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"Paula" - Weltpremiere beim Filmfestival Locarno

Heike Mund12. August 2016

Sie war schön, begabt und wild entschlossen, Malerin zu werden: Paula Modersohn-Becker riskierte viel dafür. Regisseur Christian Schwochow zeichnet in dem Film "Paula" die Lebensgeschichte einer radikal modernen Frau.

Filmstill Paula Otto Modersohn und Paula Modersohn-Becker
Bild: Pandora Film / M. Menke

Filmstart für "Paula"

01:03

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Eine junge Frau wandert durch eine lichtdurchflutete Landschaft, mit locker zusammengestecktem Haar und langem Rüschenkleid. Starke Filmbilder, die an Malereien erinnern: Die Kamera verdichtet die Farben zu einer romantischen Grundstimmung - wie bei einem impressionistischen Gemälde. Die Staffelei im schweren Gepäck strebt Paula, gespielt von Carla Juri (Artikelbild), zu Fuß zum Künstlerdorf Worpswede. Mit wachem Blick saugt sie neugierig die Eindrücke auf, die ihr unterwegs begegnen: Tagelöhner, Bauersfrauen, schmutzige, ärmliche Kinder, die die junge Dame aus der Stadt unverhohlen anstarren. Alle ihre Beobachtungen wird sie später in ihren Bildern verarbeiten.

Paula will malen lernen. Der Vater gibt ihr eine Chance, obwohl er nicht an ihr Talent glaubt. Aber sie setzt ihren Kopf durch – eigensinnig und mutig. In Worpswede begegnet sie dem elf Jahre älteren Otto Modersohn (im Foto li.), der als Maler in Norddeutschland bereits etabliert ist. Von dem schicksalhaften Zusammentreffen grundlegend verschiedener Künstlerseelen erzählt Regisseur Christian Schwochow in seinem neuen Kinofilm, der jetzt auf dem Filmfestival Locarno seine Weltpremiere hatte.

Starke Schauspieler (v.l.n.r.): Albrecht Abraham Schuch, Roxane Duran, Carla Juri (Paula), Joel Basman, Jonas Friedrich LeonhardiBild: Festival del film Locarno/Marco Abram

Treffpunkt: Künstlerkolonie Worpswede

Kunstinteressierte und angehende Künstlerinnen pilgerten in die berühmte Künstlerkolonie, um von den Worpsweder Malern zu lernen. "Diese Maler, die zwar sehr konservativ waren, waren trotzdem hippe, angesagte Typen in der Kunstwelt. Man fuhr nach Worpswede, weil dort die Avantgarde war", sagt Schwochow im DW-Interview.

Der Film lebt von starken Kinobildern und den Schauspielern. Albrecht Abraham Schucht (Jg. 1985) gibt dem in Wirklichkeit viel älteren Otto Modersohn mit seiner Körpersprache eine unterdrückte Jugendlichkeit. Paula erscheint Otto wie das wilde, frische Leben. Roxane Duran spielt Paulas Seelenfreundin Clara Westhoff-Rilke, die als begabte Bildhauerin an den gesellschaftlichen Zwängen einer alleinerziehenden Mutter scheitert. Joel Basmann spielt den exzentrischen Dichter Rainer Maria Rilke, der in Worpswede und später als Sekretär von Auguste Rodin in Paris seinen Vaterpflichten nur unwillig nachkommt, mit Ironie.

Die Malerin Paula Becker in Worpswede (um 1900)Bild: picture-alliance/akg-images

Das Beziehungsgeflecht dieser Künstler haben die beiden Drehbuchautoren Stefan Kolditz und Stephan Suschke zu einem filmischen Zeitbild verwoben. Nicht immer ganz historiengetreu, vieles werden Kenner der Kunstgeschichte und der Biografie von Paula Modersohn-Becker als Geschichtsklitterung bezeichnen. Aber Regisseur Christian Schwochow nimmt da für sich die künstlerische Freiheit der Filmemacher in Anspruch.

Aufbruch in die Moderne

Schwochow selbst hatte vor, Malerei zu studieren, entschied sich aber dann für die Filmhochschule. "Paula war radikal, kämpfte für ihren Weg als Frau und Künstlerin, ohne sich ideologisch oder feministisch zu empfinden", ordnet er die Malerin ein. Wie auch für seine anderen Filme hat der Regisseur vorher viel nachgelesen und in diesem Fall über die Zeit um 1900 recherchiert. "Paula malte nicht dekorativ, sie wollte den Menschen in die Seele schauen. Das Unperfekte hat sie fasziniert."

Damit befand sich Paula Becker schnell in Opposition zu den etablierten Malern der deutschen Künstlerkolonie Worpswede, die im Nachklang zum damals populären Jugendstil das Dekorative bevorzugten – und gut verkauften. Worpsweder Kunst, gediegene Stillleben und Landschaften aus dem Teufelsmoor, hingen sich nicht nur die gutbetuchten Bremer Bürger in die "gute Stube", sondern auch Kunsttouristen aus aller Welt. Nur Otto Modersohn versteht, was die aufmüpfige Paula umtreibt.

Das ehemalige Wohnhaus von Paula und ihrem Mann Otto Modersohn in WorpswedeBild: picture-alliance/dpa/I. Wagner

Malerische Kamerafahrten

Schwochow war 1990 das erste Mal in Worpswede. "Das einzigartige Licht, dieses Bild der Moorlandschaft bei grauen Wetter hat sich mir stark eingeprägt", berichtet er von seinen Erinnerungen. Und genau diese Bilder schwebten ihm vor, als er mit seinem langjährigen Kameramann Frank Lamm die Farbwelt für seinen neuen Kinofilm "Paula" entwarf.

