Patriotische Freude ohne nationalistischen Unterton
18. Juni 2006Na also - es geht doch - die Deutschen können feiern, Spaß haben, mal so richtig unverkrampft sein. Wer dieser Tage wegen der Fußball-Weltmeisterschaft nach Deutschland kommt, der blickt in strahlende Gesichter. Deutsche Fans, die sich selber bejubeln, sich wie kleine Kinder über tolle Tore freuen und - das ist noch wichtiger - die WM-Gäste mit offenen Armen empfangen.
Es gibt deutsche Fans, die das Trikot der angolanischen Nationalmannschaft tragen, in den Biergärten Brüderschaft mit Japanern trinken oder die mit den brasilianischen Fans Samba-tanzend durch die Straßen ziehen. Auch wenn letzteres zugegebenermassen ein wenig hüftsteif aussieht, ist der bisherige Verlauf der Fußball-Weltmeisterschaft eine Erfolgsgeschichte. Sportlich, aber vor allem auch gesellschaftspolitisch.
Sportliche Fragen
Als vor sechs Jahren Deutschland zum Gastgeber dieser WM gewählt wurde, diskutierte die deutsche Öffentlichkeit nach dem ersten Jubel über die Titel-Chancen. Sportliche Fragen wurden gestellt wie: Sind wir gut genug, das Turnier zu gewinnen? Wie können wir mit den Großen - also Brasilien, Italien und Argentinien mithalten?
Aber schnell wurde klar, dass es um weit mehr geht, als nur um den sportlichen Erfolg. Denn die WM ist die große Chance, Deutschlands Image in der Weltöffentlichkeit aufzupolieren. Sie könnte zur Visitenkarte für ein neues, ein wirklich besseres Deutschland werden. Ein Deutschland, das sich nicht in schlechter Laune suhlt, jammernd im nächsten Konjunkturloch sitzen bleibt oder Migranten nur als Fremde oder Feinde und nicht als mögliche Freunde sieht. Es könnte die Visitenkarte für ein Deutschland werden, das offen ist für fremde Kulturen, in dem Gäste aus dem Ausland angelächelt werden und in dem Veränderung auch durchaus als Chance wahrgenommen wird.
Keine Pannen, schöner Fußball
Es sieht gut aus! Das Turnier läuft rund und das internationale Medien-Echo ist durchweg positiv. Es gibt keine Pannen, aber dafür schönen Fußball. Die Stadien sind gefüllt, die befürchteten leeren Sitzreihen sind ausgeblieben. Bis auf vereinzelte Krawalle einiger Hooligans hat die Polizei die Sicherheitslage im Griff, ohne dass auch nur der Anschein eines Polizeistaates geweckt würde. Und vor allem: Es gab keine Ausschreitungen von Rechtsradikalen. Nach all den Schlagzeilen und Berichten über die so genannten No-Go-Areas in einigen Regionen und Stadtteilen Ostdeuschlands ist dies ein ganz wichtiger Erfolg.
Schwarz-rot-goldene Glückseligkeit
Es gibt noch etwas anderes, einen Nebeneffekt dieser WM sozusagen. Die Deutschen sind nämlich gerade dabei, sich neu zu entdecken und ihr Vaterlands-Verhältnis zu entkrampfen. Was gab es mit Beginn der WM noch für Irritationen wegen der Deutschland-Fahnen, die in zig-tausenden Fenstern hängen oder als Wimpel an unzähligen Auto-Türen im Fahrtwind flattern, oder wegen der in den Nationalfarben geschminkten Gesichter. Seit der Wiedervereinigung ist nicht mehr so hemmungslos schwarz-rot-goldene Glückseligkeit zur Schau getragen worden. So manch einer fragte sich besorgt, ob das nicht zu viel der Vaterlandsliebe sei, angesichts der Nazi-Vergangenheit. Aber so langsam setzt sich die befreiende Erkenntnis durch: Eben nicht!
Dieser so lustvoll zur Schau getragene Patriotismus ist einfach Ausdruck von Lebensfreude und nicht übertriebener Nationalismus. Ja, die Deutschen können sich ganz einfach nur freuen. Das hätten viele vorher nicht gedacht. Aber das haben sie sich von den WM-Gästen aus aller Welt abgeschaut. Und das ist eine - wahrhaft schöne Erfahrung.