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Politik

Was kostet ein Pfleger vom Balkan?

13. Januar 2020

Deutsche Kliniken sollen bis zu 15.000 Euro für die Vermittlung einer Pflegekraft vom Westbalkan bezahlen. Die Vermittler machen damit ein gutes Geschäft - doch für die Pflegekräfte geht es nicht immer gut aus.

Balkan l Pflegekräfte im klinischen Zentrum in Belgrad, Serbien
Bild: A. Kamber

Es war ein gut bezahlter, aber eher ungewöhnlicher Job, den Nevena Pejić* vor zwei Jahren im Hotel "Slavija" im Belgrader Zentrum hatte. Das Hotel war stärker belegt als üblich, manche Räume waren hastig zur Unterrichtsräumen umgerüstet worden. Hinter schweren Vorhängen saßen mehr als hundert Menschen- morgens bis nachmittags - und lernten Deutsch. Nevena unterrichtete sie.

"Den Leuten wurde ein Arbeitsplatz in Deutschland versprochen, sobald sie die Sprache ausreichend beherrschen. Die Unterbringung im 'Slavija' war bezahlt, ebenso das Essen, sogar etwas Geld haben sie bekommen", erinnert sich Pejić.

Die Vermittlungsagentur Artigum Management warb für sich mit der Behauptung, zu einem "deutschen Arbeitgeber" zu gehören. Viele seien deswegen auch aus benachbarten Balkanländern nach Serbien gekommen, aus Nordmazedonien zum Beispiel oder Bosnien. Das Ziel: In nur vier Monaten das gehobene Sprachniveau B2 zu erreichen, das man in der Regel braucht, um in Deutschland einen Job zu bekommen. Eine fast unmögliche Mission, sagt die Lehrerin.

"Viele haben abgebrochen, denn das Ziel war sehr schwer zu erreichen", meint sie. "Manche beschwerten sich, von der Agentur betrogen worden zu sein. Sie hätten ihre Familien zu Hause gelassen, und alle Hoffnungen in das hier investiert."

Es ist nur eines von unzähligen Beispielen aus der "Auswanderungsindustrie": Einer Branche, die einerseits aus der Misere auf dem Balkan und andererseits aus dem großen deutschen Bedarf nach medizinischen Fachkräften geboren wurde. Seit Jahren werben Vermittlungsagenturen und deren Mittelsmänner um Personal vom Westbalkan und die Gunst der deutschen Kliniken und Altersheime, die fette Prämien für die Vermittlung anbieten.

Pflegekräfte verzweifelt gesucht

Die deutsche Arbeitsagentur zählte zuletzt insgesamt 50.000 Staatsbürger aus sechs Staaten des westlichen Balkans (Serbien, Bosnien/Herzegowina, Albanien, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro) im medizinischen Sektor. Es waren rund 6500 Menschen mehr als im Jahr zuvor (siehe Grafik).

 

Sie sollen den Bedarf hierzulande wenigstens lindern - laut Prognosen werden in Deutschland in fünf Jahren rund 200.000 Pflegekräfte fehlen. Ein leitender Mitarbeiter einer deutschen Pflegeheimkette sagt, sie seien mittlerweile bereit, rund 10.000 Euro pro Pflegekraft an Vermittler zu bezahlen. Ein vereinbartes Interview mit der DW sagte dieser Mitarbeiter dann kurzfristig ab. Viele aus der Branche wollen das Thema in der Öffentlichkeit nicht besprechen.

Mehrere Vermittler sagen, sie bekämen sogar bis zu 15.000 Euro für eine Pflegerin, die sie vom Balkan nach Deutschland bringen. Die angegebenen Summen sind nicht nachprüfbar. Der Betrag wird laut Vermittler mit Sprachschulen und Anwerbern vor Ort geteilt. Die Branche dürfte geschätzt mehrere hundert Millionen Euro jährlich umsetzen, und fühlt sich oft kaum jemand an irgendwelche Regeln gebunden.

"Das ist für mich Menschenhandel"

In einem kleinen Büro am Rande von Köln lächelt Kay Simon müde, wenn er solche Geschichten hört. Er ist der Chef der Vermittlungsagentur IPP Health, einer der größeren, die im Balkan rekrutieren. "Der Anfang in Deutschland ist hart genug. Wenn dann noch eine Agentur den Menschen etwas Unrealistisches verspricht, ist es noch schlimmer."

