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Reise

"Partytouristen will niemand haben"

Anne Termèche
22. September 2017

In Palma de Mallorca findet an diesem Wochenende wieder eine Anti-Tourismus-Demo statt. Steht der Städtetourismus vor dem Kollaps? Im Interview Tourismusforscher Torsten Kirstges.

Mallorca  Saufgelage untersagt Protest
Bild: picture-alliance/dpa/J.Kalaene

DW: Wie ernst ist die Lage auf Mallorca?

Torsten Kirstges: Im Mai gab es bereits eine Anti-Touristen-Demo und immer mal wieder massive Proteste und Schmierereien. Dennoch muss man ganz klar sagen: Gemessen an der Gesamtzahl der Bevölkerung protestiert nur der geringere Teil. Die Mehrheit der Bewohner in touristischen Hotspots wie Palma lebt vom Tourismus. Die sind am Ende der Saison geschlaucht und froh, dass die Touristen wieder weg sind. Aber sie leben von ihnen. Tourismus ist ein Wirtschaftsmotor. Den wird kaum eine Destination aufs Spiel setzen.

Städtereisen boomen weltweit. Sie sind ein Milliardengeschäft. Gleichzeitig sind viele Destinationen mit dem Ansturm völlig überfordert. Sind Städte wie Palma de Mallorca, Venedig oder Barcelona verdonnert, auf ewig mit den Massen zu leben?

Rummel statt Romantik in VenedigBild: picture-alliance/dpa/A.Merola

Die Städte, die Sie genannt haben, sind alles Städte, die direkt vom Kreuzfahrttourismus profitieren oder betroffen sind - wie man es sehen will. Der Kreuzfahrttourismus ist in den letzten Jahren sehr stark gewachsen und wird weiter zulegen.Schiffsreisen sind nicht mehr elitär, die Fahrten werden günstiger, die Reedereien erschließen neue Zielgruppen, Familien zum Beispiel. Kreuzfahrtschiffe bedienen ein gestiegenes Sicherheitsbedürfnis. Alles Gründe, die zum Boom des Kreuzfahrttourismus beigetragen haben. Das hat zur Folge, dass Hotspots im Mittelmeerraum verstärkt angelaufen werden. Die Städte sind attraktiv, sehenswert und bieten die perfekte Infrastruktur mit Häfen in der Nähe der Sehenswürdigkeiten. Es ist kaum zu verhindern, dass es voll wird.

Wenn 20.000 Touristen auf einmal von Bord gehen, wird es ungemütlich eng auch in Palma. Nachhaltiger Tourismus geht anders, oder?

Jein. Die Konzentration auf Hotspots kann nachhaltiger sein als die Verteilung der Massen über weite Flächen.

Auch wenn Touristen Hotspots ruinieren? So wie in Venedig, wo die Wellen der Riesenschiffe die Fundamente der Häuser beschädigen.

Dann sag ich jetzt mal ganz sarkastisch: Besser Hotspots ruinieren als alles. Ich hab das mal als "Ghetto-Tourismus" bezeichnet. Ich denke da an künstliche Urlaubszentren, an Ferienparks zum Beispiel. Unter ökologischen, nachhaltigen Aspekten sind die nicht schlecht. Die Urlauber müssen nicht weit fahren, es gibt keine große Anreiseverschmutzung, wir haben eine konzentrierte Abwasser- und Abfallentsorgung - alles wunderbar. Okay, im Winter ist der Energieverbrauch höher, weil geheizt werden muss - aber unterm Strich ist das besser, als würden alle in die Karibik fahren.

Na super, soll dann Venedig zu einem Open-Air Center Park werden, wo Touristen Eintritt bezahlen müssen?

(Lacht) Das einzige, was dann noch stört, sind die echten Einwohner.

Protest gegen Massentourismus an einem Wohnhaus in Palma de MallorcaBild: picture-alliance/dpa/J.Kalaene

Venedig schrumpft seit Jahren, die Einheimischen fliehen vor den Touristen und den Konsequenzen die der Anstrums auf ihr Leben in der Stad hat. Die Mieten sind explodiert. Warum ist es so schwer, Touristenströme zu lenken?

