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Politik

Petr Fiala: Der Neue an Tschechiens Spitze

28. November 2021

Der Ex-Minister, Politikwissenschaftler und praktizierende Katholik Petr Fiala ist neuer Ministerpräsident der Tschechischen Republik. Kompromissbereitschaft ist das Geheimnis seines Erfolgs.

Tschechische Republik Petr Fiala
Tschechiens neuer Premierminister Petr FialaBild: Darko Bandic/AP Photo/picture alliance

In einer ungewöhnlichen Zeremonie hat Tschechiens Präsident Milos Zeman den Konservativen Petr Fiala zum neuen Regierungschef des Landes ernannt. Vom Rollstuhl aus und durch eine Plastikwand von Fiala getrennt, führte der an Covid-19 erkrankte Zeman den Chef des Mitte-rechts-Bündnisses Spolu (Gemeinsam) am Sonntag offiziell in das Amt des Ministerpräsidenten ein. Die Zeremonie fand in Zemans Residenz, Schloss Lany bei Prag, statt. 

Bild: Roman Vondrous/CTK via AP/picture alliance

Unter den tschechischen Politikern ist Petr Fiala in vielerlei Hinsicht eine ungewöhnliche Erscheinung: Der 57-Jährige ist praktizierender Katholik in einem Land, in dem sich gerade einmal zwölf Prozent der 10,7 Millionen Einwohner zu einer Konfession bekennen. Er ist der erste Hochschulprofessor in einem politischen Spitzenamt seit dem Staatsgründer Tomas Garrigue Masaryk. Die Anforderungen an einen Wahlkämpfer in der Ära von Twitter-Kommunikation und Wahlkampagnen, die Marketing-Shows ähneln, erfüllt Fiala nicht. Trotzdem gelang es ihm, als Spitzenkandidat des Mitte-Rechts-Wahlbündnisses Spolu (Zusammen), bestehend aus seiner eigenen liberal-konservativen Demokratischen Bürgerpartei ODS, der wirtschaftsliberalen Partei TOP 09 und der christdemokratischen KDU-CSL, die Parlamentswahl vom 8. und 9. Oktober 2021 zu gewinnen.

Tschechiens Ex-Premier Andrej BabisBild: Petr David Jose/AP Photo/picture alliance

Mit seinem Bündnis hat Fiala den bisherigen Premier und Milliardär Andrej Babis, der die tschechische Politik in den vergangenen acht Jahren beherrschte, und dessen Partei ANO besiegt. Und es gelang ihm, eine Regierungskoalition aus Spolu, der Bewegung der Bürgermeister und Unabhängigen (STAN) sowie den tschechischen Piraten zu bilden, die über eine klare Mehrheit von 108 der 200 Sitze in der Abgeordnetenkammer verfügt. Diese eindeutigen politischen Kräfteverhältnisse zwangen den Staatspräsidenten Milos Zeman, der eigentlich ein Unterstützer von Babis ist, dazu, Petr Fiala am 9.11.2021 mit der Regierungsbildung zu beauftragen und ihn an diesem Freitag (26.11.2021) zum Premierminister zu ernennen.

Katholisch mit jüdischen Wurzeln

Fiala hat eine bewegte Familiengeschichte. Sein Großvater war Jurist und ein hoher Staatsbeamter während der ersten Tschechoslowakischen Republik (1918-1938). Seine Großmutter väterlicherseits war Jüdin. Ihre gesamte Familie, darunter auch Fialas erst vor wenigen Monaten verstorbener Vater Igor, wurde während der Besatzung Tschechiens durch Nazideutschland (1939-45) in deutsche Konzentrationslager deportiert. Nach dem Krieg trat Fialas Vater zunächst in die Kommunistische Partei ein, dann aber aus Protest gegen die Niederschlagung der Ungarischen Revolution von 1956 wieder aus. Er wurde deshalb der Universität verwiesen und musste die Familie lange Zeit als ungelernter Arbeiter durchbringen.

Demonstration gegen die kommunistische Diktatur in Tschechien 1989Bild: Imago Images/CTK Photo

Der 1964 geborene Fiala studierte Tschechisch und Geschichte und war vor 1989 an den Aktivitäten der katholischen Kirche gegen die kommunistische Diktatur beteiligt. Seine Religion ist ein wichtiger Bestandteil seines Lebens. "Ich bin von allein zum Glauben gekommen. Ich habe mich im Alter von 22 Jahren taufen lassen, und seitdem ist mein Glaube etwas sehr Grundlegendes für mich", sagte Fiala in einem Interview mit dem Web-Portal Prostor X.

Von der Universität in die Politik

Nach 1989 entwickelte sich Fiala zu einem der Gründungsväter der erneuerten tschechischen Politikwissenschaft. Er war Professor und von 2004 bis 2011 Rektor der Masaryk-Universität Brünn, die zusammen mit der Karlsuniversität in Prag zu den besten Hochschulen Tschechiens gehört. 2012 trat er als Bildungsminister in die Regierung von ODS-Premier Petr Necas ein. Nach dem Sturz des Kabinetts und der vernichtenden Wahlniederlage der Partei wurde er 2014 ODS-Vorsitzender. Im Frühjahr dieses Jahres gründete Fiala mit anderen Mitte-Rechts-Politikern das Bündnis Spolu und wurde auch sein Vorsitzender.

