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Politik

Burundis "ewiger oberster Führer" ist tot

Jan Philipp Wilhelm | Eric Topona
9. Juni 2020

Der burundische Präsident Pierre Nkurunziza ist mit 55 Jahren gestorben. An der offiziellen Todesursache gibt es erhebliche Zweifel. Sein bereits gewählter Nachfolger soll nun "schnellstmöglich" den Amtseid ablegen.

Präsident Burundis Pierre Nkurunziza
Pierre Nkurunziza vor drei Wochen, nachdem er bei der Präsidentschaftswahl seine Stimme abgegeben hatteBild: Reuters/C. Guy Siboniyo

Ein Regierungssprecher sagte der Deutschen Welle, Burundis scheidender Präsident Pierre Nkurunziza habe einen Herzinfarkt erlitten. Doch Beobachter vermuten COVID-19 als mögliche Todesursache. Wie verschiedene Nachrichtenagenturen berichten, war Nkurunziza schon am Wochenende in ein Krankenhaus in der Provinz Karusi gebracht worden. Nach zwischenzeitlicher Besserung habe sich der Zustand des 55-Jährigen am Montagmorgen aber dramatisch verschlechtert. Nkurunzizas Frau sei demnach Ende Mai zur Behandlung einer COVID-19-Erkrankung nach Kenia gebracht worden.

Die Nachricht vom Tod Nkurunzizas kommt nur wenige Wochen vor der geplanten Amtsübergabe an seinen designierten Nachfolger und Parteifreund Evariste Ndayishimiye. Dieser hatte die Präsidentschaftswahl im Mai gewonnen, nachdem Nkurunziza selbst nicht mehr angetreten war. Auch um den Wahltermin nicht zu gefährden, sei die Corona-Epidemie in Burundi von Anfang an von den Behörden vertuscht worden, sagt Thierry Vircoulon, Burundi-Experte der International Crisis Group im DW-Interview. Laut Vircoulon könnte Nkurunziza ein Opfer dieser politischen Strategie geworden sein. "Nach seinem Tod ist es natürlich schwierig, die Pandemie weiter zu vertuschen."

Menschenmassen bei einer Wahlkampfveranstaltung in Burundi Ende April: Das Coronavirus wird verharmlostBild: picture-alliance/dpa/AP Photo/B. Mugiraneza

Für die Machtverhältnisse in Burundi gleicht Nkurunzizas Tod einem Erdbeben. 15 Jahre lange hatte er das kleine Land in Zentralafrika regiert. Beobachter hatten erwartet, dass Nkurunziza auch nach der Amtsübernahme von Evariste Ndayishimiye die Amtsgeschäfte weiter aus dem Hintergrund gesteuert hätte. Bis zuletzt sei unklar geblieben, wie genau die Machtstruktur in Burundi ausgesehen hätte. "Diese Frage stellt sich nun nicht mehr", so Vircoulon. "Der neue Präsident des alten Regimes hat nun völlig freie Hand."

"Ewiger oberster Führer"

Als "ewigen obersten Führer" hatte die burundische Regierungspartei CNDD-FDD den Präsidenten Pierre Nkurunziza einst betitelt. Und tatsächlich schien es lange so, dass der ehemalige Rebellenführer noch jahrzehntelang das Präsidentenamt innehaben wollte. Erst 2018 stimmten die Burundier in einem Volksentscheid mit großer Mehrheit einer Verfassungsänderung zu, die es Nkurunziza theoretisch erlaubt hätte, bis 2034 im Amt zu bleiben.

2015 gab es Proteste gegen Nkurunzizas dritte AmtszeitBild: DW

Seit Nkurunziza sich im April 2015 zum dritten Mal als Präsidentschaftskandidat aufstellen ließ und damit in den Augen vieler gegen die verfassungsmäßige Beschränkung auf zwei Amtszeiten verstieß, herrschte in Burundi Dauerkrise. 400.000 Menschen sind seither aus dem Land geflohen, Tausende kamen ums Leben. Seit November 2017 ermittelt der Internationale Strafgerichtshof in Den Haag wegen "systematischen Terrors" gegen die burundische Regierung. Den Gerichtshof hatte Burundi auf Geheiß Nkurunzizas kurz darauf verlassen.

Karriere im Bürgerkrieg

Wie viele Burundier seiner Generation kam auch der 1963 geborene Nkurunziza früh in seinem Leben mit Gewalt in Berührung. 1972 wird sein Vater, ein Angehöriger der Volksgruppe der Hutu und Gouverneur zweier Provinzen, während einer Welle ethnisch motivierter Gewalt getötet. Schätzungen zufolge kommen damals innerhalb weniger Monate mehr als 100.000 Hutu und mehr als 10.000 Tutsi ums Leben. Pierre Nkurunziza, seine Geschwister und seine Mutter, eine Tutsi, überleben.

In den 1980er-Jahren verlässt Nkurunziza seine Heimatprovinz Ngozi, um an der Universität in der Hauptstadt Bujumbura Sportwissenschaften zu studieren. Er arbeitet als Sportlehrer und Aushilfsdozent an der Universität, als 1993 der Bürgerkrieg zwischen Hutu-Rebellen und der von Tutsi dominierten Armee ausbricht. Zwei Jahre später entkommt Nkurunziza nur knapp einem Angriff der Armee auf den Universitätscampus, bei dem über 200 Menschen sterben. Kurz darauf schließt er sich der Rebellengruppe FDD an, die den bewaffneten Arm der von Hutu dominierten politischen Gruppe CNDD bildet.

