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Patriota: "Stärker auf Dialog setzen"

Kersten Knipp26. Februar 2013

Der brasilianische Außenminister Antonio Patriota fordert eine Reform des UN-Sicherheitsrats. Im DW-Interview erklärt er, wieso sein Land dem Rat helfen könnte, globale Konflikte zu lösen.

Porträt des brasilianischen Außenministers Antonio Patriota (Foto: Reuters)
Bild: REUTERS

Deutsche Welle: Herr Minister, Brasilien strebt die permanente Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen an. Was verspricht sich das Land davon?

Antonio Patriota: Derzeit durchläuft die gesamte Welt einen rasanten Transformationsprozess. Dies führt zu einer Umverteilung der ökonomischen Macht wie auch des politischen Einflusses. Darum ist es notwendig, die entsprechenden Regierungsmechanismen anzupassen. Das passiert derzeit bereits – auf ökonomischer und wirtschaftlicher Ebene etwa durch die vollzogene Erweiterung der G 20-Agenda. Auch im Hinblick auf Umweltschutz und nachhaltige Entwicklung diskutieren wir derzeit Möglichkeiten, die politische Handlungsfähigkeit zu erweitern. Darum scheint aus unserer Sicht die Zeit reif zu sein, um auch die Frage des Sicherheitsrats anzugehen. Denn geschieht das nicht, könnte das kollektive Sicherheitssystem der Vereinten Nationen irgendwann versagen.

Was ist der spezifische Beitrag, den Brasilien in dieser Hinsicht leisten könnte? Wodurch empfiehlt sich das Land als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats?

Hinter uns liegt eine Zeit, die man als unipolare Ordnung bezeichnen könnte - als etwa die USA militärische Aktionen wie die Intervention im Irak im Jahr 2003 durchgeführt haben. Nun aber scheint sich der Gedanke durchzusetzen, dass es für viele internationale Probleme keine militärische Lösung gibt. Man muss stärker auf Dialog, Verhandlungen und Diplomatie setzen. Brasilien bringt in dieser Hinsicht einige erprobte Fähigkeiten mit. Auf diese Weise kann es zu einem größeren gegenseitigen Vertrauen zwischen Parteien beitragen, die am Rande eines Konflikts stehen.

Außerdem haben wir uns an Friedensmissionen in Afrika, Haiti und dem Libanon beteiligt. Wir glauben, das multilaterale System zu kennen. Zusammen mit Japan ist Brasilien das Land, das die meisten Jahre als nicht-ständiges Mitglied im Sicherheitsrat verbracht hat. Wir sind überzeugt, einen produktiven Beitrag zur Stärkung der Diplomatie im internationalen Rahmen leisten zu können.

Derzeit wird über die Frage diskutiert, ob und in welchem Maße die westlichen Staaten im globalen Rahmen an Einfluss verlieren. Angenommen, die These trifft zu – wie können die aufsteigenden Mächte an Einfluss gewinnen?

Ich glaube, dass die westlichen Mächte in der absehbaren Zukunft weiterhin Einfluss haben werden. Die USA werden auch künftig eine ökonomische und militärische Macht ersten Ranges bleiben - und Europa wird ebenfalls eine solche Macht bleiben. Derzeit scheint sich aber die Einsicht durchzusetzen, dass die USA und Europa nicht mehr allein in der Lage sind, Konflikte zu lösen, die internationale Zusammenarbeit erfordern. Das gilt für wirtschaftliche und finanzielle Konflikte ebenso wie für solche im Bereich des Umweltschutzes oder der internationalen Friedens- und Sicherheitsfragen. Darum ist es wichtig, dass auch andere Stimmen gehört werden.

Favela bei Sao Paulo: 40 Millionen Brasilianer haben die Armut überwundenBild: picture-alliance/dpa

Auf der Münchener Sicherheitskonferenz fiel mir zum Beispiel auf, dass es dort keine Debatte über das israelisch-palästinensische Verhältnis gab. Das scheint mir nicht angemessen, denn dieses Verhältnis steht im Zentrum vieler Probleme, mit denen die Internationale Gemeinschaft heute befasst ist. Derzeit beobachten wir das Versagen der internationalen Vermittlungsmächte, so etwa des Nahost-Quartetts. Und der UN-Sicherheitsrat nimmt sich dieses Themas nicht einmal an.

Es wäre darum sehr gut, wenn Staaten wie Brasilien, Indien, Südafrika - die gute Beziehungen sowohl zu Israel als auch zur arabischen Welt und Palästina haben - an koordinierten diplomatischen Bemühungen teilnehmen könnten.

Brasilien hat sich in den vergangenen Jahren sehr verändert. Vor allem in der Armutsbekämpfung hat das Land große Erfolge erzielt. Tragen diese Fortschritte dazu bei, das Bild des Landes international zu verändern?

In den vergangenen zehn Jahren ist Brasilien stark gewachsen. Bemerkenswert ist vor allem die Qualität des Wachstums, denn das Einkommen wurde neu verteilt. 40 Millionen Brasilianer stiegen aus der extremen Armut in die Mittelschicht auf. Das verleiht uns eine hohe Legitimität, um mit anderen Schwellenländern zusammenzuarbeiten.

Brasilien ist seit Jahrhunderten eine multikulturelle Gesellschaft. Was bedeutet das für das Land?

Die Multikulturalität Brasiliens gründet auf der Zusammenkunft dreier Gruppen: der Europäer, der indigenen Völker Südamerikas und der Afrikaner, die durch die Sklaverei nach Brasilien kamen. Innerhalb dieses Rahmens herrschen in Brasilien relative Toleranz und ein harmonisches Miteinander. Ich sage nicht, dass es sich um eine vollkommene Gesellschaft handelt. So stehen etwa die Brasilianer afrikanischer Herkunft im Hinblick auf Einkommen und politischen und ökonomischen Einfluss weniger gut da. Ich glaube aber, dass wir im Hinblick auf Fragen des Zusammenlebens unterschiedlicher Ethnien und Religionen eine gewisse Erfahrung haben, die wir weitergeben können.

Spiegeln sich solche Erfahrungen auch in der brasilianischen Außenpolitik?

Ja, in einigen diplomatischen Initiativen. Im vergangenen Jahr habe ich etwa ein Seminar organisiert, das Vertreter der jüdischen und arabischen Diaspora vereinte. Es ging darum, das gegenseitige Verständnis zu fördern - letztlich mit der Option, mit der palästinensischen und israelischen Jugend zusammenzuarbeiten. Es ist ein bescheidender Beitrag. Aber mir scheint, er spiegelt ganz gut den brasilianischen Hang zum Dialog und zur Harmonie zwischen verschiedenen menschlichen Gruppen.

Antonio Patriota ist Außenminister Brasiliens. Zuvor war er Botschafter seines Landes in Washington, anschließend Generalsekretär für auswärtige Angelegenheiten in der Regierung Lula da Silva. Patriota gehört keiner politischen Partei an.

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