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"Peak China": Wird das Land nie Nummer Eins?

Nik Martin
12. Juli 2024

Chinas will die USA als weltgrößte Volkswirtschaft ablösen, hat aber selbst einige Schwierigkeiten. Hauptthema einer Tagung der Kommunistischen Partei wird das schwache Wachstum.

Symbolbild China Wirtschaft
China will weniger abhängig sein von Exporten und setzt auf BinnenkonsumBild: Daniel Berehulak/Getty Images

Die Vorstellung, dass China die USA eines Tages überholen und zur größten Volkswirtschaft der Welt aufsteigen wird, beschäftigt Politiker und Ökonomen seit Jahrzehnten.

Was, so fragen sie, würde passieren, wenn die USA - eine der dynamischsten und produktivsten Volkswirtschaften - von einem autoritären Regime mit einer Dreiviertelmilliarde Arbeitskräften abgehängt werden?

Seit der Finanzkrise ab 2008, die das Wachstum in den Vereinigten Staaten und Europa über viele Jahre gedämpft hat, häufen sich die Vorhersagen, wann genau China die USA vom Spitzenplatz verdrängen wird.

Vor der Finanzkrise war Chinas Wirtschaft jahrelang zweistellig gewachsen. Und selbst in den zehn Jahren danach konnte die Wirtschaft jedes Jahr zwischen sechs und neun Prozent zulegen. Dann kam Corona.

Mehrere Rückschläge

Die Lockdowns brachten Wirtschaft und Handel zum Erliegen. Als ob das nicht schon problematisch genug gewesen wäre, musste das Land auch noch einen Immobiliencrash verkraften.

Der chinesische Immobiliensektor war auf seinem Höhepunkt für ein Drittel der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Nach der Einführung strengerer Verschuldungsregeln für Bauträger ab 2020 gingen viele Firmen in Konkurs. Schätzungsweise 20 Millionen Häuser und Wohnungen wurden nicht oder zu spät fertiggestellt und blieben unverkäuflich.

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Etwa zur gleichen Zeit wurde Chinas Wachstum dann auch noch durch sich zunehmend verschlechternde Handelsbeziehungen mit dem Westen belastet.

Die USA, die den Aufstieg des Landes lange unterstützt hatten, fingen Ende der 2010er Jahre an, Chinas wirtschaftlichen und militärischen Ambitionen Grenzen zu setzen.

Ist der Höhepunkt erreicht?

Insgesamt hatte sich Chinas wirtschaftliche Lage so stark verändert, dass vor etwa einem Jahr ein neuer Begriff aufkam: Peak China (etwa: Chinas Höhepunkt).

Die Theorie dahinter: China habe seinen wirtschaftlichen Höhepunkt bereits erreicht oder sogar überschritten und werde die USA vorerst nicht überholen.

Zu groß sei die Anzahl der strukturellen Probleme - eine hohe Schuldenlast bei Firmen und Verbrauchern, nachlassende Produktivität, geringer Konsum und eine alternde Bevölkerung.

Hinzu kommen geopolitischen Spannungen um Taiwan und das Bemühen des Westens, Alternativen zu China als Handelspartner und Produktionsstandort zu finden.

Wang Wen vom Chongyang Institut für Finanzwirtschaft an der Renmin Universität in Peking hält Peak China dagegen für einen "Mythos". Im DW-Gespräch verwies er darauf, dass China schon 2021 fast 80 Prozent der Wirtschaftsleistung der USA erreicht hat.

Solange Peking "innere Stabilität und äußeren Frieden" aufrechterhalte, werde die chinesische Wirtschaft die der USA bald überholen, so Wang.

Auch wollten noch immer Millionen Chinesen vom Land in die Städte ziehen, wo Einkommen und Lebensqualität höher sind.

Chinas Urbanisierungsrate, also der Anteil der Menschen, die in Städten leben, liege derzeit nur bei 65 Prozent, so Wang. "Wenn man für die Zukunft von 80 Prozent ausgeht, bedeutet das, dass weitere 200 bis 300 Millionen Menschen in die Städte ziehen - und das wird einen enormen Anstieg der Realwirtschaft zur Folge haben."

Wo ist die Produktivität geblieben?

Andere Ökonomen sind jedoch der Meinung, dass sich die Probleme, die zur Peak-China-Erzählung geführt haben, schon seit Jahren angesammelt haben.

"In den frühen 2000er Jahren ist die chinesische Wirtschaft schnell gewachsen, weil die Produktivität so hoch war", sagt Loren Brandt, Wirtschaftsprofessor an der Universität Toronto.

"Nach der Finanzkrise ist das Produktivitätswachstum einfach verschwunden. Es beträgt jetzt vielleicht ein Viertel von dem, was es vor 2008 war", so Brandt zur DW.

