Perspektive in Aussicht
12. Februar 2002Im ersten Jahr allerdings ist die Auswahl nicht nur ermutigend ausgefallen.
Drei Frauen in Berlin auf der Suche nach dem Lebensglück - beim Putzen? Der Dokumentarfilm "Der Glanz von Berlin" von Antje Kruska und Judith Keil begleitet seine Protagonistinnen geduldig, neugierig aber nie voyeuristisch.
Die elegante Ingeborg, die außer einer neuen Putzstelle auch einen geeigneten Lebenspartner sucht; die lustige Gisela, die tagsüber ihre Putzkolonne zum Lachen bringt und mit ihrem Mann seit 35 Jahren beneidenswert harmonische Abende verbringt; schließlich Delia, die aus Argentinien nach Europa kam, um als Malerin zu leben und heute bei betuchten Berlinern die Dachgeschossfenster putzt.
"Der Glanz von Berlin" ist als "Kleines Fernsehspiel" für das Zweite Deutsche Fernsehen entstanden. Und über die Kinotauglichkeit des Films könnte man auch geteilter Meinung sein. Aber die beiden 28-jährigen Regisseurinnen haben mit ihrem sensiblen Porträt eines der Highlights der neu eingerichteten Berlinale-Sektion "Perspektive Deutsches Kino" geschaffen.
Der deutsche Film hat eine Perspektive. Warum auch nicht. Nur auf der Berlinale hatte er lange keine. Ab diesem Jahr soll das anders werden: Der Wettbewerb zeigt vier deutsche Filme. Die traditionelle Marktschau von Heinz Badewitz heißt jetzt, eingängiger fürs internationale Fachpublikum, "German Films". Und schließlich rief Berlinale-Leiter Dieter Kosslick einen viel versprechenden neuen Mitarbeiter ins Team: Die Aufgabe des Filmjournalisten, Verleihers und Produzenten Alfred Holighaus sei es, die Verbindung zwischen der Berlinale und den Verleihern, den Rundfunksendern, dem Fernsehen und den Produzenten zu stärken. Diese Aufgabe kann Holighaus sicher problemlos erfüllen. Seine Visitenkarte ist aber die Auswahl der zehn Filme seiner Sektion.
Ein erstes Problem mag hier in der Abgrenzung zu den anderen Sektionen liegen. "Klassenfahrt" von Henner Winckler und "Bungalow" von Ulrich Köhler beispielsweise sind zwei junge deutsche Filme, die in anderen Sektionen laufen - und den "Perspektiven" gut gestanden hätten. Dort gibt es stattdessen Filme zu sehen, die auch schon auf anderen Festivals liefen - für die anderen Berlinale-Sektionen ein Tabu.
"Der Glanz von Berlin" lief bereits bei den letzten Hofer Filmtagen. Die Kurzfilmrolle "99 Euro Films" hatte ihre Premiere im Spätsommer beim Filmfest Oldenburg. "Happiness is a Warm Gun" gab es zwei Wochen vor der Berlinale in Saarbrücken zu sehen. Ebenso wie "Fickende Fische". Alle vier sind in ihrer Erzählweise gute Beispiele für Tendenzen des deutschen Films. Gut für Oldenburg und Saarbrücken. Nicht so gut für die "Perspektiven". Denn die verbleibenden Filme wirken teilweise wie Notnagel - und lassen ein bisschen hoffen, dass diese Auswahl nicht die ganze Perspektive des deutschen Kinos sein mag.
Wo "Mutanten" von Katalin Gödrös und "Fickende Fische" noch charmant aber naiv ihre Teenager-Geschichten erzählen, wirken einige der 99-Euro-Filme von bereits etablierten Regisseuren wie Mark Schlichter oder Michael Klier im Vergleich mutiger. Schade nur, dass sie so kurz sind.
Ziemlich lang wirkt dagegen "Verrückt nach Paris" von Eike Besuden und Pago Balke. Der Spielfilm schickt Laiendarsteller aus einem Bremer Behindertenprojekt zusammen mit Corinna Harfouch und Dominique Horwitz auf eine sicherlich gut gemeinte, aber filmisch erschreckend einfach und inhaltlich unangenehm betulich erzählt Reise.
Die deutsch-schweizer Produktion "Happiness is a Warm Gun" von Thomas Imbach nimmt sich des ehemaligen "Grünen"-Traumpaars Petra Kelly und Gert Bastian an - und erlaubt den Zuschauern durch einen schönen dramaturgischen Einfall, die letzten Sekunden im Leben der von ihrem Partner erschossenen Politikerin in gedehnter Zeit aber sehr kurzweilig - und großartig gespielt - mit zu durchleben.
Ebenfalls beeindruckend ist der autobiografische Dokumentarfilm "Mein kleines Kind", in dem Katja Baumgarten ihre Schwangerschaft mit dem jüngsten Sohn ab der Ultraschall-Diagnose eines Fehlbildungssyndroms begleitet - und dabei radikal persönlich aber fundiert über Pränataldiagnostik, Abtreibung und Hausgeburten reflektiert. Das Ergebnis ist ein einmaliges Dokument, ohne jedoch als digital gedrehtes "Homevideo" auch filmisch eine Perspektive zu bieten.
Man kann es mutig nennen, in das größte internationale Filmfestival hierzulande eine Reihe aufzunehmen, deren Filme teils so eindeutig in keiner anderen Sektion Aufnahme gefunden hätten, die teils so experimentell ("80.000 Shots" von Manfred Walther), gefällig ("Absolut Warhola" von Stanislaw Mucha) oder absichtlich trashig ("The Antman" und "Detective Lovelorn") sind, dass sie als Perspektiven kaum taugen.
Da es als Ausgleich die Wettbewerbsfilme und starke Beispiele in Panorama und Forum gibt, scheint es unterm Strich dennoch die erste Berlinale seit langem zu werden, die über das Filmschaffen hierzulande einen Überblick gibt, die es einzuschätzen und auch auszuwählen weiß.