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Pilgern unter Aufsicht

Sarah Mersch, Djerba9. Mai 2015

Auf der tunesischen Insel Djerba findet die jährliche jüdische Pilgerfahrt statt - diesmal aber nur unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen. Die Gläubigen nehmen es gelassen. Sarah Mersch, Djerba.

Jüdische Pilgerfahrt auf Djerba (Foto: DW/S.Mersch)
Bild: DW/S. Mersch

Es ist heiß in den zwei kleinen Räumen der La Ghriba-Synagoge auf Djerba. Am späten Vormittag ist das Thermometer im Süden Tunesiens auf fast vierzig Grad Celsius geklettert, eine Ausnahme für diese Jahreszeit. "Und dann zünden wir auch noch Kerzen an", lacht eine junge Frau. Jede Kerze steht für einen Wunsch - Gesundheit, Kinder, Erfolg im Studium. Viele Gläubige bringen Opfergaben mit und schreiben ihre Wünsche auf hartgekochte Eier, die sie in eine Grotte in der Ecke der Synagoge legen.

Rund 200 Pilger sind an diesem Morgen in die älteste Synagoge Afrikas gekommen, um an der jährlichen Pilgerfahrt teilzunehmen. "Das ist eine Reinigung von Körper und Geist, man konzentriert sich wieder auf sich selbst und auf Gott", erklärt William Sultan. Der Anwalt lebt in Paris, wurde jedoch in einem Vorort der tunesischen Hauptstadt Tunis geboren. Fast jedes Jahr im Frühjahr kommt er nach Djerba.

Deutlich weniger Gäste

Die meisten Pilger kommen aus Europa, viele sind tunesischen Ursprungs. In dem Mittelmeerland lebten zur Kolonialzeit mehr als hundertausend Juden, doch die meisten haben Tunesien nach der Unabhängigkeit und dem Sechs-Tage-Krieg verlassen. Sie sind nach Frankreich oder Israel ausgewandert. Heute hat die Gemeinde auf Djerba noch rund 500 Mitglieder, in ganz Tunesien leben knapp 1500 Juden. Die Feierlichkeiten zum Lag Ba'Omer-Fest, die die ganze Woche andauern, sind für viele die Gelegenheit, Freunde und Bekannte zu treffen, die aus dem ganzen Mittelmeerraum anreisen. "Man kann eine kleine Auszeit nehmen. Das Wetter ist ja auch besser als in Europa", lacht Jacob Chiche aus Frankreich. Doch diesmal sind deutlich weniger Menschen gekommen als früher. "Das ist schade, ich verstehe es nicht. Ich habe mich hier immer sicher gefühlt."

Jacob Chiche entzündet eine KerzeBild: DW/S. Mersch

Waren es früher mehrere Tausend Pilger, sind es dieses Jahr gerade einmal wenige Hundert. Selbst viele jüdische Tunesier haben ihre Teilnahme abgesagt. Seit dem politischen Umbruch 2011 fürchten viele um ihre Sicherheit. Der Anschlag auf das Bardo-Museum durch tunesische Djihadisten im März und eine Warnung des israelischen Premierministeriums wenige Tage vor der La Ghriba-Pilgerfahrt haben ihr Übriges dazu getan. Die tunesischen Behörden dementierten die Warnungen aus Israel, es gäbe konkrete Hinweise auf einen Anschlag. Man werde alles tun, um die Sicherheit der Gäste zu garantieren, betonte Tunesiens Innenminister Mohamed Najem Gharsalli. Die Sicherheitsvorkehrungen sind deutlich sichtbar. Straßensperren riegeln das Gelände um die Synagoge weiträumig ab, ein Hubschrauber und eine Drohne der Armee kreisen über dem Gelände und die Polizei filmt das Geschehen.

Chantal ist zum ersten Mal bei der Pilgerfahrt, mehr als 15 Jahre war sie nicht mehr in der Heimat ihrer Eltern. Angst habe sie keine, betont sie, auch wenn so mancher ihrer Freunde in Frankreich versucht habe, sie von der Reise zur La Ghriba abzubringen. "Wenn es mein Schicksal ist, dann werde ich eben an einem heiligen Ort sterben", lacht die Mittfünfzigerin.

Jüdische Pilger feiern ein farbenfrohes Fest auf DjerbaBild: DW/S. Mersch

Nostalgische Feierstimmung

Am Nachmittag hallt laute Musik über das Gelände der Synagoge. Auf der Bühne steht eine tunesische Band mit einem israelischen Sänger, gemeinsam singen sie klassische tunesische Lieder. Die Stimmung ist freudig und gelöst. Eine Mischung aus Arabisch und Französisch dominiert die Diskussionen, nur um die Pilger zu segnen spricht der Rabbiner hebräisch. Jeder von ihnen bringt eine Flasche Boukha mit, tunesischen Feigenschnaps, aus der der Geistliche einen Schluck nehmen muss. Beim Mittagessen nebenan fließt das Bier in Strömen, dazu gibt es tunesische Spezialitäten. Chantal ist begeistert von der Stimmung, auch wenn sie es schade findet, dass nur wenige Menschen gekommen sind. "Meine Eltern, Tanten und Onkel haben mir erzählt, dass sie sogar auf dem Gelände übernachtet haben. Das waren drei Tage Feier ohne Pause," erzählt sie. Viele Gläubige erzählen voller Nostalgie von früher, als man sich noch keine Sorgen um Sicherheitsfragen gemacht hat.

Auch wenn das Zusammenleben von Juden und Muslimen in Tunesien im Alltag weitgehend problemlos verläuft, ist die Pilgerfahrt für die tunesischen Behörden trotzdem eine Nagelprobe. Dass alles glatt läuft, könne auch die Touristen beruhigen, die seit dem Anschlag auf das Bardo-Museum im März Angst haben, das Land zu besuchen, hofft man. Zur rituellen Prozession am frühen Abend, bei der eine große, üppig geschmückte Menora, ein jüdischer Leuchter, durch die Straßen gezogen wird, lassen sich daher auch mehrere Minister sehen. Früher ging die Prozession durchs ganze Dorf, seit einigen Jahren ist an der Polizeisperre am Ende der Straße Schluss. Chantal ist trotzdem begeistert. "Diese Tradition darf nicht eingehen, wir müssen sie wiederbeleben", meint sie. Nächstes Jahr werde sie daher auf jeden Fall wiederkommen.

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