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Literatur

"Das freie Wort ist unfrei wie nie!"

19. Juli 2022

Covid, Zensur und Willkür: Die Meinungsfreiheit leidet, sagt die neue Writers-in-Prison-Beauftragte der Schriftstellervereinigung PEN Deutschland, Cornelia Zetzsche.

Mikrofone neben einer brennenden Kerze
In vielen Ländern der Erde ist die Meinungs- und Pressefreiheit bedrohtBild: Dragan Maksimovic/DW

DW: Cornelia Zetzsche, wie geht es dem freien Wort in der Welt?

Cornelia Zetzsche: Das freie Wort ist so unfrei wie nie. Die Welt ist nicht besser geworden. Covid hatte verheerende Auswirkungen. Zum einen finanzieller Art, denn auch Autoren müssen leben. Und wenn der Lockdown einem Berufsverbot gleichkommt wie in Indien, wie in Simbabwe, dann ist die Lebensgrundlage und damit auch die Arbeitsgrundlage entzogen. Wenn Covid-Restriktionen die Straßen leerfegen, dann fehlt die Öffentlichkeit. Und Öffentlichkeit und Austausch ist die Grundlage für Presse-, für Meinungsfreiheit, für Informationsfreiheit.

Mutige Aktivistin: Tsitsi Dangarembga

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Covid hat in überbelegten Gefängnissen ohne medizinische Versorgung auch Opfer unter den politischen Häftlingen gefordert. So starb zum Beispiel ein Dichter wie Aaron Atabek in Kasachstan kurz vor Ende seiner 18-jährigen Haft an Covid.

Covid hat den Machthabern, die daran Interesse hatten, in die Hände gespielt?

Ja, natürlich: Restriktionen aller Art, die Straßen leer, finanzielle Einbußen, die Literaten können nicht mehr arbeiten - auf alle Fälle war das eine Begünstigung der Autokratien.

Was nützt es autokratischen Machthabern, die Meinungs- und Pressefreiheit einzuschränken?

Es geht um Macht, um Korruption, um Bereicherung. Und wenn jemand wie die Friedenspreisträgerin Dangarembga beschreibt, wie beispielsweise in Simbabwe Militärkrankenhäuser als Schutz gegen Covid für die Elite, für die Regierungspartei "Zanu PF", gebaut werden, aber keine Krankenhäuser für die Bevölkerung, für die Covid ein Todesurteil wäre, dann ist das natürlich nicht gewünscht. Dann fühlt sich die Regierung bedroht. Wenn ein Rapper wie  Innocent Bahati in Ruanda vom Hunger singt, während die Elite im Luxus schwelgt, dann kann das die soziale und politische Ruhe gefährden. Oder wenn eine Aleksandra Skochilenko in Russland Preisschilder in den Supermärkten durch Information über den Krieg ersetzt, dann stimmt das Narrativ Putins nicht mehr. Also: Wissen ist Macht. Das Wort hat Macht.

Cornelia Zetzsche iist Vizepräsidentin und writers-in-prison-Beauftragte des PEN-Zentrums DeutschlandBild: PEN-Zentrum Deutschland

Die Schriftstellervereinigung PEN hat jetzt ihre neue Case List vorgelegt, eine beispielhafte Nennung verfolgter Autorinnen und Autoren. Warum?

Jede und jeder politische Gefangene hat natürlich ein Gesicht. Aber es gibt Situationen und Strukturen, da sind die Namen und Fälle symptomatisch. Ganz vorne die Türkei, die Spitzenreiter ist bei der Inhaftierung von Journalistinnen und Akademikerinnen und Literaten, zur Zeit rund 300.000. Darunter sind auch Ehrenmitglieder des PEN wie Selahattin Demirtaş, ein Oppositionspolitiker, der in Haft begonnen hat zu schreiben. Oder der Kulturmäzen Osman Kavala: lebenslange Haft dafür, dass er sich für die kulturelle Vielfalt im Vielvölkerstaat Türkei eingesetzt hat.

Die Argumente sind übrigens in allen Ländern ähnlich: der Vorwurf, die nationale Sicherheit zu gefährden, der Vorwurf, einer terroristischen Organisation anzugehören oder irgendeine Ikone des Landes beleidigt zu haben - wie Orhan Pamuk zum Beispiel Atatürk beleidigt haben soll mit seinem Pest-Buch. Die Fälle gleichen sich, die Instrumentarien der Unterdrückung sind immer ähnlich.

Die Untersuchungshaft wird immer länger, auch die Strafen. Immer mehr Menschen verschwinden. Früher war das nur in Lateinamerika so, heute in der ganzen Welt. Und das Schlimme ist: Viele dieser Autokraten wie Erdoğan, wie Narendra Modi in Indien sind gewählte Vertreter! Das sollte hellhörig machen.

Auch im Netz wird die Meinungsfreiheit beschnitten Bild: Rafael Henrique/ZUMA Wire/imago images

Was kann der PEN, was können Kritiker solcher Autokratien und dieser Vorgehensweisen erreichen?

Der PEN International, die vielen Zentren zwischen Sydney und New York und auch das PEN-Zentrum Deutschland verfügen über ein ganzes Instrumentarium. Das fängt bei Mahnwachen an, geht über finanzielle Hilfen für Betroffene, auch deren Familien. Es hat Briefaktionen an Häftlinge und an die Regierungen gegeben. Wir können Lobbyarbeit betreiben.

Das ist das eine. Was dann doch, bei allem Elend, Hoffnung macht, ist, wenn wir zum Beispiel zwölf afghanische Autorinnen und ihre Familien - über 100 Leute - aus Afghanistan holen können. Oder wenn ein türkischer Autor wie Ahmet Altan, der nichts getan hat, als seine Meinung zu äußern, endlich freikommt.

Wir überlegen gerade, dass ich als Prozessbeobachterin zum nächsten Verhandlungstag von Tsitsi Dangarembga nach Simbabwe fahre, um zu sagen: "Hier ist die Weltöffentlichkeit!" Also da gibt es doch ein ganz großes Besteck an Instrumentarien, mit denen wir gelegentlich auch Erfolge feiern.

Die Literaturkritikerin und Kulturjournalistin Cornelia Zetzsche ist Vizepräsidentin und writers-in-prison-Beauftragte des deutschen PEN-Zentrums in Darmstadt. Mit ihr sprach Stefan Dege.

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