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Clankriminalität: Was steckt dahinter?

18. November 2020

Diese Woche führten 1600 Polizisten in Berlin eine Razzia gegen Mitglieder des Remmo-Clans durch, wegen des aufsehenerregenden Kunstraubs im Grünen Gewölbe. Was weiß man über kriminelle Großfamilien in Deutschland?

Deutschland Symbolbild Clankriminalität Neukölln
Bild: picture-alliance/dpa/P. Zinken

Immer wieder sorgen spektakuläre Straftaten für Schlagzeilen, hinter denen arabischstämmige Großfamilien stecken sollen. So drangen im vergangenen Jahr Maskierte in die historische Museumssammlung Grünes Gewölbe in Dresden ein und stahlen einzigartige Kunstwerke von unschätzbarem Wert.

Anfang der Woche schlug die Polizei in Berlin zu. In Zusammenhang mit dem Museumseinbruch nahm sie drei Männer des sogenannten Remmo-Clans fest, zwei weitere Familienmitglieder sind international zur Fahndung ausgeschrieben. Wer sind diese Großfamilien? Wie viele gibt es und was wird gegen ihre kriminellen Machenschaften unternommen?

Was ist Clankriminalität – und warum ist der Begriff umstritten?

Erst seit dem Jahr 2018 geht der Bundeslagebericht "Organisierte Kriminalität" des Bundeskriminalamts dezidiert auf Clankriminalität ein und unterscheidet das Phänomen von anderen Formen des organisierten Verbrechens. Clankriminalität gilt somit als Unterform der Organisierten Kriminalität (OK) und wird im Lagebericht als "Straftaten durch Angehörige ethnisch abgeschotteter Subkulturen" beschrieben.

In einem Positionspapier definiert der Bund Deutscher Kriminalbeamter Clankriminalität als "bestimmt von verwandtschaftlichen Beziehungen, einer gemeinsamen ethnischen Herkunft und einem hohen Maß an Abschottung der Täter, wodurch die Tatbegehung gefördert oder die Aufklärung der Tat erschwert" werde. Dies gehe "einher mit einer eigenen Werteordnung und der grundsätzlichen Ablehnung der deutschen Rechtsordnung".

Kritiker wie der Journalist Mohamed Amjahid sehen in dem Begriff hingegen die Gefahr eines Generalverdachts und der Diskriminierung von Familienangehörigen, die nicht kriminell sind. Einigen fiele es schwer, eine Wohnung oder eine Arbeitsstelle zu finden, nur weil sie einen bestimmten Nachnamen tragen, der mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung gebracht werde.

Polizei- und Sicherheitsbehörden weisen jedoch daraufhin, dass der Begriff "Clan" die spezielle Struktur dieser kriminellen Gruppen treffend beschreibe. Der Begriff "Clankriminalität" wird deshalb auch in sämtlichen offiziellen Lageberichten der Landeskriminalämter und des Bundeskriminalamts benutzt.

Wie groß ist die Dimension der Verbrechen?

Einige Namen von Clanfamilien sind mittlerweile in ganz Deutschland bekannt: Abou-Chaker, Remmo, Miri, Al-Zein gehören zu den berühmt-berüchtigtsten Clans. Aber auch wenn aufsehenerregende Gerichtsprozesse mit landesweit bekannten Rappern, spektakuläre Raubüberfälle und Grossrazzien mit mehreren Hundert Polizeibeamten regelmäßig großes Aufsehen erregen: Die Zahlen des Bundeslagebildes "Organisierte Kriminalität" zeigen, dass kriminelle Großfamilien im vergangenen Jahr nur 7,8 Prozent der Ermittlungsverfahren der Bundes- und Landesbehörden im Bereich Organisierte Kriminalität ausmachten.

 

Clanchef Arafat Abou-Chaker steht zur Zeit in Berlin vor GerichtBild: Getty Images/R. Keuenhof

Das Bundeskriminalamt unterscheidet in seinem Lagebild auch die Herkunft der Großfamilien. Demnach gibt es sogenannte Mhallamiye-Kurden aus dem Südosten der Türkei und Libanon, es gibt arabischstämmige, türkeistämmige Gruppen und solche, die vom Westbalkan oder aus den Maghreb-Staaten stammen. 

Die Familien agieren dabei nicht in ganz Deutschland, sondern konzentrieren sich auf klare regionale Schwerpunkte. Über zwei Drittel aller Ermittlungen erfolgten in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Bremen und Berlin. Dort haben sich in den vergangenen Jahrzehnten Clanstrukturen verfestigt.