Die starken Winterbilder wurden in Finnland gedreht, damit Carla Juri als Paula durch tiefen, verharschten Schnee in die Freiheit stapfen kann. Inzwischen hat sie Otto geheiratet, der die kleine Elsbeth mit in die Ehe bringt. Aber allen Widerständen zum Trotz folgt die junge Frau ihrer inneren Stimme, ihrer Berufung als Künstlerin. "Ich weiss, ich werde nicht sehr lange leben. Aber ist das denn traurig? Ist ein Fest schöner, nur weil es länger ist?", schreibt sie am 26. Juli 1900 in ihr Tagebuch.

Shooting Star: Carla Juri

Schauspielerin Carla Juri, geboren in Locarno, gilt als großes Talent auf der KinoleinwandBild: Festival del film Locarno/Marco Abram

Für das Casting seiner Hauptdarstellerin hat sich Regisseur Christian Schwochow viel Zeit genommen. "Ich wollte eine Schausüpielerin, die Verständnis hat für diesen unbedingten Willen einer Künstlerin, sich in Bildern ausdrücken zu müssen", erzählt er im DW-Interview. "Aber auch andere Dinge zu wollen: zu leben, zu lieben, Familie zu haben und Kinder - trotzdem kompromisslos in der Kunst zu sein, auch wenn es damals keiner kauft."

Für die Rolle der eigensinnigen Malerin Paula Modersohn-Becker bringe Carla Juri etwas Wichtiges mit, sagt Schwochow. "Carla hat ein Verständnis dafür, weil sie auch so ein unangepasstes Wesen ist und auch Rebellion kennt. Und eine große Sensibilität hat und trotzdem so eine Kraft, ihr Ding zu machen, auch wenn das aneckt."

Das Drama der begabten Frau

Kunst studieren dürfen Frauen um 1900 in Deutschland nicht. Aber Paula Modersohn-Becker hat durch ihre Heirat mit Otto Modersohn zumindest finanzielle Sicherheit. Er lässt sie gewähren, unterstützt sie, soweit er kann. Sie hat ihr eigenes Atelier, geht zum Malen in die umliegenden Dörfer und ins Moor. In der Künstlerkolonie erfährt Paula als Frau keine wirkliche Anerkennung, das erzählt der Film mit starken Szenen. Aber sie bricht aus, wirft ihre Sicherheit über Bord und geht nach Paris. In die Stadt der schönen Künste und der Liebe.

Her mit dem wilden, freien Leben: Die beiden "Malweiber" Paula und Clara in ParisBild: Pandora Film / M. Menke

Anfangs wohnt sie bei ihrer Künstlerfreundin Clara Westhoff, deren kurze Ehe mit dem Dichter Rainer Maria Rilke kläglich in die Brüche gegangen ist. Clara zieht ihr Kind allein groß, ihre Künstlerträume sind zerstoben. Sie arbeitet in der Bildhauerwerkstatt des berühmten Auguste Rodin, um über die Runden zu kommen.

Doch Paula lässt sich davon nicht beirren: Sie geht ihren Weg als eigenständige Malerin, lernt Französisch, nimmt Unterricht an einer Akademie und malt in ihrer beengten Pariser Kammer ihre wichtigsten Bilder.

Hin und her gerissen zwischen den Welten

"Kinderkopf"- Kohlezeichnung von Paula Bild: Rheinisches Bildarchiv, Köln/Sabrina Walz

Aber das Schicksal meint es nicht gut mit der begabten Paula Modersohn-Becker. Nachdem ihr Mann sie überraschend in Paris besucht hat und ihr trotz derTrennung nochmal Geld gibt, kehrt sie 1906 zu ihm zurück. Zurück in die norddeutsche Moorlandschaft, zurück in die Enge des bürgerliche Familienlebens. Wenige Monate später bringt sie unter grossen Schmerzen ein Kind auf die Welt, die kleine Mathilde. Ein kurzes Glück, denn kurz darauf stirbt sie – an Kindbettfieber.

Vor allem in diesen dramatischen Schlusszenen zeigt Carla Juri, was für eine starke Ausnahmeschauspielerin sie ist. "Wenn sie geheult hat, dann kommt eben auch der Rotz aus der Nase. Das ist Carla alles egal. In dem Moment gibt sie das ab, vertraut dem Regisseur voll und ganz und hat überhaupt keine Angst vor Hässlichkeit", berichtet Schwochow im Gespräch mit der DW von den Dreharbeiten.

Regisseur Christian Schwochow in Locarno.Bild: Festival del film Locarno/Marco Abram

Kein übliches Kino-Biopic

Eine Weltpremiere auf der Piazza Grande von Locarno – auf der riesigen Leinwand, umgeben von historischer Kulisse und mit erstklassiger Soundanlage - das kann sich ein Regisseur nur wünschen. "Es ist wie ein Rockkonzert", erzählt Christian Schwochow von der Premiere. "Du kommst von einem normalen kleinen Club, und hier ist dein erstes Stadionkonzert. So hat sich das angefühlt."

Das Publikum auf dem Filmfestival Locarno dankte ihm und seinem Kameramann diese eindrucksvolle "Paula" und die grandiosen Landschaftsbilder mit starkem Applaus. Der Film wird seinen Weg gehen - wie die Künstlerin Paula Modersohn-Becker.

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