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Ein angriffslustiger Kandidat

Naomi Conrad3. September 2013

Der Bundestag diskutiert die Lage in Deutschland. Angela Merkel und ihr Herausforderer Peer Steinbrück aber nutzen die Plattform, um sich gegenseitig Versagen zu attestieren - und Wahlkampf zu machen.

Der SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück spricht am 03.09.2013 in Berlin (Foto: Soeren Stache/dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

Der Kandidat, den so viele schon längst aufgegeben hatten, ist in Hochform: angriffslustig, eloquent und selbstbewusst. Drei Wochen vor der Bundestagswahl hat Peer Steinbrück zu sich selbst gefunden und wettert gekonnt gegen die Kanzlerin und ihre Koalition. Doch der Reihe nach: Dienstagmorgen (03.09.2013) im Bundestag. Die Sitzreihen im Saal sind gut gefüllt, in der Besuchertribüne reihen sich Rentner an Schüler. Das Thema: die Lage in Deutschland. Ein Thema, das sich bestens für den Wahlkampf eignet: Nach ihrem Fernsehduell am Sonntag treffen Angela Merkel (CDU) und ihr Herausforderer Steinbrück (SPD) erneut zusammen. Wieder wird sie ein ziemlich rosiges, er ein recht schwarzes Bild zeichnen. Wieder wird sie ihre Arbeit und Koalition preisen, er von Versagen und Stillstand sprechen. Eine Lage, zwei Bilder.

Zunächst also das Rosige: Angela Merkel nimmt ihren schwarzen Aktenordner und tritt ans Mikrofon. Klatschen aus den Reihen der FDP- und CDU/CSU-Politiker. Die Opposition twittert, blättert und flüstert demonstrativ weiter. Die Kanzlerin attestiert sich und ihrer schwarz-gelben Koalition "alles in allem vier gute Jahre" und zählt recht leidenschaftslos auf: vom Kita-Ausbau über die Bankenregulierung und die Stabilisierung des Euros. Deutschland unter Merkel gehe es gut, richtig gut, so die nüchterne Botschaft der Kanzlerin, die Arbeitslosenzahlen seien so niedrig wie schon lange nicht mehr. Und: "Wir haben die Leiharbeit sozial gemacht!" Peer Steinbrück gestikuliert und schüttelt den Kopf. Später wird er wettern, dass sich der Missbrauch in der Leih- und Zeitarbeit in den vergangenen vier Jahren ausgebreitet habe.

Kühl und distanziert: MerkelBild: Johannes Eidele/AFP/Getty Images

"Das mögen die Leute nicht"

Die Bürger stünden vor der Frage, ob "wir den Weg des Erfolges weitergehen, oder ob wir grobe Fehler sehen müssen, die diese Entwicklung zunichtemachen", erklärt Merkel und deutet ein Lächeln an. Der Appell gilt den Wählern, die am 22. September ihre Stimmen bei der Bundestagswahl abgeben und darüber entscheiden, wer für die nächsten vier Jahre die Regierung bildet. Die Bundestagskamera schwenkt auf die gefüllte Besuchertribüne und zoomt auf zwei junge Frauen mit identischen "I love Berlin"-Pullis, die ziemlich gelangweilt gucken.

Als Angela Merkel zum Thema Atomkraft kommt, werden die Zwischenrufe aus den Oppositionsreihen lauter. Merkel guckt kurz in die Runde und mahnt. "Das ist eines Ihrer Probleme: Dass Sie sich gar nicht freuen können über die Entwicklung in Deutschland!" Das, fügt sie hinzu, würden die Leute "gar nicht mögen". In die Oppositionsreihen kehrt Ruhe ein, Steinbrück schüttelt aufgebracht den Kopf.

Auch in der Euro-Krise und mit dem Rettungspaket für Griechenland habe man alles richtig gemacht, so Merkel. Schließlich doch ein Eingeständnis: Man sei zu langsam vorangekommen bei der Regulierung der Schattenbanken. Dann klappt die Kanzlerin ihre schwarze Mappe mit einem knappen "Herzlichen Dank" zu und geht zurück zu ihrem Platz. Anhaltender Applaus von der Koalition, Angela Merkel lächelt erstmals breit - bis ihr Herausforderer aufsteht.

Zwei Kandidaten, zwei VisionenBild: picture-alliance/dpa

"Deutschland ist unter Wert regiert worden“

Peer Steinbrück tritt ans Mikrofon und wettert los: eine Regierung im Kreisverkehr, deren Krisenmanagement, Stichwort Griechenland, gescheitert sei. Außerdem: Stillstand statt des versprochenen Aufbruchs und eine Energiewende, die das reinste Desaster sei. Er hakt ein Thema nach dem anderen ab, präzise, strukturiert. Sein Fazit: Die Kanzlerin rede immer nur von "wir werden, wir werden, wir werden“. Wer aber habe die Bundesrepublik eigentlich in den letzten Jahren regiert? Der Kanzlerin fehlten die Visionen, sie sei die Architektin der Macht, "aber nicht mehr die Architektin des Landes." Merkel lächelt nicht mehr, sondern starrt geradeaus. Ihr Gesichtsausdruck ändert sich in den nächsten 25 Minuten kaum. Die Oppositionspolitiker klatschen laut.

"Sie malen unser Land in schönen Farben", so Steinbrück, um es dann selbst ziemlich düster zu übermalen: Ein drohender Pflegenotstand, Missbrauch bei der Leih- und Zeitarbeit, fehlende Investitionen in Bildung. Seine Gesten werden immer größer, die Stimme lauter. Das Fazit: Bis hierher und nicht weiter. Deutschland brauche einen Neustart - dafür wolle er Bundeskanzler werden, ruft Steinbrück in den Saal. Mit einer rot-grünen Regierung werde es keine Rettung von ausländischen Banken geben, sondern Investitionen in die Bildung und Infrastruktur. Merkel beugt sich kurz zu ihrem Vizekanzler Philipp Rösler (FDP). Die Führung der Grünen, Steinbrücks bevorzugte Koalitionspartner im Falle eines Sieges, plaudern. Natürlich werde Rot-Grün "einige Steuern erhöhen, wir sind da ehrlich!" Der Grünen-Spitzenkandidat Jürgen Trittin klatscht kurz, dreht sich dann wieder seinen Parteikollegen zu. Auch Steinbrück lächelt, als er zurück zu seinem Platz geht, Parteikollegen lehnen sich vor und gratulieren. Angela Merkel sagt nichts. Später hantiert sie mit ihrem Handy. "Was für ein garstiger Tag in Berlin", läuft als Nachricht über Twitter. Allerdings hat das nicht die echte Angela Merkel geschrieben, sondern ein Parodist der Kanzlerin. Davon gibt es viele im Internet.

Streit im Bundestag: Merkel vs. Steinbruch

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