1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Hoffnung für Opfer von Zwangssterilisation

Cristina Papaleo
12. Februar 2021

Hunderttausende Indigene wurden in den neunziger Jahren in Peru zwangssterilisiert – zur Armutsbekämpfung. Bis heute kämpfen die Betroffenen für eine Wiedergutmachung. Jetzt könnte der erste Schritt dazu getan sein.

Zwangssterilisationen in Peru
Frauenverbände in Lima demonstrieren für Entschädigungen für die Opfer von ZwangssterilisationenBild: Siara Horna/DW

Schätzungen zufolge wurden zwischen 1996 und 2000 in Peru mehr als 300.000 Frauen und rund 22.000 Männer Zwangssterilisationen unterzogen. In den meisten Fällen ohne Anästhesie und ohne postoperative Versorgung.

Diese staatlichen Gewaltakte waren Teil des so genannten "Nationalen Programms für Reproduktive Gesundheit und Familienplanung" und wurden von der Regierung Alberto Fujimori (1990 - 2000) verübt, die sie als Maßnahme zur Armutsbekämpfung propagierte. Obwohl sie vom Internationalen Strafgerichtshof als Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft werden, hat die peruanische Justiz sie bis heute nicht vollständig aufgeklärt. Die Täter wurden weder verurteilt noch bestraft.

Späte Anerkennung

Erst jetzt, mehr als 20 Jahre später, hat der peruanische Staat das Recht der Opfer auf Entschädigung anerkannt. Mit dieser Entscheidung werden diese Menschen in ein Entschädigungsprogramm für die Opfer des internen Konflikts einbezogen, in dem sich in den 1980er und 90er Jahren die peruanischen Streitkräfte und die bewaffneten Gruppen des "Leuchtenden Pfades" und die Revolutionäre Bewegung Tupac Amaru (MRTA) gegenüberstanden.

Das Zwangssterilisationsprogramm zielte auf Frauen im gebärfähigem Alter ab, die meisten von ihnen aus unterprivilegierten und ärmlichen Verhältnissen. Viele waren einheimische Ureinwohnerinnen und Binnenvertriebene. Einige von ihnen waren noch kinderlos.

Exemplarisch ist der Fall von Mamérita Mestanza Chávez, einer 33-jährigen Frau, die von 1996 bis 1998 eingeschüchtert wurde, bis sie unter Druck zustimmte, sich einer Operation zu unterziehen. Sie erhielt weder vor noch nach der Operation medizinische Hilfe, erlitt schwere Verletzungen und starb an den Folgen. Ihr Fall wurde 2003 der Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte (IACHR) vorgelegt.

Die peruanische Staatsanwaltschaft stellte die Ermittlungen mehrmals ein, was Proteste der peruanischen Gesellschaft und von Menschenrechtsorganisationen hervorrief. Schließlich wurde der Fall wieder aufgerollt, aber die Verantwortlichen wurden bis heute nicht vor Gericht gestellt.

"Rückzieher und Rückschläge"

Der Kampf gegen die Straflosigkeit dauert schon mehr als ein Jahrzehnt an und wird von verschiedenen Frauen- und Menschenrechtsbewegungen geführt. Überlebende und Angehörige von Opfern der systematischen Zwangssterilisation fordern weiterhin Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

Maria Ysabel Cedano leitet die peruanische Frauenrechtsorganisation DEMUSBild: María Ysabel Cedano

Die neue Regelung erkennt Opfer von "sexueller Gewalt in all ihren Formen" an, wozu auch Zwangssterilisationen ohne das Wissen oder die Zustimmung der Betroffenen gehören, sagt Maria Ysabel Cedano, Anwältin und Direktorin der Frauenrechtsorganisation „Estudio para la Defensa de los Derechos de la Mujer" (DEMUS), gegenüber DW.

Dies sei ein Meilenstein, ein wichtiger Schritt vorwärts in der Anerkennung der Rechte der Opfer, sagt sie. Obwohl der peruanische Staat die Rechte der Opfer bereits mehrfach anerkannt hat, gab es immer wieder "Rückzieher und Rückschläge", so die Juristin.

Prozess gegen Fujimori

Rocío Silva Santisteban, Kongressabgeordnete des Links-ökologischen Wahlbündnisses Frente Amplio, kritisiert gegenüber der DW, dass die Partei des Expräsidenten Alberto Fujimori, die in den vergangenen 15 Jahren die Mehrheit im Kongress hatte, bis heute leugnet, dass es überhaupt einen internen bewaffneten Konflikt in Peru gab.

Perus Ex-Präsident Alberto Fujimori muss sich nun auch vor Gericht wegen der Zwangssterilisationen in den 1990er Jahren verantwortenBild: picture-alliance/dpa/R. Garcia

Der Expräsident selbst, in dessen Amtszeit von 1990 bis 2000 das staatliche Programm zur Zwangssterilisation fällt, sitzt derzeit in Peru eine jahrzehntelange Haftstrafewegen Korruption und Verstößen gegen die Menschenrechte ab. Ein neuer Prozess soll ihn nun auch wegen der systematischen Zwangssterilisationen zur Rechenschaft ziehen. Für den 1. März ist eine Anhörung anberaumt, in der die Staatsanwaltschaft ihre endgültige Anklage gegen Fujimori und ehemalige hohe Beamte des Gesundheitswesens präsentieren wird.

"Es ist ein Megaprozess und der erste seiner Art in Peru. Fast 1.700 Opfer haben den peruanischen Staat verklagt", sagt die Kongressabgeordnete Silva Santisteban. Es ist ein wichtiger Prozess, der Frauen wie Mamérita Mestanza und vielen weiteren Opfern Gerechtigkeit widerfahren lassen soll.

Hoffen auf die peruanische Justiz

Für María Ysabel Cedano bedeutet die Aussicht auf Entschädigung der Opfer auch die Begleichung einer historischen Schuld. Mit der zynischen Begründung, die Armut im Land bekämpfen zu wollen, habe der Staat damals über den Körper der Frauen entschieden: "Alles war so organisiert, dass die medizinischen Einrichtungen bestimmte Quoten bei der Sterilisation erfüllen mussten", erklärt die Frauenrechtlerin. Wenn diese nicht erfüllt wurden, sei auch keine Prämie gezahlt worden. "Und so ging man auf die Suche nach geeigneten Frauen". Manche junge Frau sei damals zum Frauenarzt gegangen, habe dort eine Schlaftablette bekommen und sei dann teils ohne ihr Wissen oder Einverständnis zwangssterilisiert worden.

Gewalt gegen Frauen in Peru

03:03

This browser does not support the video element.

Die Aufarbeitung dieser brutalen Prozedur schlägt in Peru ein neues Kapitel im Kampf gegen die Straflosigkeit auf. Ob und wann die Entschädigungen tatsächlich bei den Überlebenden und den Familien der Opfer ankommen werden, bleibt jedoch ungewiss.