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Politik

Parlamentswahlen trotz Drohungen

Hans Spross
20. Oktober 2018

In Afghanistan wird nach langer Verzögerung ein neues Parlament gewählt. Trotz Terrordrohungen, Gewalt und Unzulänglichkeiten gibt es auch Optimismus, dass "normale" Politik möglich wird.

Afghanistan Kabul Soldat vor Wahlplakat
Bild: picture-alliance/AP Photo/R. Gul

Bei den Parlamentswahlen an diesem Samstag handelt es sich um die dritten in Afghanistan seit dem Sturz des Taliban-Regimes 2001, nach 2005 und 2010. Damit findet der jetzige Urnengang mit dreieinhalb Jahren Verspätung statt. Alle Parlaments- und Präsidentschaftswahlen in Afghanistan, die eigentlich unter dem Vorzeichen eines "demokratischen Wiederaufbaus" stehen sollten, waren von Fälschungen und Unregelmäßigkeiten überschattet.

Vor allem die Wiederwahl Präsident Karsais 2009 ist als ein besonders krasses Beispiel für massive Manipulationen in unguter Erinnerung. Auch die bislang letzte Parlamentswahl 2010 enttäuschte die Erwartung eines demokratischen Neuanfangs, nicht zuletzt weil viele ehemalige Warlords und andere umstrittene Personen sich Sitze sichern konnten.

Einer von vielen bei Anschlägen auf Wahlveranstaltungen verletzten ZivilistenBild: Getty Images/AFP/N. Sadeq

Wahlen unter Terrorbedrohung

Nun soll also abermals ein Versuch gemacht werden, ein glaubhaftes und effektives Parlament zu etablieren, das die Unterstützung der Bevölkerung hat, auch als Botschaft an die Taliban. Diese haben jedoch klar gemacht, dass sie die Wahlen als "Pseudoveranstaltung zur Machterhaltung der Marionetten der Amerikaner" sehen und alles dafür tun wollen, um den Wahlprozess zu sabotieren, angeblich "bei äußerster Schonung von Leben und Eigentum afghanischer Zivilisten."

Laut UN-Angaben sind allein im ersten Monat nach Beginn der Wählerregistrierung im April dieses Jahres 86 Zivilisten durch Anschläge ums Leben gekommen. Vor Beginn der 20-tägigen Wahlkampfperiode Ende September wurden fünf Kandidaten ermordet, mindestens vier weitere nach Beginn des Wahlkampfs, zwei weitere wurden entführt. Die schlimmsten Anschläge der jüngsten Zeit sollen auf das Konto des IS in Afghanistan gehen.

Aufgrund der schlechten Sicherheitslage werden von ursprünglich geplanten rund 7300 Wahlzentren (mit mehreren Wahllokalen) im ganzen Land nur etwa 5000 geöffnet, außerdem werden in zwei Provinzen (Ghasni und Kandahar) und zehn Distrikten, darunter fünf in der Provinz Helmand, die komplett unter Taliban-Kontrolle sind, gar keine Wahlen abgehalten. Mehr als 50.000 Sicherheitskräfte sollen in den verbliebenen Wahlzentren jeweils einen dreifachen Sicherheitsperimeter errichten

Können junge weibliche Abgeordnete wie Maryam Sama Warlords und Dschidahisten Paroli bieten? Bild: Getty Images/AFP/W. Kohsar

Quoten und Wahlsystem

Um die 250 Sitze im Unterhaus (Wolesi Dschirga) bewerben sich rund 2500 Männer und Frauen (etwa 400), die genauen Zahlen sind unklar. Von den 250 Sitzen sind 68 für Frauen reserviert. Zehn Sitze sind für die knapp 170.000 Nomaden, ein Sitz ist für die winzige Minderheit der Hindus und Sihks reserviert.

Die 34 Provinzen entsenden entsprechend ihrer Bevölkerungszahl eine bestimmte Anzahl von Abgeordneten. Die größte Gruppe, 33 an der Zahl, kommt aus der Hauptstadt Kabul und 14 angrenzenden Distrikten. Die östliche Provinz Ghasni nimmt an der Wahl noch nicht teil. Dort muss noch der Proporz zwischen der nationalen Minderheit der Hasara, die in Ghasni in der Mehrheit sind, und den anderen Ethnien der Provinz geklärt werden.

