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Literatur

Paul Auster zum 75. Geburtstag

3. Februar 2022

Europa lag ihm schon zu Füßen, bevor er in seiner US-amerikanischen Heimat zum Kultautor avancierte. Ein Leben ohne Schreiben will er sich nicht vorstellen. Jetzt feiert Paul Auster seinen 75. Geburtstag.

Autor Paul Auster
Paul Austers Romane wurden in 30 Sprachen übersetzt Bild: Eva TedesjDN//TT/imago images

Paul Auster macht es den Leserinnen und Lesern nicht immer leicht, wenn er mit seinen literarischen Verwirrspielen die großen Fragen des Lebens aufgreift. Seine Geschichten rollt er in Schachtelsätzen in bester Thomas-Mann Manier aus. Dennoch entwickeln seine Bücher einen starken Sog. Als postmodernen Autor hat man Paul Auster oft bezeichnet, als "Kafka von Brooklyn": eine Charakterisierung, die der Schriftsteller selbst ablehnt.

Gerade ist sein neuester Roman "In Flammen" auf Deutsch erschienen: eine Hommage an den vergessenen US-Autor und Lyriker Stephen Crane, der im Jahr 1900 mit gerade mal 29 Jahren an Tuberkulose starb - aber ein umfangreiches Werk hinterließ, das Paul Auster in seinen Bann geschlagen hat. Zum ersten Mal hatte er mit 15 ein Buch von Crane in der Hand. In den USA gehört der Bürgerkriegsroman "Die rote Tapferkeitsmedaille" in der Highschool zur Pflichtlektüre.

Auster gilt als Vertreter der Postmoderne

Auster widmet dem 1900 verstorbenen Autor Stephen Crane eine umfangreiche Biografie

60 Jahre später hat Auster in seinem Regal einen eingestaubten Band mit gesammelten Werken von Crane entdeckt und sich mit zunehmender Faszination festgelesen. "Eigentlich nur zu meinem eigenen Vergnügen", sagte er dem ARD-Hörfunkstudio in New York. "Irgendwann habe ich aber dann gedacht: 'Vielleicht solltest du ein kleines Buch darüber schreiben. Etwas Kurzes. Eine Würdigung von Crane.'"

Aus etwas Kurzem wurde ein 1200-Seiten-Wälzer. Nicht ungewöhnlich für Auster; sein letzter Roman, "4321", hat sogar noch ein paar Seiten mehr. Darin entspinnt er vier unterschiedliche Versionen, wie sein Held Archie sein Leben führen könnte: Und alle vier sind vollgepackt mit den Schlägen eines unberechenbaren Schicksals und autobiographischen Schnipseln aus Austers eigenem Leben.

Holpriger Anfang als Schriftsteller

Geboren wurde Paul Auster am 3. Februar 1947 in Newark/New Jersey als Nachfahre jüdischer Einwanderer aus Europa. Bücher faszinierten ihn schon früh, als Kind schrieb er bereits erste Gedichte. Auster studierte Anglistik und vergleichende Literaturwissenschaft an der Columbia University in New York City, fuhr nach seinem Abschluss sechs Monate lang als Matrose zur See, begab sich in Irland auf die Fährte von James Joyce und siedelte sich 1971 in Frankreich an. In Paris hielt er sich mehrere Jahre lang auf - und lernte dabei den irischen Autor Samuel Beckett kennen, der ihn maßgeblich inspirierte.

Austers Schriftstellerkarriere begann allerdings ziemlich holprig. Nachdem er in die USA zurückgekehrt war, schrieb er einige Theaterstücke und gab dann zunächst mehrere Gedichtbände heraus, die allerdings nicht von Erfolg gekrönt waren. Allenfalls einen Achtungserfolg erzielte er 1982 mit dem Prosaband "Die Erfindung der Einsamkeit". 

"Stadt aus Glas" wurde erster Erfolg für Auster

Um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, nahm Auster Lehraufträge an der Columbia University und später an der Princeton University in New Jersey an und arbeitete als Übersetzer und Herausgeber französischer Autoren (u. a. Paul Sartre). Das Manuskript seines Romans "Die Stadt aus Glas" schickte er an 17 Verleger, doch es hagelte Absagen. Schließlich brachte ein Kleinverlag aus Kalifornien das Buch heraus, das auf den Bestsellerlisten landete - ebenso wie die Nachfolgebände "Schlagschatten" (1986) und "Hinter verschlossenen Türen" (1987). Alle drei Romane dieser "New York Trilogie" beginnen wie klassische Krimis, entwickeln jedoch Plots mit existenziellen Fragen, die den Leser systematisch aufs Glatteis führen. Spätestens jetzt wurde Paul Auster als Schwergewicht der US-amerikanischen Gegenwartsliteratur eingestuft. Unermüdlich schrieb er weiter. "Im Land der letzten Dinge" (1987) ist ein dystopischer Briefroman, der die Welt aus Sicht einer Obdachlosen beschreibt. "Mond über Manhattan" (1989) greift das Thema der Identitätssuche auf; es folgen zahlreiche weitere Werke , darunter "Leviathan" (1992), "Das Buch der Illusionen" (2002), "Nacht des Orakels" (2003), "Mann im Dunkel" (2008) oder "Sunset Park" (2010).

Auster spielt mit den Lesererwartungen

Viele seiner Bücher spielen in New York, Bezüge zum Vietnam- oder Irakkrieg finden sich darin genauso wie zur Immobilienkrise 2007, die viele US-Amerikaner in den finanziellen Ruin trieb. Seine Romanfiguren finden sich in den 1950er- und 1960er-Jahren wieder, kommen vom Weg ab und irren ziellos durchs Leben. Nicht selten philosophiert Auster dabei auch über das Dasein als Schriftsteller.