Wie viele Personen den kriminellen Familienstrukturen anhängen, lässt sich kaum sagen. Das hängt auch damit zusammen, dass jedes Bundesland anders zählt. In Bremen beispielsweise soll es laut Polizei 3500 Personen mit Mhallamiye-Hintergrund geben. Wirklich Probleme bereiteten den Behörden aber nur 50 bis 100 Personen, sagt Polizeipräsident Lutz Müller.

Nordrhein-Westfalens Innenminister Reul stellt das Lagebild Clankriminalität vorBild: picture-alliance/Flashpic

In Nordrhein-Westfalen hingegen gehen Ermittler von 111 kriminellen Clans aus. Laut Lagebild waren im vergangenen Jahr 3779 den Clans zuzuordnende Tatverdächtige für 6104 Straftaten verantwortlich. Das ländlich geprägte Niedersachsen kommt immerhin auf stolze 1646 Beschuldigte mit Clan-Bezug. Allerdings wurden gerade diese Zahlen in der Vergangenheit heftig kritisiert, weil sie sich laut Medienberichten auf den Familiennamen beziehen sollen. Wenn also beispielsweise ein Jugendlicher aus einer bestimmten Familie einen Ladendiebstahl begeht, wird dies automatisch unter der Kategorie "Clankriminalität" verbucht.

Um welche Straftaten geht es?

Das Spektrum der Straftaten krimineller Großfamilien ist breit: Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche, illegales Glücksspiel, Überfälle auf rivalisierende Gruppen bis hin zum Mord. Der Großteil der kriminellen Geschäfte entfällt aber auf den Handel und Schmuggel mit Rauschgiften. Laut Lagebericht des Bundeskriminalamts machen die mehr als die Hälfte der Ermittlungsverfahren aus. Dabei agieren einige Familien international. Manche rekrutieren auch neu angekommene Flüchtlinge beispielsweise aus Syrien oder dem Irak für einfachere Dienste wie Kuriergänge.

Diese Entwicklung bereitet den Sicherheitsbehörden Sorgen. In den vergangenen Jahren beobachten sie die Tendenz, dass gerade diese jungen Flüchtlinge beginnen, eigene kriminelle Strukturen aufzubauen. Außerdem beklagen Polizei- und Sicherheitsbehörden immer wieder, dass kriminelle Familienmitglieder respektlos und auch gewaltsam auf Polizeibeamte reagieren. So könnten Einsätze, auch wegen kleinerer Delikte, rasch eskalieren.

Wie reagiert der Staat?

Nachdem viele Jahre lang die Gefahr der organisierten Kriminalität im Bereich krimineller Großfamilien unterschätzt wurde, haben einige Bundesländer das Thema mittlerweile zur Chefsache erklärt. Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul etwa setzt auf die, wie er sie nennt, "Strategie der 1000 Nadelstiche". Permanente Razzien, Hausdurchsuchungen und Kontrollen sollen die Clanstrukturen schwächen.

Beschlagnahme eines Spielautomaten bei einer Razzia in Essen (im August): "Strategie der 1000 Nadelstiche"Bild: picture-alliance/dpa/C. Seidel

Auch Berlin geht so vor. Laut der Lageberichte der beiden Bundesländer gab es im vergangenen Jahr in Berlin 382 und in Nordrhein-Westfalen sogar 870 Razzien im Umfeld der Clankriminalität.

Ein weiteres Mittel, auf das verstärkt gesetzt wird: den Geldhahn zudrehen. Seit einer Gesetzesreform im Jahr 2017 können Behörden leichter kriminell erlangtes Vermögen abschöpfen. Das erlaubt den Behörden, Sachwerte einzuziehen, wenn unklar ist, mit welchem Geld sie bezahlt wurden oder wenn der der Verdacht der Geldwäsche besteht.

Was das bedeutet, zeigt der Fall des Remmo-Clans in Berlin. 2018 beschlagnahmte das Amtsgericht 77 Immobilien der Großfamilie. Der Bezirksbürgermeister des Stadtviertels Neukölln in Berlin, Martin Hikel, sagte am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur, dass er dafür plädiere im Kampf gegen Clankriminalität neue Wege zu gehen. Der Sozialdemokrat will die Beweislast umkehren. So sollen Beschuldigte, die Sozialleistungen beziehen, aber Vermögenswerte wie teure Immobilien besitzen, den legalen Ursprung des Geldes nachweisen müssen. "Das schlechteste Signal, das wir geben können, ist, dass es sich lohnt, kriminell zu werden", sagt Hikel.

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