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Politik

Politischer Aschermittwoch der SPD

Heiner Kiesel
1. März 2017

Der politische Aschermittwoch ist der alljährliche politische Show-Termin der Parteien in Bayern. Bei der SPD-Veranstaltung in Vilshofen tritt auch der designierte Kanzlerkandidat auf - und überrascht sogar seine Fans.

Deutschland Politischer Aschermittwoch der SPD in Vilshofen
Bild: Reuters/M. Rehle

Die Sozialdemokraten in Bayern feiern Schulz

02:52

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Es muss einen schon etwas Starkes antreiben, wenn man morgens um vier Uhr in einer Stadt wie Schweinfurt, das ist im nordwestlichen Bayern, am Straßenrand steht und auf den Bus wartet. In diesem Fall sind es fast vierzig SPD-Parteimitglieder. Sie wollen nach Vilshofen, zum politischen Aschermittwoch ihrer Partei. Das ist so ein Brauchtums-Termin im Kalender der bayerischen Parteien, mit Weißwürsten, Weißbier und gerne derben Angriffen auf die politischen Konkurrenten. Isabella Walter, die Geschäftsführerin des SPD-Unterbezirks Schweinfurt-Kitzingen läuft fröhlich durch die Wartenden. In ihrer Hand hat sie die Teilnehmerliste. "So viele waren es schon lange nicht mehr, ach was, noch nie!", sagt die mittelgroße Frau mit den dunkel gefärbten Haaren. Die Haare der meisten anderen sind weiß. Es sind viel mehr Männer als Frauen. Durch die feuchte Morgenluft wabert der herbe Geruch von Rasierwasser. Der Bus ist da. Die nächsten vier Stunden geht es quer durch den Freistaat Bayern.

Bild: DW/H. Kiesel

Die Stimmung im Bus ist, angepasst an die frühe Stunde, etwas matt. Aber trotzdem - die Reisenden vermitteln, dass es wieder Spaß macht, Sozialdemokrat zu sein in Deutschland. Das liegt an Martin Schulz, dem Ex-Präsidenten des Europäischen Parlaments und seit einem Monat designierter Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat der SPD. Er wird in Vilshofen sprechen und er ist der Mann, der die zuletzt so zerquälte älteste Partei Deutschlands geradezu aufputscht. Geschäftsführerin Walter erzählt, dass ihr die Parteibücher im Büro ausgegangen sind. 22 Neueintritte in vier Wochen. In Bayern waren es 1000, in ganz Deutschland um die 7000 Neumitglieder. Die Partei hat die geradezu magischen 30 Prozent in einer Meinungsumfrage passiert. "Ich hoffe wir halten das", meint Georg "Schorsch" Wahl. Er ist 80 und seit 44 Jahren Parteigenosse. "Ich habe wirklich schon gelitten wegen meiner Partei, aber mit dem Schulz, das ist wieder die richtige SPD."

Mit Leidenschaft dabei: Georg "Schorsch" WahlBild: DW/H. Kiesel

Politischer Aschermittwoch - die Kür für öffentliche Redner

In Vilshofen haben sie unten am Fluss ein weißes Festzelt aufgebaut, dann haben sie es erweitert. Jetzt passen mehr als 5000 Besucher rein. Drinnen stehen die Biertische in endlos langen Reihen. Ausverkauft. Vorne spielt die Blaskapelle volkstümliche Musik auf. Kellnerinnen im Dirndl servieren Weißwürste, Brezeln und Weißbier. Die Organisatoren freuen sich hämisch, dass die CSU ein paar Kilometer Donau abwärts in Passau nur 4100 Leute empfangen darf, wegen der Behörden. Es ist heiß, die Luft ist eher verbraucht als frisch. Die dominierende Pulloverfarbe ist rot. Es ist neun Uhr, die meisten haben ihr erstes Bier schon geschafft.

Die Menschen sind gekommen, um zu sehen, ob sie Martin Schulz alle packen und begeistern kann. Eine Bewährungsprobe im Bierzelt. Politischer Aschermittwoch, das steht für Klartext und Volksnähe. Der bayerische Landesvorsitzende der SPD, Florian Pronold, versucht es mit einer sich fast überschlagenden Stimme. Kritisiert die Wohnungsbau- und Bildungspolitik der regierenden CSU. Am stärksten ist der Applaus, als er von dem Mann spricht, "der die Union das Fürchten gelehrt hat".

