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Perus kleines Wirtschaftswunder

Tobias Käufer
21. Oktober 2024

Das südamerikanische Land erlebt eine Phase politischer Instabilität. Aber gleichzeitig erzielt die Wirtschaft erstaunliche Wachstumsraten.

Der Große Platz vor der Kathedrale von Lima, der Hauptstadt Perus
Der Große Platz vor der Kathedrale von Lima, der Hauptstadt PerusBild: Florian Kopp/imageBROKER/picture alliance

Nicht einmal zur UN-Vollversammlung durfte Dina Boluarte reisen: Mit 55 zu 50 Stimmen untersagten die Abgeordneten der peruanischen Präsidentin die Reise nach New York im September. Das Nein passt zur allgemeinen politischen Stimmungslage und zum Klima in dem südamerikanischen Land.

Mit Zustimmungswerten von gerade einmal zehn Prozent gehört Boluarte zu den unpopulärsten Regierungschefs weltweit. Vorwürfe der persönlichen Bereicherung wegen der Annahme von Luxus-Uhren haben dazu beitragen, auch wenn Boluarte die Vorwürfe vehement bestreitet.

Die umstrittene Präsidentin Dina Boluarte präsentiert demonstrativ ihre Armbanduhr Bild: STRINGER/AFP/Getty Images

Beachtliches Wachstum

Im deutlichen Gegensatz dazu steht die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Mitte September erklärte Wirtschafts- und Finanzminister Jose Arista unter Berufung des Nationalen Instituts für Statistik und Informatik (INEI), dass das Brutto-Inlandsprodukt im Juli um 4,5 Prozent gestiegen sei. Die Markterwartungen seien damit übertroffen worden, in vier Monaten in Folge habe es ein Wachstum gegeben.

Getragen sei diese Entwicklung durch ein überdurchschnittliches Wachstum in den Sektoren Fischerei (14,9 Prozent), verarbeitendes Gewerbe (12,6 Prozent) sowie eine gesteigerte Förderung von Flüssiggas und Erdgas (21 Prozent). Das lässt die Unternehmer positiv nach vorne blicken: Mehr als ein Drittel (37 Prozent) der Arbeitgeber erwägt zusätzliche Arbeitskräfte einzustellen, ergab laut Nachrichtenagentur Andina eine Umfrage der ManpowerGroup.

In Peru gibt es immer wieder wütende Proteste gegen die unbeliebte Präsidentin BoluarteBild: Guadalupe Pardo/AP Photo/picture alliance

Positive Tendenz trotz Unruhen

Die Volkswirtschaftler der spanischen Bank BBVA behalten im Peru-Bericht des Monats Oktober die Wachstumsprognose für die peruanische Wirtschaft von 2,9 Prozent für das laufende Jahr bei, es gäbe allerdings eine "Tendenz nach oben". Die Erwartungen des Wirtschafts- und Finanzministeriums (3,2 Prozent) sowie der Zentralbank von Peru (3,1 Prozent) liegen leicht darüber.

Peru erlebte in den vergangenen Jahren zahlreiche politische Krisen. Gegen mehrere Ex-Präsidenten wurde wegen Korruption ermittelt, Boluartes Vorgänger Pedro Castillo wurde im Dezember 2022 abgesetzt, weil ihm ein Putschversuch vorgeworfen wurde. Vizepräsidentin Boluarte stieg zur Präsidentin auf. Wiederholt kam es zu politischen Unruhen. Auch gegen die amtierende Präsidentin gibt es immer wieder Proteste. Trotzdem bleibt die Wirtschaftslage vergleichsweise stabil oder produziert sogar überraschend positive Zahlen.

Stabilität als Ergebnis von Reformen

"Diese Erfolge sind das Ergebnis einer Reihe von Reformen aus den 1990er Jahren, die der Zentralbank Unabhängigkeit verliehen und Fiskalregeln und Institutionen geschaffen haben, um die Staatskassen zu schützen", sagt Niome Hüneke-Brown von der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung (Fundación Friedrich-Naumann) in Lima im Gespräch mit der Deutschen Welle.

Allerdings durchlaufe das Land trotz seiner starken makroökonomischen Position derzeit einen Prozess institutioneller Erosion, die die wirtschaftliche Stabilität des Landes mittelfristig gefährden könnte. "Insbesondere die politische Instabilität und der Anstieg der Kriminalität, zusammen mit einem Gefühl des Führungsmangels, haben in den letzten Jahren zu stagnierenden privaten Investitionszahlen geführt", so Hüneke-Brown. Das aktuelle Wachstum sei weitgehend auf eine Erholung des Konsums zurückzuführen, da sich die Wirtschaft von den klima- und politikbedingten Schocks des Jahres 2023 erhole.

An Perus Pazifikküste bauen Chinesen einen großen Hafen - für viele Peruaner ein Grund für große HoffnungBild: Cesar Barreto/AP Photo/picture alliance

Wichtige Währungsreserven

Marco Ortiz, Professor für Volkswirtschaft an der Universidad del Pacífico in Lima, sieht in "umfangreichen Währungsreserven, die mehr als 30 Prozent des BIP ausmachen", einen Grund für die vergleichsweise stabile Lage der Wirtschaft in politisch unsicheren Zeiten. Diese ermöglichen es der Zentralbank, auf den Devisenmärkten zu intervenieren und übermäßige Wechselkursschwankungen infolge von Kapitalabflüssen zu begrenzen.

So erlebte Peru beispielsweise während der letzten Präsidentschaftswahlen im Jahr 2021 die größte Kapitalflucht seit über 50 Jahren, als aufgrund politischer Unruhen etwa 17 Milliarden US-Dollar aus dem Land abgezogen wurden, sagt Ortiz im Gespräch mit der Deutschen Welle. Das entsprach rund sieben Prozent des BIP. "Die Zentralbank intervenierte massiv, indem sie bis zu elf Milliarden US-Dollar auf dem Kassamarkt (auch Spotmarkt genannt, für sofortige oder sehr kurzfristige Transaktionen, Anm. d. Red.) und über 7 Milliarden US-Dollar auf den Derivatemärkten verkaufte." Diese Politik trage dazu bei, die Volatilität des Wechselkurses zu verringern, da sich die Zentralbank nicht auf ein festes Wechselkursniveau festlege.

Große Erwartungen

Gespannt blicken die Peruaner nun auf die geplante Eröffnung des neuen Hafens Chancay im November. Das im Wesentlichen aus China finanzierte Mega-Projekt könnte zu einem Game-Changer in der Region werden, so die Hoffnungen: "Das Hafendrehkreuz Chancay-Callao strebt die Führung im Seehandel an und will unter die Top 20 der Welthäfen aufsteigen", berichtet das Portal Infomercado. Zumindest die Erwartungshaltung ist also schon einmal riesig.

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