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"Parteiverbot ist kein Gesinnungsverbot"

17. Januar 2017

Die Verfassungsrichter halten die NPD für zu unbedeutend, um sie zu verbieten. In der Begründung geben sie aber Hinweise, wann die Schwelle zur Verfassungswidrigkeit überschritten ist. Von Marcel Fürstenau, Karlsruhe.

Deutschland Karlsruhe Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu NPD-Verbot
Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle: "Der Parteiverbotsantrag hat keinen Erfolg"Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

Das Urteil sei "sehr lang" geworden, sagt Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle (im Bild oben) und bittet höflich um Geduld. Auf zwei Stunden Verlesung müssen sich die Verfahrensteilnehmer sowie interessierte Zuhörer und Journalisten einstellen. Zum Auftakt präsentiert Voßkuhle erst einmal die "Einführung zur Urteilsverkündung in Sachen 'NPD-Verbotsverfahren'". Und darin steht natürlich der entscheidende Satz, auf den alle warten: "Der Parteiverbotsantrag des Bundesrates vom 1. Dezember 2013 hat im Ergebnis keinen Erfolg."

In der Einführung findet sich auch die denkbar kürzeste Begründung für diese Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes: Demnach ist der Zweite Senat einstimmig der Auffassung, dass die NPD zwar verfassungsfeindliche Ziele verfolge. Aber es fehle ihr derzeit an "konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass ihr Handeln zum Erfolg führt". Was die sieben Richter darunter verstehen, tragen sie in der 298 Seiten umfassenden Begründung vor.   

NPD-Parteizentrale in BerlinBild: picture-alliance/dpa/M. Gambarini

Es ist die Zustandsbeschreibung einer Partei, die seit Jahren auf dem absteigenden Ast ist. "Die Wahlergebnisse stagnieren bei Europa- und Bundestagswahlen auf sehr niedrigem Niveau", lautet ein Satz. Es folgen die Fakten: 1,6 Prozent der Stimmen bei der Bundestagswahl 2013. Halbierung des Anteils von sechs auf drei Prozent bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern 2016. Dadurch ist die NPD in keinem einzigen Parlament mehr vertreten. "Anhaltspunkte für eine künftige Veränderung dieser Entwicklung liegen nicht vor."

Sinkende Mitgliederzahlen

Auch andere Kennziffern lassen das Gericht von einer "erheblichen Beschränkung der Aktionsmöglichkeiten" der NPD ausgehen: Sie hat kaum mehr als 5000 Mitglieder gegenüber 28.000 im Jahr 1969, als die rechtsextremistische Partei bei der Bundestagswahl mit 4,3 Prozent ihren Höhepunkt erreichte.

Immer wieder beziehen sich die Richter auf Erkenntnisse aus der mündlichen Verhandlung im März 2016. Etwa auf die Einschätzung eines Sachverständigen, die NPD sei eine "isolierte, geächtete" Partei. Deren Kampagnenfähigkeit, "soweit man überhaupt davon reden könne", habe in den vergangenen Jahren abgenommen. Die fehlende Schlagkraft will die NPD nun aber zurückgewinnen. Parteichef Frank Franz ist mit dem Urteil natürlich "sehr zufrieden" und will es "gebührend feiern". Er spricht von einer "Stigmatisierung" seiner Partei durch das Verbotsverfahren.

NPD-Chef Frank Franz: "Der Makel ist weg"Bild: Reuters/K. Pfaffenbach

Nun aber sei der "Makel" der Verfassungswidrigkeit weg und die NPD werde "politisch wieder angreifen". Dass sie dabei erfolgreich sein wird, halten zumindest die Verfassungsrichter für unwahrscheinlich. Zwar versuche die Partei, "die Flüchtlings- und Asylproblematik für ihre Zwecke zu instrumentalisieren". Allerdings agiere sie dabei häufig nicht im eigenen Namen, "sondern unter einem Dach neutral erscheinender Organisationen wie der Bürgerinitiative 'Nein zum Heim' in Sachsen". 

Keine "Atmosphäre der Angst"

Beispiele wie dieses, von denen sich in der Urteilsbegründung viele finden, provozieren den Widerspruch der Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner. Das Gericht verkenne die Wechselwirkung zwischen der NPD und dem, "was die rassistische Hetze zur Tat werden lässt". In der Urteilsbegründung heißt es hingegen, eine "Atmosphäre der Angst" könne durch das Handeln der NPD nicht festgestellt werden. Auch eine Verbindung zu "Kameradschaften" und sonstigen Gruppen der "freien Szene" sieht das Gericht nicht. Die würden sich nicht als "verlängerter Arm" der NPD darstellen, "sondern agieren autonom".

Zu der gegenteiligen Einschätzung war der Bundesrat gekommen, bevor er den Verbotsantrag gegen die NPD stellte. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Lorenz Caffier (CDU), der fest mit einem NPD-Verbot gerechnet hat, lässt sich seine Enttäuschung über das nun ergangene Urteil zumindest nicht anmerken. Der von ihm maßgeblich unterstützte Antrag sei eine "wichtige und gute Entscheidung" gewesen, sagt er noch vor dem Verlassen des Gerichtssaals.

Die amtierende Bundesratsvorsitzende Malu Dreyer (SPD) bedauert die Entscheidung der Verfassungsrichter auch deshalb, weil die NPD im Rahmen der Parteienfinanzierung nun weiter auf staatliche Gelder hoffen darf. Deshalb werde man über dieses Thema "sprechen müssen". Als die NPD noch in mehreren Landesparlamenten vertreten war, kassierte sie mehrere Millionen Euro Steuergelder.

"Dem Nationalsozialismus wesensverwandt"

Als "nicht unerwartbar" bezeichnet hingegen Renate Künast (Grüne) das Urteil. Die Vorsitzende des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag gehörte von Anfang an zu den Gegnern des Verfahrens. "Wir sitzen hier über die Falschen zu Gericht", sagt Künast und schließt sich der Auffassung des Gerichts über die fehlende Relevanz der NPD an. Der Kampf gegen Rassismus ist ihres Erachtens vor allem gegen die islamfeindliche Pegida-Bewegung und die Alternative für Deutschland (AfD) zu führen.

Die NPD wird nicht an die Kette gelegt, wie Demonstranten vor dem Gerichtsgebäude hofften Bild: DW/M. Fürstenau

An diesem Tag in Karlsruhe geht es aber um die Beurteilung der NPD. Unter Verweis auf ihr Programm und öffentliche Äußerungen ihrer Funktionäre attestieren ihr die Verfassungsrichter eine "Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus". Ein Potenzial zur Beeinträchtigung oder gar Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung können sie indes trotz allem nicht erkennen. Nur dann wäre gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes ein Parteiverbot zulässig. Auf Einschüchterung, Bedrohung oder den Aufbau von Gewaltpotentialen müsse mit den "Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden".

Für ein Verbot aber ist die NPD nach Überzeugung des Bundesverfassungsgerichtes schlicht zu unbedeutend und ungefährlich. Konkrete und gewichtige Anhaltspunkte, die darauf hindeuteten, "dass die NPD die Grenzen des zulässigen politischen Meinungskampfes überschreitet", lägen nicht vor. Deshalb betont Gerichtspräsident Voßkuhle: "Das Parteiverbot ist kein Gesinnungs- oder Weltanschauungsverbot."

 

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