Die Frage ist, will man das überhaupt. Sollte tatsächlich von der Politik eine Regulierung eingeführt werden, eine Restriktion in irgendeiner Form, dass zum Beispiel nicht mehr 20.000, sondern nur noch 5000 Touristen auf einen Schlag von Bord gehen und in die Stadt stürmen dürfen, so beschneidet die Regierung in dem Moment die Wirtschaft einer Destination. Die Restaurantbesitzer, Eisverkäufer, Souvenirhändler machen weniger Geschäfte. Die Politiker oder der Teil der Bevölkerung, der sagt, wir wollen weniger Touristen, werden sofort Gegenwind von den anderen kriegen, die davon leben.

Klingt nach einer festgefahrenen Situation.

Es ist schwierig, in der Tat. Restriktionen gibt es in manchen Gebieten sehr wohl. Das sind Gebiete, die man aufgrund der Geografie besser abgrenzen kann. Bei Canyons und Parks, da gibt es Besucherkontingente, die haben die Möglichkeit, die Tür zuzumachen. Bei einer Stadt oder einer Destination wie Mallorca wird das wesentlich schwieriger. Was man da machen kann, ist meines Erachtens die Verteuerung. Es ist das einfachste und vor allem marktkonforme Mittel. In dem Moment, wo ich etwas verteure, geht die Nachfrage zurück. Damit kann ich sogar versuchen, den Tourismus ein bisschen qualitativ aufzuwerten, weil ich dann nicht mehr die Ballermann-Leute habe, die es möglichst billig wollen und saufen, sondern ich kriege Leute, die bereit sind, mehr Geld zu zahlen, wenn sie dafür mehr Qualität bekommen.

Von Burkard Kieker, dem Tourismuschef von Berlin, ging eine Initiative aus, die europäische Metropolen an einen Tisch brachte, um  Ideen für eine Regulierung der Touristenströme zusammenzutragen. Man diskutierte Vorschläge wie z.B. die Besucher ins Umland umzulenken oder Eintrittsgelder für Stadtquartiere zu verlangen. Was halten sie davon?

Barcelona: Aktivisten hindern Urlauber am StrandbesuchBild: picture-alliance/AA/A.Llop

Es ist ein legitimer Versuch, die Touristen in die Randbezirke zu locken. Doch die meisten Touristen wollen die Hotspots sehen, in Barcelona die Sagrada Familia oder in Palma die Kathedrale. Das kann und sollte ein Tourismus-Chef ihnen nicht verbieten. Ich kann alternative Attraktionen schaffen, Anreize, tolle Schilder aufstellen. Aber letztlich entscheidet der einzelne Tourist, was er machen will. Zum Glück! Reisefreiheit gehört unmittelbar zur demokratischen Freiheit, zur freiheitlichen Gesellschaftsordnung - und die will keiner abschaffen. Wir können froh sein, dass wir sie haben.

Was müsste passieren, damit sich die Situation an den Hotspots ändert?

Die Städte müssten teurer oder aber unattraktiv werden. Ich sag’s mal ganz sarkastisch: Noch ein paar starke Proteste gegen Touristen und das in die Medien gebracht, dann wird eine Region oder eine Stadt unattraktiv. Noch ein paar Zwischenfälle in Barcelona und die Stadt ist unattraktiv. Wie die Türkei jetzt. Aber das kann nicht das Ziel sein.

Die Karawane steuert dann einfach ein neues Ziel an. Und das Spiel beginnt von vorne. Werden wir mit dieser Situation leben müssen, so lange es Billigflüge gibt, ein breites Angebot mit preiswerten Unterkünften und so lange die Hotspots diese Anziehungskraft ausüben?

Billigflieger sind der Motor des MassentourismusBild: picture-alliance/dpa/C. Schmidt

Davon gehe ich aus. Billigflüge, Sie sprachen es gerade an, sind ein wichtiger Aspekt. Ich bin durchaus ein Freund davon, dass die Fliegerei teurer werden sollte. Der Emissionshandel für Airlines, CO2-Kompensation als Pflicht, wurde auf EU Ebene durchaus diskutiert. Das ist vor ein paar Jahren am Veto von USA und China gescheitert. Und im Moment würde das in den USA unter Trump auf keinen Fall vorangehen. Die EU hat - leider - gerade beschlossen, Drittlandsflüge weiterhin bis 2020 von solchen Belastungen zu verschonen. Da muss man wissen, was man will. Vernünftige Preise, die auch die negativen Effekte des Reisens als Kostenbestandteil berücksichtigen, würden automatisch bestimmte Formen des Tourismus reduzieren. Für 19 Euro Mallorca und zurück, das sind Auswüchse, das muss nicht sein.

