Pegida floppt im Westen
6. Januar 2015"Politiker sind Volksverräter", schimpfen Pegida-Sympathisanten auf ihrer ersten Kundgebung an diesem Montag in Köln und ernten dafür Zuspruch aus dem Publikum. Viele der angereisten patriotischen Europäer, die gegen eine angebliche Islamisierung des Abendlandes demonstrieren, fühlen sich von der Politik nicht verstanden.
Auf die Frage, warum sie an der teils von Rechtsextremen organisierten Kundgebung teilnehme, erklärt eine ältere Dame, sie habe Angst vor einer Überfremdung durch Migranten muslimischen Glaubens. Von den zuhörenden Teilnehmern erntet sie Kopfnicken. Ein weiterer Herr wettert, er fürchte den Verlust seines erarbeitenden Wohlstands durch "den Ausländer".
Dass diese Damen und Herren sich gegenüber Reportern äußern, ist reine Glückssache. Denn Journalisten gelten unter Pegida-Anhängern als Teil einer großen Verschwörung gegen ihre Organisation. Allerdings wollen die beiden auskunftsfreudigen Kölner angeblich nichts mit Pegida zu tun haben. Sie stünden nur am Rande der Kundgebung und wollten nur mal offen ihre Meinung sagen. "Das darf ich doch, oder?", zwinkert die Dame, dreht sich um und geht.
Hunderte Teilnehmer, kein Dialog
Im dichten Gedränge herrscht ein anderer Ton. Überall, wo Journalisten auf Mitläufer des lokalen Pegida-Ablegers Kögida treffen, werden sie als Lügner beschimpft. "Wir sprechen nicht mit denen", sagen Ordnungskräfte des Veranstalters und stören laufende Interviews, Kamerateams werden abgedrängt. Die Stimmung ist aggressiv. Kögida-Sympathisanten und Gegendemonstranten stehen sich nur wenige Meter gegenüber. "Wir sind das Volk", tönt es aus dem rechten Block. "Nein, wir sind das Volk", schallt es von den Gegnern herüber. Diese verhindern einen geplanten Marsch der selbst ernannten Abendlandretter durch die Innenstadt und zwingen letztendlich die Kögida-Veranstalter zur Aufgabe. Nicht so in Dresden, dem Ursprungsort von Pegida.
Woche für Woche gehen dort in Ostdeutschland Menschen auf die Straße, die sich selbst als "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" bezeichnen. Und es werden von Mal zu Mal mehr. Am Montag wurden knapp 18.000 Menschen bei einer Pegida-Kundgebung gezählt. Zur Gegenkundgebung fanden sich lediglich 3000 Demonstranten ein. Was in der sächsischen Hauptstadt anfing, findet in immer weiteren Städten Deutschlands Sympathisanten, die eine angeblich drohende Überfremdung durch Muslime befürchten.
Doch anders als in Dresden stoßen Pegida-Märsche außerhalb Sachsens stets auf enormen Widerstand: Auch immer wieder montags demonstrieren Tausende für ein buntes, multikulturelles und offenes Deutschland. Sie versuchen damit, ein deutliches Zeichen für Solidarität mit Flüchtlingen und Migranten zu setzen. Aber warum ist außerhalb Sachsens der Widerstand gegen das als rechts kritisierte Bündnis so groß? Und warum ist Pegida in Dresden so erfolgreich?
In Sachsen treffe ein strenger Konservatismus auf extrem rechtes Gedankengut, schreibt der Politologe Michael Lühmann in einem Gastbeitrag der Wochenzeitung "Die Zeit". Die Euro-kritische Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) und die rechtsextreme NPD seien dort sehr stark vertreten - anders als in anderen Bundesländern. "Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" gegen Mitbürger, die davon abweichen, was man selbst zur Norm erklärt, sei in Sachsen eine normale und relevante Position in der politischen Auseinandersetzung. "Im Parlament steht dafür bisweilen die CDU", die dort einiges konservativer auftrete, als im Rest Deutschlands, so Lühmann.
Diffuse Angst vor Unbekanntem
Einige Sozialforscher meinen, dass das Pegida-Bündnis einen solchen Zulauf hat, da ihre Bewegung durch eine diffuse Angst vor sozialem Abstieg genährt werde. Für den Leiter des Instituts für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung an der Uni Bielefeld, Andreas Zick, ist es nicht verwunderlich, dass so viele Menschen in Dresden sich gegen die Zuwanderung und Muslime positionieren, denn die Demonstrationen sind da besonders stark, "wo interkulturelle Kontakte fehlen, wo Diversität und Vielfalt nicht anerkannt wird."
Laut Zick erklärt das, warum die Demonstrationen vor allem im Osten der Republik so großen Zulauf haben. Nämlich dort, wo am wenigsten Ausländer leben und Muslime eine verschwinden kleine Minderheit sind. Es gebe nicht bestätigte Vorurteile durch reine Unwissenheit, sagt Naika Foroutan, Sozialwissenschaftlerin an der Universität Berlin und Mitglied im Rat für Migration. Die Islamisierung finde de facto nicht statt, wenn nur fünf Prozent der Bevölkerung einen muslimischen Hintergrund haben. "Diese Zahlen werden systematisch überschätzt", so Foroutan im DW-Interview.
Pegida spaltet die Gesellschaft
Hans-Joachim Maaz ist Psychiater, Vorsitzender der Stiftung Beziehungskultur in Halle und Autor des Buchs "Gefühlsstau", in dem er über die Befindlichkeit der Ostdeutschen schreibt. Er sieht das Schreckgespenst einer angeblich drohenden Islamisierung als Anknüpfungspunkt einer eigentlich systemkritischen Protestbewegung: In Ostdeutschland gebe es tatsächlich eine Enttäuschung über die Wende, über die nicht erfüllten Hoffnungen dem Westen gegenüber. Wichtig sei, diese Bewegung nicht abzuwerten und zu verteufeln, sondern "versuchen zu verstehen, den Dialog, das Gespräch finden, um dieses differenzierte Protestpotenzial weiter zu analysieren", sagte Maaz dem "Deutschlandfunk".
Die Politik hingegen geht lieber weiter auf Distanz. Ex-Kanzler Helmut Schmidt (SPD) kritisiert die Bewegung scharf. "Die Pegida-Proteste appellieren an dumpfe Vorurteile, an Fremdenhass und Intoleranz", sagte er der Bild-Zeitung. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) sagte dem Blatt: "Pegida schadet nicht nur unserem Land, es wirft auch ein schlechtes Bild auf Deutschland im Ausland." Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird mit den Worten zitiert: "Parolen ersetzen keine Fakten: Deutschland braucht Zuwanderer. Und wir müssen ein Herz haben für Flüchtlinge in Not."
Die Pegida-Proteste in Deutschland werden inzwischen auch sehr aufmerksam im Ausland verfolgt. So interviewte beispielsweise der US-Nachrichtensender CNN jetzt Bundesinnenminister Thomas de Maizière zu dem Thema. In dem Gespräch gestand der CDU-Politiker ein, dass Politik und Medien derzeit Probleme hätten, "einige Teile der Gesellschaft zu erreichen".