Pflegekräfte für Deutschland: Kommen ja - bleiben nein ?
4. November 2025
Mehr als 300.000 Menschen haben in den vergangenen Jahren ihre Heimat verlassen, die jetzt in Deutschland Alte und Kranke pflegen. Gut für Deutschland - aber auch für die Pflegekräfte? Viele Staaten werben um ihre Arbeitskraft.
Von einer internationalen "migration industry" sprechen Wissenschaftler. Arbeitsmigration im Pflegesektor sei hochprofessionalisiert, betont der Geograph Stefan Kordel von der Universität Erlangen-Nürnberg im DW-Interview. Staatliche und private Akteure, sogar einzelne Kliniken und Pflegeheime konkurrieren um Pflegefachkräfte und Auszubildende für Pflegeberufe. Es geht um ökonomische Interessen.
Im Extremfall klinge das so, ergänzt sein Kollege Tobias Weidinger: "Die Vermittlungsagentur bringt uns bitte fünf 'Stück' Migranten fürs nächste Ausbildungsjahr. Wenn einer zurückgeht ins Herkunftsland, dann bitte einfach den nächsten nachliefern. Wir haben fünf bestellt, also wollen wir auch fünf."
Wie wichtig Menschen mit Migrationsgeschichte als Teil des Teams sind, haben Kliniken auf Social Media gezeigt. Ohne Migration würde die Pflege in Deutschland kollabieren, hat die Bundesagentur für Arbeit festgestellt: "Fast jede vierte Pflegekraft im Altenheim hat eine andere Staatsangehörigkeit."
Schaut man auf alle Pflegeberufe, kommt jede 5. Person aus dem Ausland. Tendenz steigend: Fachkräfte fehlen, viele Pflegekräfte gehen in Rente, andere verlassen wegen Überlastung den Beruf ("Pflexit").
Studie: Wie geht es Pflegekräften mit Migrationsgeschichte in Deutschland?
Neben neuen Pflegekräften aus dem Ausland gibt es Fachkräfte in Kliniken oder in der Altenpflege, die einen deutschen Pass haben und eine Migrationsgeschichte. Und Geflüchtete, etwa aus Syrien oder der Ukraine. Sie alle sorgen dafür, dass kranke und alte Menschen in Deutschland gepflegt werden - noch -, denn der Bedarf in der alternden Gesellschaft steigt stark. Wie geht es den Zugewanderten in Deutschland? Gut genug, damit sie bleiben?
Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftlern an der Friedrich-Alexander-Universität (FAU) Erlangen-Nürnberg hat untersucht, wie es gelingen kann, die Beschäftigung von Pflegekräften mit Migrationsgeschichte nachhaltig zu gestalten. Sie haben Pflegekräfte befragt, Verantwortliche in Kliniken und Pflegeeinrichtungen, in Verwaltungen, Sprachschulen, Beratungsstellen und Agenturen.
Die Forscher zeigen in ihrer Studie "Teilhabe von Pflegekräften mit Migrationsgeschichte" anschaulich, was wichtig ist für das Wohlbefinden: am Arbeitsplatz in der Pflege, aber auch im täglichen Leben außerhalb der Arbeit.
Anwerbung: Bunte Broschüren - wer gewinnt?
"So schön ist Berlin, so romantisch ist Heidelberg". Mit bunten Broschüren werde geworben, berichtet Wissenschaftler Kordel. Viele landeten auf dem Land, wo es ganz anders sei, als die Prospekte suggerierten. Für Pflegekräfte hänge es oft vom Zufall ab, in welche Einrichtung sie kämen und wie gut ihnen geholfen werde, sich ein neues Leben aufzubauen.
Es gibt staatliche "Triple-Win"-Programme für ausgewählte Länder wie die Philippinen, Indien, Indonesien oder Tunesien. Profitieren sollen alle: die Herkunftsländer, Deutschland und die angeworbenen Menschen, für die zum Beispiel die Kosten für Sprachkurse und Flüge übernommen werden. Für private Agenturen gibt es ein staatliches Gütesiegel: "Faire Anwerbung Pflege Deutschland".
Daneben gibt es Anbieter, die von den Pflegekräften viel Geld fordern, berichtet Stefan Kordel: "12.000 Euro, die bezahlt wurden, es wurden Kredite aufgenommen, die Familie hat zusammengelegt." Betroffene müssten neben der Pflegearbeit einen Nebenjob annehmen, um die Schulden zu bezahlen. Darüber müsse besser aufgeklärt werden.
Enttäuscht über Pflege in Deutschland: Waschen statt Infusionen legen
In vielen Herkunftsländern lernt man die Pflege nicht überwiegend als Ausbildungsberuf wie in Deutschland, sondern über ein Studium. Wer nicht richtig informiert wurde, stellt erst in Deutschland fest, dass er oder sie anstelle medizinischer Aufgaben viel Zeit in der Grundpflege mit dem Waschen der Menschen verbringt oder dem Anreichen von Essen. In den Herkunftsländern übernehmen das oft die Familien oder Hilfskräfte.
Die Enttäuschung sei groß, wenn die studierten Pflegefachkräfte von den Philippinen in Deutschland keine Infusionen oder Katheter legen dürften, berichtet auch Myan Deveza-Grau von der philippinischen Diaspora-Organisation PhilNetz e.V. der DW: "Das können sie nicht verstehen: Warum darf ich das nicht machen?"
