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Musik

Gespräch mit Gabriela Montero

Rick Fulker
4. Dezember 2018

Die venezolanische Ausnahme-Pianistin bringt ihre Zuhörer immer wieder zum Staunen. Der Niedergang ihrer Heimat hat sie zur Fürsprecherin der Menschen dort gemacht. Jetzt bekommt sie den Internationalen Beethoven-Preis.

Klavierspielerin - Gabriela Montero
Bild: Shelley Mosman

Die Kunst der Pianistin und Komponistin Gabriela Montero ist ebenso einmalig wie unbegreiflich. Bei ihren Klavierabenden improvisiert sie häufig spontan zu einem Thema, das gerade jemand im Publikum vorgeschlagen hat - ganz im Stile eines Bach, Rachmaninow oder Mozart. Die frühe Gegnerin der Chavez-Regime in Venezuela hat den dramatischen Verfall ihrer Heimat aus dem Ausland beobachtet. Gleichzeitig hat die Krise Monteros Kommunikationsaktivitäten verstärkt - in Form von Worten und durch die Musik.

Anlässlich eines Konzerts mit Preisverleihung am 4. Dezember in Bonn wurde Montero der Beethoven-Preis 2018 überreicht. Zu den früheren Preisträgern gehören Aeham Ahmad, der syrische Pianist, der einst in den Trümmern eines Vororts von Damaskus spielte und seinen Mitmenschen dadurch Trost spendete; Fazil Say, der türkische Pianist und Komponist, der einen kritischen und mutigen Standpunkt gegen die Regierung seines Heimatlandes eingenommen hat; und Wolfgang Niedecken, der deutsche Rocker, der sich unter anderem für Kindersoldaten in Afrika eingesetzt hat.

Deutsche Welle: Sie erhalten den "Internationalen Beethoven-Preis für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion". Was bedeutet dieser Preis für Sie?

Gabriela Montero: Es ist eine große Ehre und Anerkennung der Rolle, die wir in dieser Welt spielen können, wenn es darum geht, gegen Ungerechtigkeit aufzustehen - und speziell in meinem Fall, die Geschichte des venezolanischen Volks zu erzählen sowie vom großen Leiden, das wir seit zwanzig Jahren aushalten müssen. Ferner bedeutet es, dass ein Klassik-Künstler nicht nur Schönheit und Unterhaltung vermitteln, sondern auch ein Vorbild sein kann.

"Die Musik fließt einfach durch mich hindurch" lautet Gabriela Monteros Erklärung ihrer außerordentlichen ImprovisationskunstBild: privat

Ist das etwas, was ein Künstler tun kann - oder tun muss?

Wie könnten wir es in diesen Zeiten nicht tun? Wir sind Kommunikatoren, haben Podium und Publikum. Wie sollten wir denn diese Gelegenheit nicht wahrnehmen, die Geschichten zu erzählen, die erzählt werden müssen? Vor allem angesichts des Schweigens, das die Situation in Venezuela noch heute umgibt.

Ludwig van Beethoven hat es einmal so formuliert: "Wohl tun, wo man kann, Freiheit über alles lieben." Dieses Ideal liegt auch dem Beethoven-Preis zugrunde. Wie ist es aber bei seiner Musik? Ruft sie auch zum Engagement auf?

Was mich als Beethoven-Interpretin und Liebhaberin am meisten bewegt ist, dass er darin menschliche Schwächen und Begrenztheiten zu überwinden versucht. Das ist Musik, die nach dem Himmel greift, die eine Botschaft ausstrahlt und die Frage stellt: Wie können wir über uns selbst hinauswachsen und zu besseren Menschen werden?

Manche sagen, dass die Musik wertneutral ist. Andere behaupten, sie kann uns zu besseren Menschen machen. Da hege ich aber Zweifel. Unter den Nazis gab es zum Beispiel viele Klassikliebhaber, die dadurch anscheinend nicht zu besseren Menschen geworden sind. Kann die Musik humanisierend auf die Mensch einwirken?

Nein, ich halte das bloß für einen wirksamen Marketingspruch. Aber als Künstlerin und Honorarkonsulin von Amnesty International - als jemand, die einen klaren Standpunkt für die Menschenrechte einnimmt - glaube ich schon, dass die Musik ohne einen ethischen Hintergrund oder eine ethische Botschaft eine leere Hülle ist. Sie mag schön sein, aber ich möchte nicht bloß eine schöne Vase bewundern. Ich will etwas damit tun, sie nützlich machen, einen Beitrag für die Menschheit leisten. Die Musik ist also für mich schon eine zweckgebundene Kunst - obwohl mir mein Aktivismus überhaupt keinen Vorteil eingebracht hat. Ein Künstler ist daran gewöhnt, bewundert zu werden und Applaus zu bekommen. Wenn man sich aber für etwas einsetzt und sich dadurch zur Zielscheibe macht, ist das keine leichte Rolle, die man spielt.