2003 unterschrieb Nkurunziza (links) als Führer der Rebellengruppe FDD einen Friedensvertrag mit der burundischen RegierungBild: Getty Images/AFP/M. Longari

Nkurunziza macht Karriere als Milizionär und übernimmt 2001 die Führung einer Splittergruppe der FDD. In dieser Funktion ist er entscheidend an den Friedensverhandlungen mit Präsident Domitien Ndayizeye beteiligt und zieht 2004 sogar in dessen Kabinett ein. Ein Jahr später gewinnt die CNDD-FDD, jetzt politische Partei, die ersten freien Parlamentswahlen seit dem Bürgerkrieg. Der Parteichef Nkurunziza wird Präsident.

Doch die Kriegsjahre hinterlassen auch privat Spuren: Fünf seiner sechs Geschwister kommen bei Kämpfen und Massakern während des Bürgerkriegs ums Leben.

Korruptionsvorwürfe

Zwar wird der neue Präsident für seine Bemühungen, den Bürgerkrieg zu beenden, im In- und Ausland gefeiert. Doch laut Burundi-Experte Clark schafft Nkurunziza in den Anfangsjahren seiner Präsidentschaft bereits die Voraussetzungen für die Krise, die das Land seit 2015 prägt. "Um politische Gegner auszustechen und die Partei und den Staatsapparat in den Griff zu bekommen, hat sich Nkurunziza von Anfang an in der Staatskasse bedient", so Clark.

2018 warb Nkurunziza für eine Verfassungsänderung, die ihm theoretisch viele weitere Jahre im Amt ermöglicht hätteBild: E. Ngendakumana

Weil Burundi aber gegen Ende der 2000er-Jahre durch die internationale Finanzkrise plötzlich das Geld fehlt, sei diese Strategie nicht mehr aufgegangen. Der schrittweise Zusammenbruch des Staates in den vergangenen Jahren sei deshalb in vielerlei Hinsicht die zwangsläufige Folge des korrupten Regimes, das Nkurunziza aufgebaut habe, so Clark.

Weil Nkurunziza seit Beginn der Unruhen 2015 verstärkt auf Repressionen und Gewalt zurückgreift, wenden sich zwischenzeitlich auch viele ehemalige Mitstreiter von ihm ab. Einer von ihnen ist Onesime Nduwimana, Ex-Sprecher der CNDD-FDD. Im Gespräch mit der DW sagte er 2018: "Man hat den Eindruck, dass Nkurunziza die Tragweite seiner Taten gar nicht sieht." Alles, was für ihn zähle, sei seine Macht.

Wenig Hoffnung auf Veränderung

Dass Pierre Nkurunziza im Mai dieses Jahres schließlich doch nicht mehr zu einer vierten Amtszeit antrat, kam für viele Burundier überraschend, die Amtsübergabe an Evariste Ndayishimiye wurde mit Spannung erwartet. Doch auch nach dem Tod Nkurunzizas sind die Menschen im Land skeptisch, dass sich etwas an der politischen Situation in Burundi ändert. "Das Problem liegt am System der Regierungspartei CNDD-FDD", sagt Marguerite Barankitse, Gründerin des "Maison Shalom", einem Zufluchtsort für Jugendliche und Flüchtlinge in Burundi. Nun bedürfe es eines richtigen politischen Dialogs, um eine nachhaltige Lösung für das Land zu finden.

Der designierte burundische Präsident Evariste Ndayishimiye bei der Stimmabgabe bei der Präsidentschaftswahl Mitte MaiBild: Reuters/E. Ngendakumana

Auch der Menschenrechtsaktivist Pierre Claver Mbonimpa, der im August 2015 nur knapp einen Anschlag durch das Regime Nkurunzizas überlebte, macht sich keine großen Hoffnungen auf Veränderungen: "Wir wissen, wie die Generäle und Offiziere reagieren. Auch wenn Ndayishimiye Präsident wird, wird er weiterhin im gleichen System der CNDD-FDD arbeiten." Zum Tod Nkurunzizas erklärt Mbonimpa gegenüber der DW: "Mir als Menschenrechtsaktivist tut es immer weh, wenn jemand stirbt." Doch schmerze ihn vor allem, dass Nkurunziza nun nicht mehr strafrechtlich belangt werden könne. "Wir haben auf Gerechtigkeit gewartet, aber das wird jetzt schwierig werden."

Laut Regierungssprecher Prosper Ntahogwamiye gilt seit Dienstag in Burundi eine siebentägige Staatstrauer. Am Freitag entschied dann das Verfassungsgericht: Der designierte Präsident Evariste Ndayishimiye soll nun "schnellstmöglich" seinen Amtseid ablegen. Ein Datum nannten die Richter nicht, doch Ndayishimiye dürfte wohl nicht mehr bis August warten müssen, bis er offiziell zum Nachfolger Nkurunzizas als Präsident ernannt wird.

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