Parteien spielen im afghanischen System eine untergeordnete Rolle. Acht Prozent der Kandidaten haben sich als Mitglied einer Partei registrieren lassen. Diese treten nicht mit einer Liste bei den Wahlen an, was bedeutet, dass alle Kandidaten als Einzelpersonen in eigener Sache ins Rennen gehen. Die Bildung von Fraktionen im Parlament ist zwar nicht verboten, spielte bislang aber keine Rolle.

Auf ein Problem für den demokratischen Neuanfang in diesem Zusammenhang weist der Politologe Faiz Mohammad Zaland von der Universität Kabul hin: "Die wichtigsten Parteien stehen unter der Führung von früheren Warlords wie Gulbuddin Hikmatjar und Rashid Dostum, die mit Demokratie und Menschenrechten wenig am Hut haben."

Parlamentskandidat Javid Faisal aus Kandahar. Dort wird die Wahl jedoch nach dem jüngsten Anschlag verschoben. Bild: Privat

Hoffnung auf Generationswechsel

Ausländische Beobachter und Kenner des Landes wie Markus Potzel, Sonderbeauftragter der Bundesregierung für Pakistan und Afghanistan, setzen ihre Hoffnung auf eine neue Generation von angehenden Politikern, die für einen Neuanfang sorgen könnten. Rund zwei Drittel der Kandidaten seien unter 40 Jahren alt, erklärte eine Sprecherin der unabhängigen Wahlkommission gegenüber der DW.

Ein bekannter ehemaliger Journalist, Samiullah Mahdi, glaubt, dass seine Erfahrungen als politischer Reporter ihm zugute kommen werden, sollte er in seinem Wahlkreis Kabul gewählt werden. "Afghanistans junge Generation hat eine wichtige Rolle bei der Entwicklung der Medien gespielt. Wenn diese Leute eine Chance bekommen, können sie auch die politischen Institutionen des Landes weiterentwickeln", sagt Mahdi gegenüber der DW.

Auch Javid Faisal ist einer der optimistischen jungen Nachwuchspolitiker. Er gab seinen Job als Sprecher des Regierungsgeschäftsführers Abdullah auf. "Meine Heimatprovinz Kandahar braucht eine bessere Vertretung im Parlament", sagt er zur Begründung. Was er nicht vorhersehen konnte: In Kandahar wurde die Stimmabgabe am Freitag nach der Ermordung des dortigen mächtigen Polizeichefs verschoben.

Hoffentlich wird es nicht allzu viele falsch bestückte Körbe mit Wahlzetteln geben Bild: Getty Images/AFP/H. Hashimi

Schatten der Korruption und Fälschung

Trotz des Optimismus vieler jungen Kandidaten hängt auch über dieser Wahl der Schatten der Korruption und Fälschung. Das beginnt schon bei der Registrierung der Wähler. Die Zahl von offiziell gemeldeten rund 8,9 Millionen registrierten Wählern ist laut den Experten des Afghanistan Analysts Network "zu schön, um wahr zu sein." Insbesondere die Tatsache, dass aus Provinzen mit weitaus schlechterer Sicherheit als Kabul eine höhere Registrierung gemeldet wurde als aus der Hauptstadt, macht mehr als skeptisch. Und dass Stimmenkauf auch bei diesen Wahlen im Vorfeld an der Tagesordnung war, hatte die DW bereits im Juni gemeldet.

"Wichtig ist, dass die Wahlergebnisse für die Bevölkerung akzeptabel sind, dass heißt, dass Wahlbetrug möglichst begrenzt wird", so die Erwartung des EU-Botschafters in Afghanistan, Pierre Mayaudon. Die EU selbst entsendet allerdings nur drei Wahlbeobachter nach Afghanistan, um die Fairness der Wahlen zu begutachten. Insgesamt ist die Präsenz internationaler Wahlbeobachter laut AAN so niedrig wie noch nie seit 2001.

Allerdings wollen innerafghanische Organisationen rund 6500 Wahlbeobachter entsenden. Die Unterstützung durch die Regierung schien noch Anfang Oktober nicht unbedingt gegeben zu sein, wie Yusuf Rashid vom "Free and Fair Election Forum of Afghanistan" gegenüber der DW sagte: "Organisationen wie unsere warten noch auf die Zusage der Unterstützung von Regierungsseite, um Tausende Beobachter in die verschiedenen Wahlzentren zu entsenden. Wir werden versuchen, unsere Freiwilligen vor Ort zu haben, aber eine richtige Kontrolle, ob die Wahl korrekt verlaufen ist, wird es nicht geben."

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