Seine weltberühmten Gemälde aus der Südsee stilisieren Exotik und ein irdisches Paradies. Auseinandersetzung mit vorherrschendem Kolonialismus? Fehlanzeige.
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Von Frankreich und seinen Künstlerkollegen hat Paul Gauguin 1891 genug, insbesondere von Vincent Van Gogh, mit dem er intensiv zusammengearbeitet hat. Schließlich verlässt der Maler Paris - seine Familie lässt er zurück - und sucht die Ehrlichkeit und Reinheit im Menschen. Er glaubt, diese nur in unberührten Zivilisationen zu finden. Auf Tahiti und später auf der Marquesas-Insel Hiva Oa (Französisch-Polynesien) hofft er sie zu finden. Er lebt und arbeitet hier von 1891 mit einer Unterbrechung bis zu seinem Tod 1903, im Alter von nur 54 Jahren.
Weit weg von seinen französischen Malerkollegen hat er sein Sujet gefunden: Das einfache Alltagsleben der Tahitianer. Seine Südsee-Gemälde sind wahrlich tropisch mit reinen starken Farben, es entstehen eine Vielzahl an bedeutenden und bis heute bekannten Werken. Er malt Frauen am Strand, bei der Ernte, unter einem Baum sitzend, halbnackte Porträts mit Früchten in der Hand. Es ist vor allem eine vermeintliche Exotik, die es ihm angetan hat. Eigentlich ist er Gegner des Kolonialismus. Das hindert ihn aber nicht daran, jenseits von Staffel und Leinwand wiederholt fragwürdige Beziehungen mit 13-jährigen Mädchen einzugehen.
Mythos vom unberührten Naturparadies
Mit seinen Südsee-Gemälden prägte Paul Gauguin, 1848 in Paris geboren, einen Mythos, der in Europa bereits zirkulierte: Im 18. Jahrhundert waren mehrere Reiseberichte europäischer Seefahrer erschienen, in denen Inseln wie Tahiti zu utopischen Naturparadiesen stilisiert wurden, wo die freie und öffentliche Liebe wie eine Religion praktiziert werde.
Ein unberührtes Südseeparadies fand der Maler auf der kolonialisierten Insel jedoch nicht vor. In seinem Reisetagebuch "Noa Noa" zeigte er sich im Gegenteil "angewidert von der ganzen europäischen Trivialität" und "enttäuscht von Dingen, die so fern von dem waren, was ich mir gewünscht und vor allem vorgestellt hatte". Doch weder seine Enttäuschung noch die Kolonialisierung finden sich in seinen Gemälden wieder. Sind seine Motive eher einem Wunschdenken entsprungen als der Wirklichkeit?
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"Warum bist du wütend?"
Wie sich Gauguins Südsee-Mythos und die Geschichte der Kolonialisierung gegenüberstehen, untersucht die Ausstellung "Paul Gauguin - Why Are You Angry?". Sie versucht aufzuzeigen, welchen Anteil Gauguin auf koloniale Vorstellungen hatte, inwiefern seine Perspektive das damalige Narrativ abbildete oder sogar prägte. Nachdem sie zunächst in der Ny Carlsberg Glyptotek in Kopenhagen zu sehen war, reist sie nun in die Alte Nationalgalerie in Berlin.
Namensgeber der Ausstellung ist ein Gemälde Gauguins, das im tahitianischen Original "No te aha oe riri" heißt. Es entstand 1896 während des zweiten Tahiti-Aufenthalts des Künstlers. Die leichtbekleideten Frauen haben ihren Blick vom Betrachter abgewandt, zwischen ihnen laufen vereinzelt Hühner herum. Der rätselhafte Titel widersetzt sich einer eindeutigen Interpretation. Und auch die Ausstellung bemüht sich um verschiedene Perspektiven auf Gauguins künstlerisches Werk.
So betrachtet sie "die Werke Gauguins, die auch von westlichen, kolonialen Vorstellungen von Exotik und Erotik geprägt waren, vor dem Hintergrund aktueller Diskurse", wie es in einer Pressemitteilung der Alten Nationalgalerie heißt. Dafür treffen Vergangenheit und Gegenwart aufeinander: Gauguins Werke aus Tahiti werden mit Positionen der zeitgenössischen Künstlerinnen Angela Tiatia, Yuki Kihara, Rosalind Nashashibi und Lucy Skaer konfrontiert. Einige der Künstlerinnen stammen aus dem Südpazifik. Sie stellen sich gegen die lange Tradition eines fremdbestimmten, westlichen Blicks auf die Südsee - und brechen das Klischee der exotischen, verfügbaren Frau.
"Paul Gauguin - Why Are You Angry?" ist vom 25. März bis zum 10. Juli in der Alten Nationalgalerie in Berlin zu sehen.
Mittelloser Außenseiter: Paul Gauguin
Heute kosten seine Bilder Millionen. Zu Lebzeiten konnte der französische Maler und Abenteurer Paul Gauguin von so viel Reichtum nur träumen. Eine Ausstellung in Basel zeigt jetzt einen Querschnitt seines Schaffens.
