Per Express zur ISS
3. August 2012Zum 48. Mal ist am 1. August eine russische Progress-Kapsel zur Internationalen Raumstation ISS geflogen. Was nach Routine klingt, war tatsächlich ein Jungfernflug: Denn erstmals hat das Raumschiff binnen weniger Stunden die ISS erreicht und nicht erst nach mehr als zwei Tagen, wie es bisher üblich war. Die russische Weltraumbehörde Roscosmos möchte künftig die Raumstation auf der Schnellspur anfliegen.
Noch in diesem Jahr soll ein zweiter Testflug eines unbemannten Materialtransporters erfolgen. Ab etwa Mitte 2013 könnten dann auch Menschen an Bord der Sojus-Kapseln in knapp sechs Stunden zum Außenposten in der Umlaufbahn gelangen. Der Flug von Baikonur zur Raumstation dauert dann nur noch so lange wie eine Zugfahrt von Hamburg nach München.
Zurück in die Zukunft
Das neue Flugverfahren ist tatsächlich ein sehr altes. Bei den ersten Kopplungsmanövern im All in den 60er Jahren war das Andocken auch stets nach nur wenigen Stunden erfolgt – und zwar sowohl in der sowjetischen als auch in der US-amerikanischen Raumfahrt. Damals ließ die Technik keine andere Wahl, weil Menschen nicht viel länger in den kleinen Startkapseln überleben konnten.
Als es später um das Ansteuern dauerhaft betriebener Raumstationen ging und die Raumschiffe besser ausgestattet waren, wechselte man zu Anflugverfahren, die bis zu zwei Tage in Anspruch annahmen. Ein längerer Anflug ist technisch meist etwas einfacher und lässt vor allem bei plötzlichen Problemen mehr Flexibilität.
Die Position auf der Bahn muss perfekt stimmen
Der jetzt von der Progress-Kapsel geflogene Kurs verlangt dagegen größte Präzision. Der Weltraumbahnhof muss beim Start exakt in der Bahnebene der Raumstation liegen. Dadurch wird vermieden, dass das Raumschiff beim Anflug zu große Kurven nach links oder rechts fliegen muss. Solche Manöver kosten sehr viel Treibstoff.
Auch bei früheren Flügen hatte man auf eine gute Bahnlage beim Start geachtet. Allerdings gab es bisher einen großen Spielraum, wo sich die ISS auf ihrer Bahn gefunden hat. Im Laufe von mehr als zwei Tagen, in denen die Progress-Kapsel 34mal die Erde umrundet, war die Raumstation auch dann noch einzuholen, wenn sie beim Start auf der anderen Seite der Erde gewesen ist. Dagegen dürfen das startende Raumschiff und die ISS beim 6-Stunden-Flug, was nur vier Erdumrundungen entspricht, anfangs maximal etwa 2000 Kilometer voneinander entfernt sein.
Lange Vorbereitung erforderlich
Im Laufe des Juli war die Raumstation durch mehrere Manöver so positioniert worden, dass am Abend des 1. August alles passte: Die Progress-Kapsel startete, während die ISS nur wenig entfernt über Zentralasien zog. Mit Hilfe einiger Triebwerkszündungen innerhalb der ersten vier Stunden gelangte das Raumschiff zum Rendezvous mit der Raumstation.
Seit dem Ende der Shuttle-Flüge zieht die ISS in 400 Kilometern Höhe ihre Bahn, zuvor flog sie 60 Kilometer niedriger. Die größere Höhe macht die Vorbereitungen für einen 6-Stunden-Flug etwas einfacher, prinzipiell ist die ISS aber auch in niedrigerer Höhe über die Schnellspur zu erreichen.
Ab 2013 Expressflüge für Menschen
Im Herbst soll ein weiteres Mal ein unbemannter Progress-Transporter binnen sechs Stunden zur Raumstation fliegen. Sollten auch bei diesem zweiten Test keine Probleme auftreten, könnten ab Mitte des kommenden Jahres auch Menschen an Bord der Sojus-Kapsel schneller zum Orbitalkomplex in der Umlaufbahn gelangen. Der Besatzung bliebe dann erspart, sich mehr als zwei Tage in den sehr engen Sojus-Kapseln aufhalten zu müssen.
Die Kapseln sind robust, bieten aber keinerlei Komfort. Zudem drehen sie sich ganz langsam wie Hähnchen im Grill, um eine Überhitzung durch einseitige Sonneneinstrahlung zu vermeiden. Die Besatzungen leiden oft unter Schwindel und Übelkeit. Der Kurztrip von Baikonur ins All wäre also sehr viel angenehmer – und die Astronauten und Kosmonauten könnten weniger gestresst viel schneller ihren Dienst auf der Raumstation antreten.