Deutsch lernen: Dialekte und Doppelbelastung
"Ich muss sehr viel Deutsch am Abend lernen. Deswegen habe ich keine Zeit. Am Wochenende müssen wir die Klausur und den Deutschkurs vorbereiten. Und wir müssen auch am Sonntag in den Deutschkurs." So schildert eine Auszubildende aus Vietnam in der Studie ihren Alltag. Da bleibt kaum Zeit, um soziale Kontakte aufzubauen. Dazu kommt viel Bürokratie. Umso wichtiger sind Mentoring-Programme und das Verständnis von Kolleginnen und Kollegen.
Auszubildende und Pflegekräfte machen in ihrer Heimat Deutschkurse und bringen Sprachzertifikate mit. Aber oft vergeht viel Wartezeit bis zur Einreise. Und in manchen Regionen Deutschlands sprechen die Leute Dialekte, die schwer verständlich sind. Die Wissenschaftler der FAU empfehlen, dass berufsbegleitend gezielte Sprachkurse angeboten werden, dazu könnten sich Einrichtungen regional vernetzen.
Mama-Schicht und mehr Busse - gut für alle
Manche Änderung in der Pflege könnte allen das Leben leichter machen, sagen die Forscher. Da gebe es Frühdienst-Teams, die darauf bestehen, dass bis halb 9 alle Patienten gewaschen sind, damit das Team Pause machen kann. Wenn eine Pflegekraft ihr Kind in die Kita bringen muss und nicht auf ihre Familie zurückgreifen kann, weil die im Ausland lebt, kann sie erst um halb 9 anfangen.
Warum also nicht eine später beginnende Mama- oder Papa-Schicht einführen, die manche Menschen später wäscht? Das hilft auch Eltern ohne Migrationsgeschichte und freut Patienten, die gerne ausschlafen.
Hürden "demigrantisieren", nennt das Tobias Weidinger. Menschen, die aus dem Ausland nach Deutschland kommen, leiden zwar durch Sprachbarrieren und ein fehlendes soziales Netzwerk stärker darunter, aber von Veränderungen würden alle profitieren. Das gelte auch, wenn abends nach dem Spätdienst genug Busse fahren oder wenn es günstige Wohnungen in der Nähe der Arbeitsstellen gibt.
Diskriminierung und Rassismus
"Welche Tipps würden Sie einer Person aus dem Ausland geben, die in Deutschland in der Pflege arbeiten möchte?", haben die Forscher Pflegekräfte gefragt. Eine Frau aus Guinea, die seit über zehn Jahren in Deutschland lebt und den deutschen Pass hat, antwortete: "Dass man rassistische Erfahrungen machen wird, auf jeden Fall."
Kein Einzelfall, das belegt die Studie. Kliniken und Pflegeheime bemühten sich bei den Mitarbeitenden um Sensibilisierung. Für Patienten und Angehörige gebe es das kaum. Weidinger sagt: "Wenn die zu pflegende Person sagt, von der Schwarzen lasse ich mich nicht pflegen, dann wird es schwierig."
Diskriminierung von Minderheiten gibt es in allen Lebensbereichen, das zeigen auch andere Untersuchungen: in Ämtern, öffentlichen Verkehrsmitteln, auf der Straße und dem Wohnungsmarkt.
Es liege an der ganzen Gesellschaft, ob sich die Pflegekräfte wohlfühlten, sagt Stefan Kordel. "Erfahrungen von Diskriminierung und Rassismus fließen in die Entscheidung ein, zu bleiben - oder die Einrichtung - oder den Wohnort - oder auch Deutschland wieder zu verlassen." Auch philippinische Pflegekräfte machten sich Sorgen über Rechtspopulismus und die Partei AfD, berichtet Deveza-Grau. Einige sagten: "Ich probiere es. Wenn es nicht klappt, gehe ich woanders hin." Kanada etwa werbe stark um sie.
Pflegen in Deutschland: Bleiben oder weiterziehen?
Die Menschen wollen akzeptiert werden und ankommen, das dokumentiert die Studie: "Ich bleibe dort, wo es meiner Familie gutgeht. Wo ich nicht gemobbt werde, Freunde habe."
Die Wissenschaftler von der FAU Erlangen-Nürnberg raten zu mehr Vernetzung von politischen Entscheidern, Vermittlern und Pflegeeinrichtungen besonders mit Menschen, die selbst zugewandert sind. Das wünschen sich auch philippinische Organisationen, sagt Myan Deveza-Grau: "Man redet viel über angeworbene Fachkräfte, aber man redet nicht mit ihnen."
Dass es eine Willkommenskultur brauche, sei heute vielen klar, analysiert Wissenschaftler Weidinger. "Was noch fehlt, ist eine Bleibekultur", betont er. "Teilhabe, Integration und das Bleiben von Migrantinnen und Migranten zu erreichen, das ist ein Marathon." Es gehe darum, "langfristig attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen zu schaffen vor dem Hintergrund der Besonderheiten, die Migrantinnen und Migranten haben. Dann kann ich attraktive Arbeits- und Lebensbedingungen für alle schaffen."