Paul Auster ist ein begehrter Autor bei Lesungen: hier 2008 in Wien Bild: Georg Hochmuth/dpa/picture-alliance

Geschichten zu Papier zu bringen, ist seine Obsession: "Schreiben ist für mich kein Akt des freien Willens, es ist eine Frage des Überlebens", hat er mal gegenüber der Wochenzeitschrift "Die Zeit" bekannt. Er verspüre ständig "den Druck, weiter zu schreiben, weiter zu arbeiten. Jedes Mal, wenn ich etwas abgeschlossen habe, fürchte ich, versagt zu haben. Aus diesem Gefühl der Unzufriedenheit steigt das Bedürfnis auf, es noch einmal zu versuchen."

Romanfiguren führen eigene Existenz

Seine Buchcharaktere begleiten ihn bei diesem Versuch, irren zwischen Wirklichkeit und Fiktion umher, auf der Suche nach einem tieferen Sinn im Leben. Und sie tauchen gleich in mehreren Romanen auf, manchmal nur auf Fotografien oder als Name. Das liege daran, dass diese Figuren keine Erfindungen seien, sondern Wesen, die ihre eigene Existenz führten, sagte Auster der "Zeit": "Ich lebe mit meinen Romanfiguren durchschnittlich fünf Jahre lang, ehe ich überhaupt zu schreiben anfange. Wenn das Buch dann fertig ist, bleiben diese Charaktere übrig, und ich kann sie einfach nicht mehr loswerden. Sie bleiben in meiner Erinnerung hängen wie unkündbare Untermieter oder wie Geister, die ich nicht vertreiben kann und die doch quicklebendig sind."

Austers umfangreiches Werk umfasst Romane, Essays, autobiografische Skizzen, Übersetzungen und Gedichte. Seine Bücher wurden in mehr als 30 Sprachen übersetzt und mehrfach ausgezeichnet. 2006 wurde er mit dem Prinz-von-Asturien-Preis geehrt, eine Art spanischer Nobelpreis. In Europa ist sein Werk noch populärer als im eigenen Land. Auch für den Literatur-Nobelpreis wurde er schon gehandelt. Auster hat sich aber auch als Drehbuchautor einen Namen gemacht: Der von Wayne Wang inszenierten Kinofilm "Smoke" erhielt 1995 auf der Berlinale den Silbernen Bären. Mit dem von ihm selbst inszenierten Werk "Das Innenleben des Martin Frost" (2007) realisierte er einen in "Das Buch der Illusionen" beschriebenen, fiktiven Film über einen ausgebrannten Erfolgsautor.

Auster hat sein Lebensziel erreicht

Auster selbst ist alles andere als ausgebrannt. Auch wenn er vor genau neun Jahren, damals war er 66, Angst hatte, bald sterben zu müssen - denn sein Vater starb mit 66. "Wenn wir das Alter erreichen, das unsere Eltern hatten, als sie starben, ist das unheimlich", bekannte Auster gegenüber der "Zeit". "Und ich dachte: Vielleicht ist es bei mir wie bei meinem Vater…und ich werde bald sterben. Natürlich ist das Aberglaube."

Trotzdem arbeitete er wie besessen an seinem damaligen Buch ("4321") weiter. "Das Schlimmste, was ich mir hätte vorstellen können, wäre gewesen, zu sterben, während ich mittendrin war."

Die Ängste gehören der Vergangenheit an. Auster ist aktiv wie eh und je - und engagierte sich nach Donald Trumps Wahl zum Präsidenten im Jahr 2016 verstärkt politisch. Er und seine Frau Siri Hustvedt, ebenfalls eine bekannte Autorin, traten der Vereinigung "Writers against Trump" (Schriftsteller gegen Trump) bei. Nach Joe Bidens Wahl benannte sie sich in "Writers for Democratic Action" um. Das US-amerikanische Wahlrecht treibt sie um - die Tatsache, dass jemand auch mit weniger Stimmen als der Gegenkandidat Präsident werden kann. Das und die Spaltung des Landes seien derzeit "das größte Problem unserer Demokratie", sagt Auster.

Paul Auster und seine zweite Frau Siri Hustvedt sind in Brooklyn zu Hause Bild: Eva Tedesj/TT//DN/picture alliance

Ansonsten ist er rundum zufrieden mit seinem Leben. "Ich hatte das Glück, genau die Arbeit zu tun, die ich tun wollte, und ich habe nie gedacht, dass das möglich wäre. Es war mein Ehrgeiz, ein einziges Buch zu schreiben, das gut genug ist, um es zu veröffentlichen. Dass ich so viel mehr erreicht habe, das überrascht und erstaunt mich bis heute." 

Ein Grund mehr für den jetzt 75-Jährigen, sich in das Arbeitszimmer seines viktorianischen Hauses im New Yorker Stadtteil Brooklyn zurückzuziehen und an einem neuen Buch zu arbeiten. Ganz ohne Computer übrigens, verriet er mal der Deutschen Presse-Agentur. "Ich schreibe per Hand und tippe es dann mit einer Schreibmaschine ab." Zwei Seiten schaffe er pro Tag, manchmal auch nur eine halbe. "Aber wenn man dranbleibt, läppern sich die Seiten."   

Es wird also noch eine Weile dauern, bis Austers treue Leserschaft ein weiteres Werk des Autoren in den Händen halten kann.

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