China-Beobachter hatten eigentlich auf ein umfassendes Konjunkturpaket gehofft, das die Kommunistische Partei Chinas auf einer wichtigen Tagung in der kommenden Woche (15-18.07.2024) beschließen könnte.

Inzwischen erwarten sie aber nur noch Impulse für ausgewählte Sektoren, etwa High Tech und Umwelttechnologie, außerdem Unterstützung für Rentner und die Privatwirtschaft.

Die Gesamtverschuldung von Regierung, Unternehmen und Haushalten liegt inzwischen bei rund 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ein großer Teil davon entfällt auf Gemeinden und Provinzen.

Ausländische Direktinvestitionen sind zwölf Monate in Folge zurückgegangen, allein in den ersten fünf Monaten des Jahres 2024 um 28,2 Prozent.

China verstärkt seine Chip-Produktion, seitdem die US den Export von Chips nach China eingeschränkt habenBild: picture alliance / Chu Baorui / Costfoto

Und während Peking viel Geld in die Produktion neuer Technologien investiert, beschränken einige Handelspartner im Westen ihre Importe aus China.

"Die chinesische Wirtschaft hat enorm viel in Forschung und Entwicklung, Menschen und erstklassige Infrastruktur investiert. Aber diese Investitionen werden nicht in einer Weise genutzt, die zu einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum beiträgt", sagt Brandt.

Unbeabsichtigte Folgen von Xi Jinpings Präsidentschaft

Präsident Xi Jinping hat Chinas Wirtschaft wieder stärker zentralisiert, der Staat beherrscht viele Industrien. Nach dem Willen der chinesischen Führung sollte die nächste Wachstumswelle auf dem Binnenkonsum aufbauen, um das Land unabhängiger zu machen von der Nachfrage aus dem Ausland.

Doch die privaten Haushalte halten sich mit dem Konsum zurück. Das liegt auch an steigenden Kosten für Gesundheit, Bildung und Altersvorsorge. Ihr Haushaltsvermögen ist infolge des Immobiliencrashs um bis zu 30 Prozent gesunken, so Brandt.

Die wirtschaftliche Öffnung des Landes seit dem Jahr 1978 war dagegen von Dezentralisierung geprägt, so China-Experte Brandt. Zwei oder drei Jahrzehnte lang hätten die lokalen Regierungen viel Entscheidungsspielraum gehabt.

"China hat enorm von dieser Autonomie, der Freiheit und den Anreizen profitiert, und von der enormen Dynamik des Privatsektors", so Brandt.

In den späten 2000er Jahren machte der Privatsektor noch fast zwei Drittel der chinesischen Wirtschaft aus, in der ersten Jahreshälfte 2023 nur noch 40 Prozent. Der staatliche und halbstaatliche Sektor ist dagegen stark gewachsen.

Und in der Rangliste der größten Firmen, die das US-Magazin Fortune regelmäßig erstellt, kommen zwar die meisten Firmen aus China, doch mit einer durchschnittlichen Gewinnspanne von 4,4 Prozent sind sie weniger profitabel als US-Konzerne, die hier auf 11,3 Prozent kommen.

Ist China das neue Japan?

Die große Befürchtung ist, dass Chinas Wirtschaft aufgrund all dieser Faktoren den Weg Japans gehen könnte. Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte Japan ein Wirtschaftswunder, das durch ein jahrzehntelanges hohes Wachstum gekennzeichnet war und zu einer massiven Aktien- und Immobilienblase führte.

Auf dem Höhepunkt in den späten 1980er Jahren sagten einige Ökonomen voraus, Japan werde die USA bald als größte Volkswirtschaft der Welt ablösen. Doch 1992 platzte die Blase, Milliardenwerte wurden vernichtet und die Wirtschaft geriet ins Trudeln. Seitdem ist es Japan nicht gelungen, den jahrzehntelangen Wachstumsrückstand aufzuholen.

Chinesische Wirtschaftsexperten verweisen darauf, dass Chinas Industrieproduktion schon heute größer ist als die der USA. Und dass Chinas Wirtschaftswachstum mit 5,2 Prozent im vergangenen Jahr mehr als doppelt so hoch war wie das der USA.

Auch habe die chinesische Wirtschaft die amerikanische schon 2016 überholt - zumindest dann, wann man das Bruttoinlandsprodukt um die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten bereinigt und an der Kaufkraftparität (PPP - Purchasing Power Parity) misst.

"In den vergangenen 45 Jahren war die Entwicklung Chinas mit vielen wirtschaftlichen Problemen konfrontiert", sagt Finanzwissenschaftler Wang. "Verglichen mit der Depression vor 30 Jahren, der hohen Verschuldung vor 20 Jahren und dem Immobiliencrash vor zehn Jahren sind die aktuellen Probleme allerdings nicht sehr schwerwiegend."

Dieser Beitrag wurde aus dem Englischen adaptiert.

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