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Glaube

Pfingsten- 2000 Jahre Kirche und kein bisschen „zeitgeisty“?

29. Mai 2020

Der Heilige Geist und der Zeitgeist. Christen feiern Pfingsten, die Herabkunft des Heiligen Geistes. Dieser Geist soll seitdem in der Kirche am Werk sein. Doch wo genau? Ein Hymnus aus dem 9. Jahrhundert gibt Antworten.

Unwetter in Deutschland nach Pfingsten 9.6.14
Bild: picture-alliance/dpa

50 Tage nach Ostern. Ein Blick ins Neue Testament verrät, was los ist: Die Jünger Jesu sind beisammen. Da ertönt ein lautes Brausen und der Heilige Geist lässt sich in Feuerzungen auf sie herab. Von da an werden die Jünger in allen Sprachen verstanden und verkünden die Botschaft Jesu (vgl. Apg 2, 1-13). 2000 Jahre geht das nun schon so, und die frohe Botschaft Jesu vom anbrechenden Reich Gottes, seine Auferstehung von den Toten, sein radikaler Anspruch, wie er in der Bergpredigt formuliert ist, all das ist einfach nicht kleinzukriegen. Wenn man gläubige Christen fragt, woran das liegt, bekommt zur Antwort: Weil Gott in der Kirche wirkt, in seinem Sohn, durch den Heiligen Geist. Na gut, das klingt erst einmal sehr fromm.

Ein kränkelnder Riese

Gut 1,2 Milliarden Katholiken gibt es weltweit; hierzulande kränkelt dieser Konfessionsriese „Katholische Kirche“ wie in anderen Teilen Europas: Kirchenaustritte und zurückgehende Priester- und Ordensberufungen sind mittlerweile ganz normal. Der schändliche Missbrauchsskandal, der ab 2010 nach und nach enthüllt wurde, hat sein Übriges getan. Zudem kämpft die Kirche mit einem Reformstau, der schon seit Jahrzehnten besteht und trotz Papst Franziskus in der Luft hängt. Kurzum: Die katholische Kirche hat ein mieses Image und die Leute laufen ihr hierzulande scharenweise davon. Und wo wirkt jetzt der Heilige Geist?

Der Heilige Geist in der goldenen Mitte

Die Kirche sollte sich endlich der Welt öffnen, meinen ihre Kritiker. Und genau da liegt das Problem: Das „Sich Öffnen“ ist für die einen ein Verrat an der Wahrheit Gottes, ein Anbiedern an den Zeitgeist. Für die anderen sind die Probleme der Kirche Symptome dafür, dass sie an der Lebenswirklichkeit vorbei lebt, zu wenig „zeitgeisty“ ist. Dieses Adjektiv gibt es wirklich. Der Begriff „Zeitgeist“ wurde von Johann Gottfried Herder in die Welt gebracht und 1:1 in die englische Sprache übernommen und seitdem bis hin zu Goethe ambivalent bis kritisch betrachtet. Was ist denn nun richtig? Die Antwort darauf ist wohl nicht so einfach zu finden. Aber weder ein starres Festhalten an tradierten Positionen noch ein leichtfertiges Nachgeben zugunsten eines ambivalenten Lebensgefühls scheint richtig zu sein. Vielleicht liegt die Lösung in der goldenen Mitte.

Ein Sprung ins 9. Jahrhundert

Dass der Heilige Geist in der Kirche wirkt, ist ein Geheimnis des Glaubens und muss an dieser Stelle schlicht unterstellt werden. Jesus sagt, dass der Vater den Menschen einen Beistand schickt, und dass dieser Beistand bleibt (Joh 14,26). Es gibt Grundlegendes, das gilt. Um das zu sehen hilft ein Sprung zurück ins 9. Jahrhundert, hinein in jene Zeit, als der Hymnus „Veni Creator Spiritus“, wahrscheinlich vom Mönch Hrabanus Maurus, verfasst wurde. Er liegt in verschiedenen Übersetzungen vor und ist unzählige Male kunstvoll vertont worden. In sieben Strophen (sieben Sakramente!) wird das Wirken des Heiligen Geistes in Anlehnung an zahlreichen, biblischen Aussagen beschrieben.

Wirkt der Heilige Geist etwa „zeitgeisty“?

An dieser Stelle genügen einige Schlaglichter: Der Heilige Geist hilft uns, den Vater und den Sohn zu erkennen, heißt es da. Bei allen Reformen darf das nicht vergessen werden: Das Suchen nach Gott, also Gotteserkenntnis! Der Heilige Geist gießt Liebe in die Herzen ein und erhält uns im Frieden. Zwei weitere Voraussetzungen, um miteinander konstruktiv zu streiten und zu ringen. Ferner macht der Heilige Geist die „Zungen reden“, er gibt den Menschen die richtigen Worte ein. Der Heilige Geist ist ein Lebensbrunn, der lebendig macht; er ist Licht, das die Menschen erleuchtet. Er ist ein Geschenk des Vaters, das uns tröstet. Und nicht zuletzt: Er ist ein schöpferischer Geist! Was die Kirche anbelangt, braucht es kreative Ideen, die die Kirche wieder glaubhaft und attraktiv machen; Menschen, die begeistern können. Der Heilige Geist wirkt also durch die Menschen (in der Kirche und auch außerhalb der Kirche) und in die Lebenswirklichkeit der Menschen hinein. Oft unbemerkt und still. Manchmal laut und mit Getöse. Vielleicht liegt die Lösung der kirchlichen Probleme darin, dass die Menschen erst einmal mit diesem Heiligen Geist rechnen, und er sie mutig voranschreiten lässt. Wer sagt denn, dass in der Lebenswirklichkeit der Menschen von heute nicht auch Platz für den Heiligen Geist ist? Dann kann es vielleicht sein, dass sogar der Heilige Geist „zeitgeisty“ wird. Wer weiß?

 

Hymnus „Veni Creator Spiritus“

  1. Komm, Schöpfer Geist, kehr bei uns ein,
    besuch das Herz der Kinder dein:
    Die deine Macht erschaffen hat,
    erfülle nun mit deiner Gnad.

    2. Der du der Tröster wirst genannt,
    vom höchsten Gott ein Gnadenpfand,
    du Lebensbrunn, Licht, Lieb und Glut,
    der Seele Salbung, höchstes Gut.

    3. O Schatz, der siebenfältig ziert,
    o Finger Gottes, der uns führt,
    Geschenk, vom Vater zugesagt,
    du, der die Zungen reden macht.

    4. Zünd an in uns des Lichtes Schein,
    gieß Liebe in die Herzen ein,
    stärk unsres Leibs Gebrechlichkeit
    mit deiner Kraft zu jeder Zeit.

    5. Treib weit von uns des Feinds Gewalt,
    in deinem Frieden uns erhalt,
    dass wir, geführt von deinem Licht,
    in Sünd und Elend fallen nicht.

    6. Gib, dass durch dich den Vater wir
    und auch den Sohn erkennen hier
    und dass als Geist von beiden dich
    wir allzeit glauben festiglich.

    7b. Dem Vater Lob im höchsten Thron
    und seinem auferstandnen Sohn,
    dem Tröster auch sei Lob geweiht
    jetzt und in alle Ewigkeit.

Übersetzt von Heinrich Bone 1847

 

 

Dr. Stephan Rüdiger, Leitender Pfarrer von St. Agatha, Dorsten