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Paul Collier: "Keine Moralpredigten für Afrika"

28. Dezember 2016

Mehr private Investitionen, Lernen von China, alte Fehler vermeiden: Im DW-Interview spricht der Entwicklungsökonom Paul Collier über eine neue G20 Agenda für Afrika.

Paul Collier
Bild: imago stock&people

Sie beraten die deutsche Bundesregierung während ihrer G20-Präsidentschaft zu Afrika. Was sind Ihre Empfehlungen?

Afrikanische Regierungen sind es leid, dass andere ihnen vorschreiben, was zu tun ist. Wir sollten daher mit den Predigten aufhören und uns darauf konzentrieren, wie wir dazu beitragen können, die wirtschaftlichen Chancen dort zu erhöhen. Wir sollten den afrikanischen Regierungen ein Forum bieten, in dem sie ihre eigenen Zusagen präsentieren und als Signal für Investoren zeigen können, dass Afrika offen ist für Handel und Wirtschaft.

Die Bundesregierung lädt im Juni 2017 zu einer großen Afrika-Konferenz ein. Dort können afrikanische Regierungen um Investoren werben. Als Berater hat mich das Bundesfinanzministerium ins Spiel gebracht. Es war ein Treffen von Gleichgesinnten, ohne Auseinandersetzungen und Spannungen. Alle waren der Meinung, dass wir endlich damit aufhören sollten, Afrika Moralpredigten zu halten.

Die Bundesregierung hat Afrika auch wegen der Flüchtlingskrise auf die Agenda der G20 gesetzt. Sie will damit nicht zuletzt die illegale Einwanderung nach Europa stoppen. Was halten Sie von diesem Ansatz?

Viele Jahre lang gab es in Afrika einen wirtschaftlichen Stillstand, während andere Regionen der Welt gewachsen sind. Afrika hat viel aufzuholen. Für den Nachbarkontinent Europa sollte es selbstverständlich sein, dabei zu helfen. Denn wenn Afrika nicht aufholt, werden Afrikaner dahin gehen, wo sie mehr Hoffnung sehen. Wenn Europa also die Migration begrenzen will, ist es sinnvoll, in Afrika für mehr Hoffnung zu sorgen. Das ist das Ziel der deutschen G20-Präsidentschaft: die Schaffung wirtschaftlicher Chancen in Afrika. Auf keinen Fall aber geht es bei der G20-Agenda darum, afrikanische Länder mit Geld dazu zu bringen, ihre Flüchtlinge zurückzunehmen.

Die Berliner Tageszeitung taz hat vor kurzem ihre Recherchen über einen Wandel in der Entwicklungspolitik der Europäischen Union veröffentlicht. Demnach mache die EU künftig Grenzsicherung statt Demokratie und Menschenrechten zum Hauptförderkriterium für Afrika.

Das ist die Europäische Union, aber nicht die G20. Es ist ein völlig anderer Ansatz. Bei der G20-Agenda geht es nicht darum, die Vorteile der Demokratie zu predigen und auch nicht um die Rücknahme von Flüchtlingen. Im Zentrum der G20 stehen die 'Pakte mit Afrika'. Die G20-Länder können jeweils eigene Zusagen machen, die afrikanischen Regierungen ebenso. Jedes Zusagen-Paar ist ein 'Pakt mit Afrika'. Dabei gibt es zwei klare Ziele: erstens die Verbesserung der afrikanischen Infrastruktur, zweitens eine Erhöhung privater Investitionen in Afrika. So werden Arbeitsplätze für normale Afrikaner entstehen.

Um wie viel Geld geht es dabei?

Das kann ich nicht sagen. Und es geht auch nicht in erster Linie um finanzielle Transfers. Sondern darum, ein Geschäftsklima zu schaffen, in dem Investoren Geld in die Hand nehmen und afrikanische Regierungen günstige Kredite erhalten, die sie auch zurückzahlen können, weil das Geld in Projekte gesteckt wird, die auch Erlöse bringen. Wir müssen weg von Almosen und hin zu Investitionsmöglichkeiten.

Halten Sie das für einen grundlegenden Wandel in der Entwicklungszusammenarbeit?

Ja. In den vergangenen Jahren lag der Schwerpunkt teils in politischen, teils in humanitären Zielen. Die sind auch völlig in Ordnung, aber nicht entscheidend. Wir zielen mit der G20-Agenda auf die Grundlagen: Wenn Menschen genug verdienen für ein ordentliches Auskommen, dann brauchen sie keine humanitäre Hilfe aus dem Ausland.

Sollten kleine traditionelle Entwicklungsprojekte also gestoppt werden?

