reuters/M. Djurica

Ungarn vor der Wahl

03:07

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In Ungarn fanden Wahlen seit der Wende 1989 schon immer in einer aufgeheizten Atmosphäre statt. Doch diesmal, vor der Parlamentswahl am Sonntag, ist das öffentliche Klima zugespitzt wie nie zuvor. Der national-konservative Ministerpräsident Viktor Orbán und seine Partei Fidesz sprechen von der "wichtigsten Wahl für Ungarn", bei der nichts weniger auf dem Spiel stehe als der Fortbestand der ungarischen Nation - die von "Migranten" und "internationalistischen Kräften" bedroht sei. Für die linken und rechten Oppositionsparteien hingegen geht es um die Rettung von Rechtsstaat und Demokratie.  

Selbst wenn man berücksichtigt, dass das die in Ungarn übliche Wahlkampfrhetorik ist: Es geht um sehr viel bei dieser Wahl. Für Ungarn ebenso wie für Europa. Denn Viktor Orbán ist in vielerlei Hinsicht ein europäischer Pionier. Vor allem ist er der erste Regierungschef eines EU-Landes gewesen, der einen sogenannten illiberalen Staat errichtet hat, in dem zahlreiche rechtsstaatliche und demokratische Mechanismen und Prinzipien nur noch formal gelten. Deshalb hat die Wahl, so klein das Zehn-Millionen-Land Ungarn erscheinen mag, eine große Bedeutung für Europa und die Europäische Union.  

Wahl ist "frei, aber unfair"

Der Wandel Ungarns ist bereits am Wahlsystem abzulesen: Gewählt werden 199 Abgeordnete, davon 106 in Einzelwahlkreisen in einem einzigen Wahlgang nach Mehrheitsrecht sowie 93 über Parteilisten nach einem komplexen Verhältniswahlrecht. Die Wahlkreise wurden bereits vor der letzten Wahl weitgehend auf die Bedürfnisse von Fidesz, der einzigen großen ungarischen Partei, zugeschnitten. Angehörige der ungarischen Minderheiten aus den Nachbarländern, die die ungarische Staatsbürgerschaft besitzen, dürfen für Parteilisten mitstimmen, auch über Briefwahl, während ungarische Staatsbürger, die im Ausland arbeiten, nur persönlich in Botschaften und Konsulaten wählen können. Wegen dieser und anderer Rahmenbedingungen sprechen unabhängige Wahlexperten davon, dass Wahlen in Ungarn "frei, aber unfair" seien, weil sie der Orbán-Partei schon vorab eine bessere Startposition sichern. Bei der letzten Wahl reichten 44 Prozent der abgegebenen Stimmen für eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Pro-Orbán-Kundgebung am 15. März, dem ungarischen Nationalfeiertag Bild: Reuters/M. Djurica

Es ist fraglich, ob Orbán und Fidesz diesen Erfolg von 2014 noch einmal wiederholen können. Kaum ein Wahlforscher wagt derzeit eine sichere Prognose, die Umfragen gehen zum Teil deutlich auseinander. Dem wahrscheinlichsten Szenario zufolge dürfte Fidesz eine absolute Mehrheit erreichen, eine Zwei-Drittel-Mehrheit jedoch verfehlen. Das wird wesentlich davon abhängen, in wievielen Einzelwahlkreisen die Oppositionsparteien sich auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können. Tun sie das nicht, dann steht Fidesz als Sieger quasi schon fest. Denn die Orbán-Partei ist allein fast schon so stark wie alle anderen Oppositionsparteien zusammengenommen. Sie hat nicht nur das größte, sondern auch das disziplinierteste Wählerlager.

Tamás: Ungarisches Parlament nur "leere Hülle"

Eine neue Zwei-Drittel-Mehrheit wäre für Viktor Orbán vor allem eine Prestigefrage und von großer symbolischer Bedeutung nach innen wie nach außen. Praktisch kann Orbán auf sie durchaus verzichten. Denn er hat Ungarn in den letzten acht Jahren seiner Herrschaft nahezu vollständig umgekrempelt und dazu auch seine bisherige Zwei-Drittel-Mehrheit ausgenutzt. Die öffentlich-rechtlichen ebenso wie die privaten Medien stehen überwiegend unter Kontrolle der Regierung oder von Fidesz-nahen Eigentümern. In der Staatsverwaltung fand ein vollständiger Elitentausch statt, an sämtlichen Schaltstellen der Justiz sitzen Orbán-treue Exekutanten. Selbst das ungarische Parlament sei nur noch eine "leere Hülle", weil es kaum noch tage, sagt der linke Philosoph und einstige antikommunistische Oppositionelle G.M. Tamás. Zudem habe Orbán die gesamte Regional- und Kreisverwaltung abschaffen lassen, so Tamás, zwischen Regierung und Ortsbürgermeister gebe es keinerlei Instanzen mehr.

Orbáns Macht ist so weitreichend und so langfristig zementiert, dass er theoretisch sogar in der Opposition der starke Mann Ungarns bleiben würde. Dennoch ist der Machterhalt für ihn eine essenzielle Frage. Denn es geht, wie die Opposition es ausdrückt, um das Überleben seines "Mafia-Staates". Das ist ein plakativer Ausdruck dafür, dass in den letzten Jahren Geschäftsleute aus Orbáns Familien-, Freundes- oder Parteiumfeld zu teils sagenhaftem Reichtum gelangt sind, häufig durch unsaubere, intransparente Methoden.

Starke Polarisierung

Unabhängige Experten finden den Begriff "Mafia-Staat" ungenau oder übertrieben. Der konservative Ökonom László Csaba von der Budapester Central European University sagt, Orbán regiere durch "Überreglementierung" und greife auch stark in die mittelständische Wirtschaft ein. Dass "Orbáns Oligarchen" auf diese Weise zu Reichtum gelangen würden, sei ein Phänomen, das in ähnlicher Weise überall in der Region zu finden sei. Der liberale Ökonom András Inotai hingegen spricht von einem "Vasallenstaat", in dem Orbán das Unternehmertum weitgehend von sich abhängig gemacht habe.

Über die zahlreichen mutmaßlichen oder auch erwiesenen Korruptionsaffären in Orbáns Ungarn hat sich in den letzten Monaten in der Öffentlichkeit immer mehr Unmut breit gemacht. Für die Opposition ist es eines der Hauptthemen im Wahlkampf. Orbán hingegen versucht, dem Unmut durch eine noch stärkere Polarisierung entgegenzusteuern: Wenn er nicht an der Macht bleibe, würde das Ungarntum zugrunde gerichtet und Ungarn untergehen.

Solche Rhetorik dürfte auch ein Ausblick darauf sein, was von Orbán und seiner Regierung im Falle eines neuen Wahlsieges zu erwarten ist - jedenfalls kaum Entspannung. Bereits nach der gewonnenen Wahl 2014 hatte Orbán die Fidesz-intern diskutierte Idee eines pragmatischeren politischen Kurses verworfen. Darauf müssen sich die Ungarn wohl auch jetzt wieder einstellen - genau wie Europa. 

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