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Partner auf Augenhöhe

9. Februar 2012

Seit dreißig Jahren verbindet das Bundesland Rheinland-Pfalz eine Partnerschaft mit Ruanda. Was als eher ungewöhnliches Projekt begann, ist inzwischen zu einem Erfolgsmodell der Zusammenarbeit geworden.

Schüler der Schule Rulindo, Ruanda, Partnerschule von Nastätten, Rheinland-Pfalz Coyright: Hanne Hall / Innenministerium Rheinland-Pfalz
Bild: Innenministerium Rheinland-Pfalz

Initiator der Zusammenarbeit mit dem zentralafrikanischen Staat war der damalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Bernhard Vogel. Im Jahr 1982 gründete er die Partnerschaft durch einen offiziellen Briefwechsel mit dem damaligen ruandischen Außenminister Francois Ngarukiyintwall. Vogels Idee: Das Bundesland Rheinland-Pfalz wollte seine beschränkten Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit auf ein einziges Partnerland konzentrieren. Weil es bereits Kontakte auf kirchlicher Ebene gab und beide Länder eine vergleichbare Größe haben, wurde Ruanda gewählt.

Von der Nähwerkstatt bis zum Solarkraftwerk

Seitdem wurden in dem zentralafrikanischen Land über 1700 Projekte mit insgesamt 68 Millionen Euro aus Rheinland-Pfalz gefördert. Ein Fünftel der Gelder stammt aus privaten Spenden. Die Palette der seit 1982 durchgeführten Maßnamen ist erstaunlich breit. Sie reicht vom Schulbau über die Ausbildung von Ärzten, Ingenieuren oder Feuerwehrleuten bis hin zum Umweltschutz. So wurde im Rahmen der Partnerschaft zusammen mit den Mainzer Stadtwerken das größte Solarkraftwerk Afrikas in der Nähe der ruandischen Hauptstadt Kigali gebaut. Das Photovoltaik-Kraftwerk produziert seit 2007 pro Jahr 325.000 Tonnen Solarstrom und erspart der Umwelt Jahr für Jahr den Ausstoß von 300 Tonnen Kohlendioxid (CO2). Neben großen Projekten wie diesem gibt es aber auch hunderte kleinerer Projekte, die das Leben der Menschen in Ruanda verbessern. So förderte die rheinland-pfälzische Kleinstadt Frankenthal über Jahre hinweg die Näherinnenwerkstatt einer Frauenkooperative im ruandischen Nyamirambo. Die überwiegend HIV/AIDS-positiven Frauen erhielten eine technisch-praktische Ausbildung und Nähmaschinen, um ein Kleidungsgeschäft zu betreiben, das seitdem zu ihrer Existenzgrundlage geworden ist.

Grundschulkinder in Rwanzuki: 205 Schulpartnerschaften gibt es zwischen Ruanda und Rheinland-PfalzBild: Partnerschaftsverein Rheinland-Pfalz/Ruanda

Zusammenarbeit auf vielen Ebenen

Getragen wird die Partnerschaft vom Engagement der Bürger und Bürgerinnen in Rheinland-Pfalz. Gegenwärtig unterhalten über 50 Kommunen, eine etwa gleichgroße Zahl von Vereinen und Stiftungen, 15 Pfarrämter, vier Hochschulen und über 200 Schulen Beziehungen zu ruandischen Partnern. Ein Netzwerk, das über die Jahre gewachsen ist und von dem der amtierende rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck sagt: "Wir bezeichnen das als Graswurzelpartnerschaft. Es ist keine Partnerschaft zwischen zwei Regierungen, sondern eine der Menschen untereinander."

Eine Nähmaschine trägt zur künftigen Existenzsicherung beiBild: Innenministerium Rheinland-Pfalz

So besteht seit nahezu 24 Jahren eine kommunale Partnerschaft zwischen dem rheinland-pfälzischen Nastätten und dem ruandischen Distrikt Rulindo. Über die Jahre wurden zahlreiche Projekte in der Gesundheitsversorgung und über Schulpartnerschaften realisiert. Im Jahr 2010 fiel in Rulindo der Startschuss für das  Baumpflanzungsprogramm "One tree per child", bei dem jeder Schüler in Ruanda einen Baum auf dem Gelände seiner Schule pflanzen durfte. 30.000 Euro hatte das Land Rheinland-Pfalz als Zuschuss für dieses Projekt bewilligt, ein Vielfaches an Spendengelder kam inzwischen dazu. Die neuen Baumbestände sollen einerseits dem Erosionsschutz dienen, andererseits kann mit den gepflanzten Obstbäumen auch die Nahrungssituation der Schulkinder in Ruanda verbessert werden. Jedes Kind ist für das Züchten und Gedeihen eines Setzlings verantwortlich, ausgebildete Agronomen beraten die Schulen bei der Durchführung des landesweiten Programms.