Sie erzählt nicht nur von Leid, sondern vermittelt auch Freude: Gabriela MonteroBild: Shelley Mosman

Glauben Sie, dass das, was in Venezuela passiert, das Ergebnis fehlgeleiteter sozialistischer Ideale ist?

Es ist wichtig, dass die Menschen verstehen, dass das, was in Venezuela gerade geschieht, nichts mehr mit "links" oder "rechts" zu tun hat - nicht mit irgendwelchen Ideologien. Dort herrscht eine reine Kleptokratie: Das Land wurde, wie man jetzt weiß, von einem Drogenkartell als Geisel genommen. Für Intellektuelle war der vermeintliche Sozialismus bloß Schaufensterpolitik. Inzwischen ist aber klar geworden, dass Venezuela ein gescheiterter Staat ist. Eine Narko-Mafia hat ihn fest im Griff. In dem Land werden jährlich 30.000 Menschen ermordet. Dort kann man wegen einer einzigen Twitter-Nachricht ins Gefängnis kommen. Folter ist an der Tagesordnung. Die Menschen verdienen zwei bis vier US-Dollar pro Monat, müssen aber für sechs Eier fünf Dollar aufbringen. Es gibt keinen Zugang zu den einfachsten Medikamenten. Tag für Tag wandern tausende Venezolaner nach Kolumbien, Peru oder Brasilien aus - und zwar zu Fuß. Es geht hier um Völkermord, nichts Geringeres.

Wie kann man den Menschen helfen?

Zunächst mal, indem man das Schweigen bricht. Die Situation ist gefährlich - und zwar nicht nur für Venezolaner, sondern für die ganze Welt. 

Hat die Lebenswirklichkeit in Ihre Musik Einzug gehalten?

2011 schrieb ich ein Stück mit dem Namen "Ex Patria". Es war meine erste Komposition, ein Tongedicht für Klavier und Orchester. Es war eine Huldigung an die 19.336 Mordopfer, die es allein im Jahr 2011 gab. Manchmal improvisiere ich bei meinen Konzerten und sage dann: "So fühlt sich Venezuela an". Dabei bin ich fast wie eine Trauernde und weine manchmal. Das Publikum nehme ich wirklich mit auf die Reise - und mitunter hört man dann auch Schluchzen im Publikum. Diese Stücke sind wirksame Mittel, die Geschichte von Mord, Entführung, Verhungern, Exil und zerstörten Familien zu erzählen. Sie erzeugen Mitgefühl.

Wird Ihr Einsatz in Ihrer Heimat anerkannt oder überhaupt wahrgenommen?

Ja, aber die Medienlandschaft wird von der Regierung kontrolliert. Es gibt eine Zensur, die nicht einfach zu umgehen ist. Aber die weltweite venezolanische Gemeinschaft unterstützt mich. Überall bei meinen Konzerten danken diese Menschen mir dafür, dass ich zu ihrer Stimme geworden bin.

Im Gespräch mit DW-Redakteur Rick FulkerBild: DW/A. Boutsko

Kann die Musik das Leben der Menschen verändern?

Ein Beispiel: Täglich erreichen mich Nachrichten von Venezolanern, die mich um Hilfe bitten. Vor drei Jahren nahm ein unglaublich talentierter junger Tenor namens Luis Magallanes Kontakt mit mir auf Facebook auf. Ich wollte wissen, ob er eine Karrierechance außerhalb des Landes hätte und bat ihn um ein Video. Als mein Mann und ich ihn darauf hörten, waren wir begeistert und beschlossen, diesem jungen Mann unbedingt zu helfen. Durch seine Begabung und Entschlossenheit sowie durch den Einsatz der internationalen venezolanischen Gemeinschaft erhielt er ein Stipendium zum Studium an der Königlichen Irischen Musikakademie in Dublin - und dort hat er inzwischen große Erfolge. Das ist die Geschichte eines einzelnen Mannes. Es gibt abertausende mehr. Heute Abend treten wir zusammen auf. Es spielen auch zwei weitere Venezolaner, die derzeit in Barcelona studieren: die Geigerin Arianna Soledad Orono und der Bratschist Johan Rondon Castillo. Für mich wird das der Höhepunkt des Abends sein.

Mit Gabriela Montero sprach DW-Redakteur Rick Fulker.

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