Die Klassiker, sagt Simon, seien Versprechungen von üppigen Gehältern - gezielt werde dabei Brutto- und Nettogehalt verwechselt. Oder es werde das Märchen verbreitet, der Arbeitnehmer dürfe gleich die ganze Familie mitnehmen. "Dann kommen sie nach Deutschland… es ist kalt, es regnet, die Familie ist weit weg, das Geld stimmt nicht. Dann sind die Leute fertig", sagt Simon. "Es gehört sich nicht, die Menschen mit falschen Versprechen zu entwurzeln und so nach Deutschland zu bringen. Das ist für mich Menschenhandel."

Ein anderer Vermittler, der seinen Namen nicht in der Presse lesen möchte, gibt zu, das Personal mitten in den Kliniken auf dem Balkan abzuwerben. Dafür arbeitet er mit einigen Krankenschwestern zusammen. "Sie rufen mich an und sagen, sie hätten zum Beispiel drei Kolleginnen, die nach Deutschland wollten. Wenn es klappt, dann bekommen sie von mir 300 Euro pro Person."

Harte Verträge

Die Vermittler wissen ganz genau, was ihnen einen Strich durch die Rechnung machen kann: wenn ein Bewerber, dem sie schon die Sprachschule und andere Vorbereitungen bezahlt haben, aus irgendeinem Grund doch keinen Vertrag mit dem Arbeitgeber in Deutschland abschließt. 

Deswegen lässt Pro Sert, eine Agentur aus der zentralserbischen Stadt Kragujevac, die Bewerber einen Vertrag unterschreiben, der eine Strafe von 3000 Euro vorsieht, wenn sie abspringen. Das ist ein durchschnittlicher halber Jahreslohn in Serbien. Einige Verträge, die der DW vorliegen, zeigen: Der Bewerber bezahlt die Strafe, wenn er abspringt, über eine andere Agentur nach Deutschland geht oder die ersten beiden Jobangebote ablehnt, die ihm Pro Sert macht.

Pflegekräfte in der Dekra Akademie in Kragujevac, SerbienBild: A. Kamber

Diese Agentur arbeitet mit der Dekra-Akademie zusammen - einem renommierten privaten Bildungsunternehmen mit 150 Standorten in Deutschland. Auch im Ausland lässt die Dekra ausbilden. Die Chefin des Dekra-Standortes in Serbien ist Aleksandra Talić, die bis April 2019 die umstrittene Agentur Pro Sert leitete. So schließt sich der Kreis: Dekra bildet Bewerber an fünf Standorten in Serbien aus, Pro Sert bringt sie nach Deutschland und kassiert.

"Die Bewerber sollen Deutsch lernen und die Prüfungen bestehen", sagt Talić. Über drohende Geldstrafen für Abbrecher meint sie: "Wenn es keine guten Gründe dafür gibt, dass ein Bewerber meckert, dann müssen wir die Grenze ziehen und den Bewerber zwingen… oder besser gesagt ihm helfen, die Entscheidung zu treffen, zu bleiben."

Auch klassische Betrüger unterwegs

Mit solchen Verträgen befasst sich Mario Reljanović oft. Der Belgrader Jurist meint, drastische Vertragsstrafen seien unbegründet. Doch es gebe noch Schlimmeres: "Es kursieren auch die Verträge, die offenbar betrügerisch sind. Sie beinhalten versteckte Kosten für Bewerber oder sehr ungünstige Arbeitsbedingungen, etwa bis 12 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche", berichtet Reljanović. "Das verstößt sowohl gegen das serbische als auch gegen das deutsche Arbeitsrecht."

Doch die Nachfrage wächst. Jährlich verlassen rund 200.000 Menschen sechs Balkanländer - das ist ein Prozent der Bevölkerung. Der Auswanderungsindustrie geht es ausgezeichnet, auch wenn manche Vermittler im umkämpften Markt untergehen.

Mittlerweile ist es im Hotel "Slavija" wieder ruhiger geworden. Die ungewöhnliche Klientel, die Auswanderer, sind nicht mehr da - auch die Agentur Artigum Management gibt es nicht mehr. Die damalige Chefin hat alle Telefonnummern abgeschaltet. Brach das Geschäftsmodell zusammen?

Die Deutschlehrerin Nevena Pejić hat nur gehört, die Agentur arbeite unter anderem Namen weiter. Sie und andere Lehrer verloren ihre Jobs, die letzten Monatsgehälter haben sie nie bekommen. Jetzt gibt Nevena Einzelunterricht, ihr Geld bekommt sie auf die Hand. 

*Name geändert

Diese Recherche wurde durch das Stipendienprogramm "Reporters in the Field" ermöglicht, einem Projekt der Robert Bosch Stiftung und des Journalistennetzwerks n-ost.

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