Solidarisch: Christian Kern Bild: picture-alliance/dpa/D. Karmann

Kurz danach kommt aber erst ein anderer Star aus dem sozialdemokratischen Universum: der österreichische Bundeskanzler Christian Kern. Aufrecht schlank im Maßanzug stützt er sich an die Seiten des Rednerpults und führt sich selbst als "die Vorband von Martin Schulz" ein. Das freut die Zuhörer, auch dass sich hier ein Staatsmann traut, harsche Kritik am Präsidenten der USA zu üben. "Da ist der Bock zum Gärtner gemacht worden." Kern spricht über die Abstiegsängste der Mittelschicht und die Gefahren des Rechtspopulismus und Nationalismus. Frieden, Demokratie und Freiheit seien keine Selbstverständlichkeit mehr, beschwört er. Am Ende macht er allen Mut. Vor allem auf einen Regierungswechsel nach der Bundestagswahl im Herbst. "Schmidt, Schröder, Schulz - das hört sich doch wirklich logisch an", wirbt er. Applaus. Dann ist es endlich soweit.

Martin Schulz kann auch "Bierzelt"

Das Publikum skandiert "Martin, Martin", als Schulz auf die Bühne kommt. Den Kopf leicht nach vorne geneigt, die Schultern leicht hochgezogen. Er kennt das Szenario. Bereits drei mal, zuletzt vor zwei Jahren, hat er hier gesprochen. Aber damals war alles anders. So hohe Erwartungen wie heute musste er nicht befriedigen. In den Gängen drängen die Menschen nach vorne, um sich genau anzuschauen, was da passiert.

Die letzten Wochen hat Schulz sich ja eher als aufmerksamer Zuhörer gegeben und Betriebe, Pflegeeinrichtungen, oder Schulen besucht. Jetzt steht er also vor 5000 Menschen, die ihm zuhören wollen. Seine Haltung wird langsam lockerer, während er über europäische Solidarität spricht und von seinem Stolz auf die Erfahrungen, die er in Brüssel gesammelt hat. "Mit mir wird es kein Schlechtreden der EU geben!" Der künftige SPD-Frontman mahnt Solidarität mit den Flüchtlingen an und fordert in dieser Sache die Unterstützung der EU-Mitglieder für Deutschland ein. Eifriges Klatschen.

Bild: DW/H. Kiesel

Schulz dringt auf Mäßigung im politischen Diskurs. "Auch im Bierzelt wird ein politischer Gegner nie zum Feind!" Das lässt ihm aber noch Platz, um sich lustig über die Querelen in der Union zu machen. Das sei eine Art Zwangsehe. Angela Merkel habe gesagt, dass sie Lust auf etwas Neues habe, ruft er und pausiert kurz. Dann schließt er lächelnd: "Ich bin zwar kein Eheberater, aber das klingt ja schon fast so, als habe da jemand Lust auf unanständige Abenteuer." Was das ist, erklärt er auch gleich. "Das Neue ist eine SPD-geführte Bundesregierung." Das Zelt johlt begeistert. Schulz kann Bierzelt.

Ein paarmal, wenn der Applaus ganz besonders aufbrandet, fährt Schulz sich mit dem Zeigefinger der rechten Hand zwischen Kragen und Hals. Eine Siegerpose gönnt er sich nicht.

So beeindruckt der SPD-Hoffnungsträger Martin Schulz... 

Der Ex-Europapolitiker lobt Deutschland, "die hart arbeitenden Fachkräfte", aber dann wird er persönlich und es zeigt sich, dass er seine Zuhörer bis in den letzten Winkel des geräumigen Zeltes in den Griff bekommt. Dann nämlich, wenn er über seine eigene wechselhafte Biographie spricht, seine Orientierungslosigkeit und seine abgebrochene Bildungskarriere. Da wird es fast still, so aufmerksam hören alle zu.

Bild: DW/H. Kiesel

Dann baut der designierte Kanzlerkandidat der SPD wieder Stimmung auf, fordert Respekt für Polizisten, Pflegepersonal, Feuerwehrleute. Er geißelt die Feinde der Demokratie - das seien vor allem Anhänger der AfD und Schulz bezeichnet sie als "Schande für Deutschland". Schließlich beschwört er das sozialdemokratische Bauchgefühl der sozialen Gerechtigkeit. Und am Ende verspricht er seinem Publikum den Wahlsieg bei der Bundestagswahl im Herbst. "Wir werden am 23. September ins Bett gehen und wachen auf mit dem Wahlsieg der SPD!"

...und die Zuhörer sind platt

Die Menschen im Zelt glauben es ihm. Der Applaus hört gar nicht mehr auf. "Martin, Martin" rufen sie, klatschen rhythmisch. Es dauert noch sieben Monate bis zu den Wahlen, aber hier und jetzt erscheint der Sieg bereits greifbar. Alle stehen. Am Tisch der Schweinfurter ist das auch so. Georg Wahl stiert zur Bühne. "Ich hätte nicht geglaubt, dass es so gut wird." Isabella steht zwei Plätze weiter. "Ich war schon sieben Mal hier, aber das ist der tollste politische Aschermittwoch von allen", sagt sie. "Hin und weg", schickt Walter nach. Und vorne auf der Bühne, da reißt Martin Schulz doch noch die Arme in die Höhe.

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