Wenn Sie EU-Chef wären, was würden Sie tun?

Wenn ich EU-Chef wäre, würde ich sagen: egal, wir machen das in der ganzen EU einheitlich. Und auch die amerikanischen, asiatischen oder arabischen Airlines müssen zahlen, wenn sie hier starten und landen. Das führt dann zu einem Rückgang des internationalen Luftverkehrs. Ich meine damit nicht den Geschäftsreisenden, der unbedingt irgendwo hin muss, oder den Urlauber, der einmal im Jahr für drei Wochen wohin fliegt, es sei ihm gegönnt. Ich meine solche Auswüchse wie Kurztrips mit dem Flieger, die dann in keiner vernünftigen Relation die Ressourcen, die Umwelt und die Destinationen belasten. Das kann ich mit höheren Flugpreisen regulieren. Das muss dann aber wettbewerbsneutral passieren und es müsste auf staatlicher Ebene mindestens mal EU-weit passieren.

Die Politik hat es also in der Hand? Was geht noch?

Verbote verhängen. Es gibt ja ganz aktuell die Insel Hvar in Kroatien, sie ist auf dem "besten" Weg zu einer Partyinsel. Die wollen das nicht mehr und haben drakonische Strafen eingeführt, für Leute, die sich daneben benehmen oder sich nur leicht bekleidet in der Stadt blicken lassen.Politik kann regional versuchen, gewisse Formen des Tourismus teurer zu machen. Das wirkt. Ohne, dass man den Tourismus generell verteufelt. Der normale Tourist, der zwei Wochen irgendwo fährt, brav sein Geld ausgibt, den will jeder haben. Was man weghaben will, sind extreme Spitzen und auch diese negativen Auswüchse einer bestimmten Touristenklientel.

Touristen feiern auf der kroatischen Insel HvarBild: picture-alliance/Pixsell/D. Urukalovic

Partytouristen will niemand haben?

Die unkontrollierten, negativen Effekte bestimmter Urlaubsformen will niemand haben. Das gilt auch für Sextourismus, giftige Abgase von Kreuzfahrtschiffen, Zerstörung von Natur und Kultur durch Touristenmassen etc. Da kann ich am besten mit der Preisgestaltung was erreichen. Und ich kann noch weiter gehen: Wenn ich generell keinen Billigtourismus will, kann ich auf lange Sicht auch was verändern, indem ich versuche, die Qualität der Hotels zu beeinflussen. Also keine Billigbuden mit einem Stern oder zwei Sternen, sondern mindestens Vier-Sterne-Standard. Wenn ich neue Hotels genehmige, Um- oder Neubauten, dann baue ich neue Hotels hin, die ein entsprechendes Niveau haben, damit habe ich automatisch die entsprechende Klientel. Und ich habe eine höhere Wertschöpfung: Für den gleichen Flugsitz, für die gleiche Umweltbelastung, die der Flug mit sich bringt, habe ich eine höhere Wertschöpfung. Und das ist natürlich wünschenswert. Da hat sich im Übrigen auf Mallorca in den letzten Jahrzehnten auch viel getan. 

Aber: Wenn der Städtetourismus so ungebremst weiter wächst, zerstört er das, was er begehrt.

Ja genau. Der Tourist zerstört, in dem er findet, was er sucht. Das ist das Phänomen der Masse. Es ist toll, weil es alle haben, und wenn es alle haben, ist es nicht mehr toll.

Das Gespräch führte Anne Termèche

Bild: privat

Torsten Kirstges ist Professor für Tourismuswirtschaft an der Jade Hochschule Wilhelmshaven, eines seiner Spezialgebiete ist der nachhaltige Tourismus. 

 

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