Professor Stanislav Balik, Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Masaryk-UniversitätBild: Privat

"Sein Erfolg als Politikwissenschaftler in der Politik ist etwas Einzigartiges in Tschechien", sagt Stanislav Balik, Dekan der Fakultät für Sozialwissenschaften der Masaryk-Universität, der Fiala seit Jahrzehnten persönlich kennt, der DW. "Eine der Gaben, die Petr Fiala besitzt, ist die Fähigkeit, einen sinnvollen Kompromiss zu suchen und zu finden", so Balik weiter. "Eines der Ergebnisse dieser Fähigkeit war die Bildung von Spolu."

Kein Volkstribun

Der tschechische Senator Mikulas Bek, der Fiala 2011 als Leiter der Masaryk-Universität ablöste, sagt der DW: "Fiala muss jetzt vor allem seine Geduld und seine Weitsicht zeigen, er muss auch seine Fähigkeit zum Zuhören zeigen und Kompromisse suchen." Als Mann, der seit Jahrzehnten im akademischen Bereich tätig sei, so Bek, fehle dem neuen Premier hingegen die "Volksnähe", die den Staatspräsidenten Milos Zeman und auch Fialas Vorgänger im Amt, Andrej Babis, an die Macht brachten.

Tschechiens Präsident Milos ZemanBild: David W Cerny/REUTERS

"Petr Fiala ist ein typischer Universitätsmann, was sich vor allem in seinem starken Hang zu rationalen Lösungen zeigt", sagt Jaroslav Miller, der ehemalige Rektor der Palacky-Universität in Olomouc und derzeit Rektor der Anglo-Amerikanischen Universität in Prag. "Ich habe ihn bei einer Wahlveranstaltung in einer kleineren Stadt erlebt. Fiala stand im Anzug auf einem Platz und sprach zu den Menschen in seinem akademischen Stil, den die Tanten mit den Tüten, die gerade vom Einkaufen kamen, offensichtlich nicht verstehen konnten." Was ihm als Politiker fehle, so Miller, mache Fiala jedoch durch hohe Fachkompetenz und die Fähigkeit, Entscheidungen auf der Grundlage verfügbarer Informationen und Daten zu treffen, wieder wett.

Keine Beschönigung der schwierigen Situation

Nach den Jahren der chaotischen Herrschaft des populistischen Oligarchen Babis hat sich vieles, das auf den ersten Blick keine Wähler anzuziehen schien, als Vorteil erwiesen. "Fialas Erfolg als Politiker, der grundsätzlich höflich ist und sich wie ein englischer Gentleman kleidet, war der atypischen Situation nach der Babis-Regierung geschuldet", sagt Pavel Maskarinec, Politikwissenschaftler an der Jan-Evangelista-Purkyne-Universität in Usti nad Labem, der DW. "Ohne die Jahre der Babis-Herrschaft, die letztlich auch zur Bildung des Wahlbündnisses Spolu führten, hätte es ein Politiker vom Typ Fiala in Tschechien schwer gehabt, so viele Wähler auf seine Seite zu ziehen."

Der neue Premier übernimmt sein Amt in einer äußerst problematischen Gesundheitssituation - am Donnerstag (25.11.2021) rief die geschäftsführende Regierung den Corona-Notstand aus, weil die Infektionszahlen stark ansteigen und die Krankenhäuser völlig überlastet sind. Fiala beschönigt die problematische Situation nicht. "Die Tschechische Republik durchläuft die schwierigste Phase ihrer postsowjetischen Geschichte. Unser Land hat nicht nur mit der Corona-Krise zu kämpfen, sondern auch mit den Folgen der Verantwortungslosigkeit der Vorgängerregierung", sagte er vor einigen Tagen. Eine Anspielung auf das chaotische Corona-Management unter dem Ex-Premier Andrej Babis.

Konservativ und euro-realistisch

Selbst in der ehemaligen Regierungspartei ANO und neuen Parlamentsopposition erkennen manche Fialas Qualitäten an. "Er ist ein konservativer Politiker mit konsequenten Positionen, einer ruhigen Sprache und ohne starke Emotionen", sagt die ANO-Europaabgeordnete und Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Dita Charanzova, der DW. "Das hat sich jetzt bei der Wahl für ihn ausgezahlt."

In der Europa- und Außenpolitik kann sich Fiala auf sein detailliertes Wissen über die Funktionsweise der Europäischen Union verlassen: "Er versteht die europäische Integration perfekt, hat mehrere hochgelobte Bücher darüber geschrieben und kann sein Verhandlungs- und Kompromissgeschick in der EU voll und ganz einsetzen", sagt Stanislav Balik. Gleichzeitig behalte Fiala aber auch seine konservativen und euro-realistischen Positionen bei.

"Ich bin ein größerer Euro-Optimist als Petr Fiala", sagt Senator Bek, "aber wir hatten immer freundschaftliche Meinungsverschiedenheiten, mit denen man gut leben und arbeiten kann." Zwar werde Fiala als Premierminister den Euro wahrscheinlich nicht als Währung in Tschechien einführen, sagt seinerseits der Politikwissenschaftler Pavel Maskarinec. "Aber er ist in der Lage, die Tschechische Republik in den Mainstream der europäischen Politik zurückzuführen."

Lubos Palata Korrespondent für Tschechien und die Slowakei, wohnhaft in Prag
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