Hilfe zur Selbsthilfe

Die Entscheidungen über geeignete Entwicklungsmaßnahmen werden in Ruanda selbst getroffen. Die rheinland-pfälzische Landesregierung stellt lediglich einen Teil der Finanzmittel zur Verfügung. Mindestens zehn Prozent der Mittel werden von den jeweiligen Partnerorganisationen im Bundesland aufgebracht. Zur Weiterleitung der Hilfsgelder, der Beurteilung und Betreuung der Projekte wurde in Rheinland-Pfalz ein Partnerschaftsverein gegründet. Ihm untersteht ein Koordinationsbüro in der ruandischen Hauptstadt Kigali, in dem deutsche Entwicklungsfachkräfte zusammen mit ruandischen Ortskräften den Fortgang der Projekte kontrollieren und darauf achten, dass alle zur Verfügung gestellten Mittel auch bestimmungsgemäß eingesetzt werden. Dieses Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe erlaube eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe, sagt Ruandas Botschafterin Christine Nkulikiyinka: "Die Ruander selbst bestimmen, welche Bedürfnisse sie haben, wo Bedarf besteht, was sie gerne machen möchten und die Rheinland-Pfälzer unterstützen sie dabei."

Botschafterin Nkulikiyinka und Ministerpräsident Kurt BeckBild: Staatskanzlei Rheinland-Pfalz/Stefan Sämmer

Genozid als Belastungsprobe

Ihre bislang härteste Bewährungsprobe musste die Partnerschaft nach dem Genozid in Ruanda im Jahr 1994 bestehen. Bei dem Völkermord an der Tutsi-Minderheit verloren innerhalb von 100 Tagen fast eine Million Tutsis und Hutus ihr Leben. Viele Beziehungen und Kontakte rissen durch den Tod oder die Flucht der bisherigen Partner ab. Ministerpräsident Kurt Beck, seit 1994 im Amt, erinnert sich noch gut daran, wie intensiv seine Rheinland-Pfälzer damals nach verschwundenen Briefpartnern und Kontaktpersonen regelrecht gefahndet haben. "Es wurde nachgeforscht, ob Menschen – was ja auch vorkam - zu Unrecht inhaftiert wurden. Wir haben uns bemüht, bei der Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit in Ruanda zu helfen und haben entsprechende Fachleute dorthin geschickt." Trotz der schrecklichen Ereignisse dieser Jahre und mancher Schwierigkeiten habe sich die Partnerschaft gerade in dieser Zeit der Not als tragfähig erwiesen, resümiert Christine Nkulikiyinka aus heutiger Sicht: "Auf allen Ebenen, ob in den Schulen oder auf Gemeindebene, überall haben die Rheinland-Pfälzer, die einen Partner in Ruanda hatten, mitgelitten", sagt die Botschafterin im DW-Gespräch. Doch beim Mitleid bleib es nicht: "Sie waren aber auch sehr schnell bereit, uns zu helfen und beim Wiederaufbau zu unterstützen."

Der Völkermord in Ruanda war eine Belastungsprobe für die PartnerschaftBild: picture-alliance/dpa

Es gibt noch viel zu tun

Für die nächsten dreißig Jahre haben sich die Partner wieder viel vorgenommen. Aus einigen Fehlern der Vergangenheit hat man gelernt. Ein Stipendien-Programm für ruandische Hochschüler hat man inzwischen eingestellt, weil zu viele der Hochqualifizierten später nicht in ihr Heimatland zurückgekehrt sind. Stattdessen will man in Zukunft vor allem auf Partnerschaftsprojekte im Bereich der beruflichen Bildung setzen. Auch über genossenschaftliche Projekte zur Vermarktung landwirtschaftlicher Güter oder handwerklicher Produkte denkt man verstärkt nach. Alle vier Jahre trifft sich eine gemeinsame Kommission auf Regierungsebene, um über Schwerpunkte in der künftigen Zusammenarbeit zu beraten. "Wir haben angefangen, auch die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Rheinland-Pfalz und Ruanda zu fördern und rheinland-pfälzische Firmen dafür zu interessieren, in Ruanda zu investieren, damit dort neue Arbeitsplätze geschaffen werden können", skizziert Botschafterin Nkulikiyinka die Richtung, in der die Zusammenarbeit intensiviert werden soll. Für Ministerpräsident Beck ist der Partner Ruanda inzwischen auch politisch auf einem guten Weg: "Ruanda ist heute im Vergleich zu anderen ost- und zentralafrikanischen Ländern ein politisch stabiler Standort und bei der Lösung innerafrikanischer Konflikte über die Afrikanische Union oder die UNO sehr aktiv. Und das trotz seiner eher bescheidenen Größenverhältnisse." Der Fortschritt in Ruanda, so Beck im Gespräch mit der DW, sei "ganz und gar unverkennbar".

Autor: Daniel Scheschkewitz
Redaktion: Thomas Latschan

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