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Gesellschaft

Philippinen sagen Cybersex den Kampf an

Martina Merten
16. März 2020

Nach langem Stillstand wollen die Philippinen stärker gegen die virtuelle Kinderprostitution vorgehen. Neue Bildungsangebote von Staat und Zivilgesellschaft sollen Minderjährige aufklären. Martina Merten aus Manila.

Sweetie
"Sweetie" ist ein dreidimensionales Modell einer 10-Jährigen für die Jagd auf PädophilenBild: picture alliance / AP Photo

Kinderprostitution auf den Philippinen

12:07

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Nino Lawrence Ibo erzählt gern von seinen letzten erfolgreichen fünf Dienstjahren. Er sei sehr stolz, sagt er. Ibo ist stellvertretender Chef der polizeilichen Sondereinheit "Cybercrime gegen Kinder" auf der zentralphilippinischen Insel Cebu. Neun Offiziere der Sondereinheit, die an der Außenstelle des Zentrums zum Schutz von Frauen und Kindern des philippinischen Sozialhilfeministeriums angesiedelt ist, haben seit 2015 der Online-Kinderprostitution den Kampf angesagt.

Kommissar Nino Laurence IboBild: Benjamin Füglister

"Wir haben seitdem 66 Personen verhaftet, 191 Opfer gerettet und sie in Therapieeinrichtungen untergebracht", sagt Ibo. Und das sei nicht immer einfach gewesen. "Häufig habe ich Zuhause angerufen und gefragt, ob es meinen beiden Kindern auch gut geht", erinnert er sich. Denn auch seine Kinder könnten Opfer der Cyberkriminalität werden.

Staat und Zivilgesellschaft gehen gegen Cybersex vor

Cybersex mit Minderjährigen ist auf den Philippinen weit verbreitet. Die US-Bundespolizei FBI schätzt, dass rund um die Uhr etwa 750.000 Pädophile in den mehr als 40.000 öffentlichen Chatrooms auf der Suche nach expliziten Kontakten mit Minderjährigen sind. Bei der Internationalen Justice Mission (IJM), einer weltweit tätigen Menschenrechtsorganisation, gingen allein 2018 60.000 Berichte über Kindesmissbrauch auf den Philippinen ein. Und die Zahlen steigen, sagt John Tanagho vom IJM-Büro in Cebu.

Tanagho und Kommissar Ibo arbeiten eng zusammen. Ibos Einheit kooperiert mit Strafverfolgungsbehörden aus aller Welt. Zugespielte Informationen werden vor Ort überprüft, Ermittlungsverfahren eingeleitet. Tanagho spricht mit anderen Nichtregierungsorganisationen. Bei der Überführung von Tätern sind Mitarbeiter beider Organisationen anwesend. Hinzu kommen Mitarbeiter vom Sozial- und Jugendamt, die sich um die minderjährigen Opfer kümmern.

Therapie für Opfer

Seit kurzem gibt es das erste und bislang einzige Diagnosezentrum auf Cebu. Hierhin bringen Jugend- und Sozialamt, Polizei und IJM die Opfer direkt nach der Befreiung. "Optimalerweise sollen die ersten Untersuchungen nicht länger als zwei Wochen dauern", sagt Clara Nemia C. Antipala, Leiterin des Zentrums.

Die Ärztinnen untersuchen die körperlichen Erkrankungen, geschulte Psychologinnen entlasten dabei die Psyche der Opfer bei der Verarbeitung der sexuellen Zwangshandlungen. Weitere Zentren wie das auf Cebu sollen landesweit folgen.

Danach bekommen die Kinder mit etwas Glück einen Platz in einem der Rehabilitationszentren. Die IJM kooperiert mit drei Zentren von Privatträgern, die sich auf Opfer vom virtuellen Missbrauch spezialisiert haben.

Im staatlichen Reha-Zentrum in Manila sind 261 Mädchen im Alter von sechs bis 17 Jahren untergebrachtBild: Benjamin Füglister

Prävention statt Nachsorge

Die Regierung der Philippinen gründete 2019 eine "Stabstelle zur Bekämpfung des Cybercrimes gegen Kinder" in der Hauptstadt Manila. Mitglieder sind Hilfsorganisationen wie IJM, die Polizei sowie ausländische Strafverfolgungsbehörden, wie zum Beispiel die Polizei aus Australien und England.

Einige Akteure fordern im Kampf gegen Onlineprostitution mehr Prävention als Nachsorge. Marie Michelle Munoz-Quezon, UNICEF-Kinderschutzbeauftragte in Manila, sagt im DW-Interview, dass das UN-Kinderhilfswerk schon 2019 verstärkt mit den Präventionsmaßnahmen begonnen habe.

Derzeit laufe eine Pilotstudie über die gesellschaftlichen Normen für die Kindererziehung, so Munoz-Quezon. Die Ergebnisse sollen dabei helfen, kindergerechte Angebote wie Lektüren oder Sommercamps zu entwickeln, um sie auf den Online-Missbrauch zu sensibilisieren. "Wir wollen die Psyche der Kinder stärken, damit sie widerstandsfähiger werden."

Filmmacher Ysrael C. Diloy Bild: Benjamin Füglister

Engagierte Zivilgesellschaft

Gemeinsam mit Schulen, Kirche, Polizei und Eltern organisiert die Nichtregierungsorganisation Bidlisiw Seminare. Der Schwerpunkt liege darin, der gesamten Webcam-Sex-Industrie das Handwerk anzulegen, erklärt Lolita Ganapin, Leiterin von Bidlisiw. Ihre Mitarbeiter gehen in die Internetcafés in Slumgebieten oder kooperieren mit den Internetprovidern. "Nicht alle Gemeinden sind an einer Kooperation mit uns interessiert. Für einige ist das Thema zu heikel", berichtet Ganapin.

Auch Ysrael C. Diloys Hilfsangebote wurden zu oft abgelehnt. Diloy arbeitet für die Kinderschutzorganisation Stairway. Sie hat animierte Online-Trainingsfilme entwickelt. Seit 2012 wandte sich Diloy an das Bildungsministerium der Philippinen, ob die Regierung im Zuge der politischen Kampagne gegen Cybersex Interesse an einer Kooperation habe. Seine Online-Filme seien besonders geeignet für den Unterricht.

Aber er stieß zunächst auf Widerstand, bis jetzt. "Ab Juni 2020 werden Cyber-Sicherheit und Prävention von Missbrauch erstmals feste Bestandteile in Übungseinheiten an Schulen sein", berichtet der Filipino. Danach will das Bildungsministerium die Zwischenergebnisse und Wirkung der Trainings evaluieren. 

Die Recherche der Autorin wurde ermöglicht durch ein "Global Health Reporting Grant" des European Journalism Center (EJC) und der Bill and Melinda Gates Foundation.

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