Per Wohnmobil von Wuppertal nach China
5. Mai 2020Auf einem der Fotos, die Jochen Dieckmann von seiner Weltreise mitgebracht hat, trägt er ein schwarzes T-Shirt. Darauf steht: "Machen ist wie wollen, nur krasser". Dieser Spruch bringt Dieckmanns Botschaft auf den Punkt: Ins Auto setzen und losfahren. Nicht diskutieren. Der Zeitpunkt war für Dieckmann auch klar. "In China wollte ich unbedingt meinen 60. Geburtstag feiern."
Von Vorbereitungen und Wegelagerern
Natürlich benötigt man einige Vorbereitungen, die nötigen Papiere und Visa. Ein halbes Jahr Auszeit wäre auch nicht schlecht. Denn von Wuppertal nach Chengdu sind es knapp 8.000 Kilometer. Luftlinie versteht sich. Mit dem Camper kommt da locker das Dreifache zusammen. Das schafft man nicht in einem Monat.
Und trotzdem mache es keinen Sinn, ewig über so ein Vorhaben nachzudenken. Darüber, was alles schiefgehen oder welche Krankheiten man sich holen könne oder um wie viel Schmiergeld man erleichtert werde, um weiterfahren zu können, erzählt Dieckmann der DW. "Das passierte gar nicht so oft", so Dieckmann. "Nur zweimal in Kasachstan. Da haben sie Geld verlangt für nichts."
Später hätten sich er und sein Mitfahrer, der 29-jährige Neffe Pablo mehrere Male erfolgreich gegen die Abzocke gewehrt. "Wenn man 25.000 Kilometer unterwegs ist, lernt man nicht nur sein Fahrzeug kennen, sondern auch, worauf man bei Bakschisch-Forderungen achten muss." Oft reiche es, Polizisten, die Geld fordern, um eine Quittung zu bitten und Fotos von ihren Fahrzeugen zu machen, auf denen auch die Nummernschilder zu erkennen sind.
Plädoyer gegen Vorurteile
"Das meiste, was den Menschen hierzulande zum Thema China einfällt, erinnert mich stark an den Kalten Krieg", schreibt Dieckmann am Anfang seines Buches. Es sei eine Ansammlung von Klischees, die die Europäer von den Menschen der aufstrebenden Macht in Fernost hätten.
Doch halt, wir sind ja noch nicht einmal losgefahren. Warum so früh im Buch schon diese harsche Kritik an den Chinakritikern? Weil er befürchtet, sagt Dieckmann, dass die bestehenden Vorurteile gegenüber dem Reich der Mitte so weit verbreitet sind, dass es kaum einem Leser möglich sei, sich offen diesem Land zu nähern. Seite für Seite, Kilometer für Kilometer.
Fremde Kulturen und fleischhaltige Kulinarik
Und dann geht es endlich los. Auf Seite 28 passiert der Camper die Grenze zwischen Ungarn und der Ukraine. Über das Schwarze Meer nach Georgien und Aserbaidschan. Über das Kaspische Meer nach Kasachstan, Usbekistan und Kirgisistan. Schließlich über die Grenze nach China.
Apropos 28. So alt ist auch der Ford Transit, den Dieckmann für seine Reise angeschafft hat. Was dem Camper alles widerfährt, dürfte allein Gesprächsstoff für mehrere Reisevorträge bieten. Dieckmann redet zwar auch von Reifenpannen, aber viel enthusiastischer von zerstörten Radlagern bis hin zum Getriebe, "das Good-Bye sagte". Allerdings erst im Zielland.
Es geht es über Täler und Passhöhen durch Wüsten und Wälder, vorbei an Schlammvulkanen, Öl- und Baumwollfeldern, einem Fußball-Europa-League-Finale in Baku, einem Schiffsfriedhof auf dem ausgetrockneten Aralsee und hinein in fremde Kulturen.
Unterwegs gibt es gibt Spezialitäten wie Tschanachi (Hammeleintopf mit Auberginen) oder Chatschapuri (mit Käse und Knoblauch gefülltes Weißbrot), allerdings serviert man in den ehemaligen Sowjetrepubliken überwiegend alle Variationen von Schaschlik. Fleischspieße als Grundnahrungsmittel, wochenlang. Vegetarier seien gewarnt.
China – zwischen Aufbruch und Unterdrückung
Von seinen Eindrücken im Zielland China schwärmt Dieckmann: Von Skylines, die man sonst nur von amerikanischen Großstädten kenne, von wunderbar zu befahrenden Autobahnen oder von der Qualität chinesischer Technologieprodukte, deren Ingenieure es schon lange nicht mehr nötig hätten, westliche Standards zu kopieren.
China sei kein Land, das ihm Angst mache, sagt Dieckmann. "Die waren die letzten 40 Jahre nicht in einen einzigen Krieg involviert." Die außergewöhnliche Präsenz von Sicherheitskräften in der Provinz Xinjiang, wo auch die muslimischenUiguren leben, bereite ihm allerdings schon ein "mulmiges Gefühl". Hier sei China "zum Abgewöhnen".
Fernweh und Plagegeister
Während der vier Monate dauernden Reise auf knapp 270 Seiten mag sich mancher Leser beim Fernweh ertappen, wie sich die Seele mit Neid vollsaugt. Besonders jetzt in Zeiten von Corona, wo für die meisten der exotischste Trip ein Spaziergang über die Diele auf den Balkon zum Hinterhof ist.
Dieses Buch ist kein Reiseführer, sondern ein Tagebuch. Es vermittelt ganz subjektive Eindrücke. Manche oberflächlich, manche unterhaltsam und eindringlich, aber nie gefährlich oder bedrohlich. Ein Hexenschuss und die allgegenwärtigen Mücken stellen sich als größte Plagegeister heraus.
Wer Jochen Dieckmann danach fragt, wie ihn diese Reise verändert hat, der vernimmt einen zufriedenen Seufzer. "Man erkennt, was wichtig ist und was nicht", sagt er. In Situationen, in denen er sich früher noch aufgeregt hat, zum Beispiel wenn ihm ein anderer Autofahrer den Weg abschneidet, bleibt er mittlerweile ruhig und gelassen.
Jochen Dieckmann: "Ferner Osten auf der Überholspur", Westend Verlag 2020, 256 Seiten