Sie sollten ersetzt werden durch etwas, das wirklich funktioniert, auch in einem größeren Maßstab. Wir müssen wegkommen von diesen kleinen Vorzeigeprojekten, die allenfalls für ein Foto taugen. Wir brauchen eine wirkliche Veränderung. In Afrika leben eine Milliarde Menschen; wenn man hier etwas bewegen will, braucht man eine andere Größenordnung. Es gibt so viel privates Kapital auf der Welt, und die Herausforderung besteht darin, dieses Kapital anzuzapfen. Aber kein Investor steckt doch Geld in ein Unternehmen, wenn es dort nicht mal eine verlässliche Stromversorgung gibt. Das ist nur ein Beispiel dafür, wie wichtig Infrastruktur ist.

Chinesische Unternehmen bauen Infrastruktur in Afrika - wie diese Straße bei Kenias Hauptstadt Nairobi.Bild: Imago

China hat in Afrika viel in Infrastrukturprojekte investiert und darf dort im Gegenzug Rohstoffe abbauen. War das das Vorbild für die Afrika-Agenda der G20?

Vorbild würde ich nicht sagen, aber der Ansatz ist nicht völlig anders. Die Chinesen haben sich auf den Aufbau der Infrastruktur konzentriert und haben keine Moralpredigten gehalten. Problematisch ist aber die Art, wie sie ihre Geschäfte machen. Einige Deals sind sehr undurchsichtig, und es gibt Grund zur Sorge, dass sie vor allem China nutzen, weniger Afrika.

Was würde sich durch einen gemeinsamen G20-Ansatz verbessern?

Es gäbe mehr Wettbewerb und mehr Transparenz. Bei jedem Infrastrukturprojekt würde im voraus eine Kosten-Nutzen-Analyse gemacht. Dann würde es eine ordnungsgemäße, wettbewerbsorientierte Ausschreibung geben. Und schließlich würde auch die Umsetzung kontrolliert, also die Qualität dessen, was da gebaut wird. Afrikanische Minister haben mir mehrfach erzählt, dass sie sich manchmal nicht trauen, von Chinesen gebaute Projekte zu eröffnen, weil sie wegen niedriger Baustandards unsicher sind. Ein standardisierter G20-Ansatz würde vieles verbessern. Und die Chinesen sind natürlich Teil der G20.

Das heißt, sie müssten ihr Geschäftsgebahren ändern?

Sie müssten sich einer genauen Überprüfung unterziehen. Aber nicht durch den Westen, sondern durch die afrikanischen Regierungen selbst. Hier müssen Kapazitäten aufgebaut werden.

Der Handel innerhalb Afrikas wird durch zahlreiche Hürden erschwert. Oft es einfacher, eine Produkt von Afrika nach Europa zu bringen als von einem afrikanischen Land in ein anderes. Was können die G20, was kann Deutschland tun, um das zu ändern?

Zunächst einmal ist das eine Angelegenheit, die die afrikanischen Regierungen betrifft. Wir können ihnen keine Vorschriften für ihre Handelspolitik machen. Was wir aber tun können, hängt mit der Infrastruktur zusammen. Denn die schlechten Transportwege zwischen den afrikanischen Ländern sind ein Grund, warum der innerafrikanische Handel so gering ist. Ein weiterer ist die schlechte organisatorische Abwicklung an den Grenzen. Hier könnten wir bei der Verbesserung unterstützen.

Außerdem wäre es sinnvoll, wenn Europa bei Handelsabkommen auch die regionalen Wirtschaftsblöcke berücksichtigen würde, wie die EAC (East African Community) und die ECOWAS (Economic Community of West African States). Stattdessen haben die Europäer mit einzelnen Ländern verhandelt, das hat den Wirtschaftsblöcken sehr geschadet. Die europäischen G20-Mitglieder sollten jetzt mal überdenken, was Europa Afrika bisher angeboten hat.

Die EU sollte sich also nicht nur darauf fokussieren, einzelne afrikanische Staaten für europäische Produkte zu öffnen?

Genau. Denn das ist ja die Ironie der Geschichte: Europa könnte eigentlich die Idee des eigenen Binnenmarktes nach Afrika exportieren. Stattdessen versuchen wir, einzelne Länder zu zwingen, ihre Türen für europäische Importe zu öffnen. Afrikanische Regierungen sind da inzwischen ziemlich mißtrauisch.

 

Sir Paul Collier forscht als Wissenschaftler seit Jahrzehnten über die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika. Er ist Wirtschaftsprofessor an der Blavatnik School of Government der Universität Oxford und war unter anderem Direktor der Forschungsabteilung für die Entwicklung der Weltbank. Für seine Verdienste wurde er 2014 von der englischen Königin zum Ritter geschlagen.
Das Interview führte Andreas Becker.

Andreas Becker Wirtschaftsredakteur mit Blick auf Welthandel, Geldpolitik, Globalisierung und Verteilungsfragen.
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