Bild: Privatsammlung
Seemann, Bankangestellter und Hobbymaler
Bevor Paul Gauguin sich dazu entschließt, Maler zu werden, schippert er als Matrose über die Weltmeere und spekuliert als Anlageberater an der Pariser Börse. Er verdient nicht schlecht, gründet eine Familie, seine Frau bekommt fünf Kinder. Der Hobbymaler wird von den Impressionisten geschätzt und darf seine Werke bei ihren Ausstellungen präsentieren. Kurz darauf beginnt sein sozialer Abstieg.
Bild: J. Karpinski
Aufbruch ins Künstlerleben
Mit 35 Jahren will Gauguin sein Leben komplett umkrempeln und sein Hobby zum Beruf machen. Kultur und Natur, Mystik und Erotik, Traum und Wirklichkeit sind die Themen, die er in seinen Bildern zu verbinden versucht. Zu den bevorzugten Stilmitteln des Franzosen gehören kräftige Farben, große Farbflächen, klare Konturen und Linien und vereinfachte Motive.
Bild: akg-images
Lust am Übernatürlichen
Gauguin flieht aus der Zivilisation. Zunächst in die Bretagne. Dort studiert er Trachten und Bräuche und kombiniert das einfache Leben mit biblischen Geschichten. In "Die Vision der Predigt" (1888) versucht er, das Übernatürliche darzustellen. Die Bäuerinnen betrachten den Kampf zwischen Jakob und dem Engel. Doch der ist nicht real, sondern spielt sich in den Köpfen der gläubigen Frauen ab.
Bild: Scottish National Gallery, Edinburgh
Künstler vor der Kreuzigung
In der Künstlerkolonie Pont-Aven wird Gauguin für seine postimpressionistische Malerei bewundert. Nach einem Ausflug nach Panama und Martinique folgt er widerwillig der Einladung Vincent van Goghs nach Arles und lebt mit ihm in einer Künstler-WG, doch der Trip endet im Desaster. Gauguin fühlt sich zu Höherem berufen: In Gestalt von Jesus Christus taucht er in "Christus am Ölberg" (1889) auf.
Bild: Norton Museum of Art, West Palm Beach,
Zwischen Wahrheit und Schein
Nächstes Reiseziel: Tahiti. Mit der Südseeinsel verbindet Gauguin die Hoffnung, endlich frei zu sein. Doch die erträumte Idylle ist nach der europäischen Invasion nicht mehr da. Der Maler beklagt die "bis zur Karikatur groteske Nachahmung unserer Sitten, Moden, Laster und Kulturlächerlichkeiten". Trotzdem zeigen Gauguins Bilder ein paradiesisches Tahiti und glorifizieren das süße Nichtstun.
Zwar hätten die Tahitianer ihre ursprünglichen Instinkte verloren, aber sie seien "schön geblieben wie Kunstwerke", schreibt Gauguin, dessen Bilder die Sehnsüchte der Europäer bedienen. Exotisches ist gerade angesagt in Europa. Doch niemand kauft seine Kunst. So lebt er weiter am Existenzminimum. Auch seine Frau will nichts mehr von ihm wissen und ist längst mit den Kindern nach Dänemark gezogen.
Bild: Ole Haupt
Der wilde Europäer
Zwei Jahre später kehrt Gauguin völlig verarmt zurück nach Frankreich. "Verwilderter, als ich gekommen – und dennoch wissender". Es hilft nichts. Der Erfolg bleibt aus. So fährt er wieder nach Tahiti. Aber er hat das Leben satt. Doch auch sein Selbstmordversuch missglückt. Verbittert malt er weiter, schreibt für satirische Zeitschriften und legt sich mit der Kolonialverwaltung und der Kirche an.
Bild: Staatliches Museum für Bildenden Künste A.S. Puschkin, Moskau
Späte Anerkennung
Er rafft sich noch einmal auf. Sein monumentalstes Bild entsteht: "Woher kommen wir? Was sind wir? Wohin gehen wir?" (1897). Es zeigt den Kreislauf des Lebens - von der Geburt bis zum Tod mit den Ängsten und Freuden dazwischen. Schließlich erhält er die Anerkennung, nach der er so lange gestrebt hat: Der Pariser Kunsthändler Ambroise Vollard will Gauguin finanziell unterstützen.
Bild: 2015 Museum of Fine Arts, Boston
Einsamer Tod im Paradies
Alkohol, seine miserable Gesundheit und der ständige Streit mit der Kolonialverwaltung zermürben den Maler, der immer weniger produziert. Mit nur 55 Jahren stirbt er auf der Marquesas-Insel La Dominique. Dort entsteht "Barbarische Erzählungen" (1902). Hinter den Eingeborenen hockt ein Europäer. Es ist der niederländische Maler Meyer de Haan, den Gauguin noch aus seiner Zeit in der Bretagne kennt.
Bild: Museum Folkwang, Essen
Vom Unverstandenen zur Ikone
Paul Gauguin selbst war stets von seinem Können überzeugt, doch erst nach seinem Tod begannen Sammler und Museen, sich für seine Kunstwerke zu interessieren. Heute gehört er zu den bekanntesten Künstlern der europäischen Malerei. Die Schweizer Fondation Beyeler in Basel präsentiert vom 8. Februar bis zum 28. Juni rund 50 Werke Gauguins aus internationalen Museen und Privatsammlungen.