Pille für Abtreibung immer wichtiger
6. Januar 2023In den USA sind Abtreibungspillen künftig auch in Apotheken erhältlich, wie die US-Arzneimittelbehörde FDA diese Woche mitgeteilt hat. Um sie vertreiben zu können, müssen Apotheken eine Zulassung bei den Herstellern beantragen. Allerdings dürfen die Medikamente nur in den Bundesstaaten verkauft werden, in denen Schwangerschaftsabbrüche ohnehin grundsätzlich erlaubt sind.
Seit dem Urteil des Supreme Courts im Juni 2022 wird Abtreibung auf Landesebene geregelt. Nachdem das Gericht das seit fast 50 Jahren geltende landesweite Recht auf Abtreibung widerrufen hatte, haben zahlreiche konservative Bundesstaaten die Gelegenheit genutzt, um Schwangerschaftsabbrüche massiv zu beschränken oder ganz zu verbieten.
Bislang waren Medikamente, die einen Schwangerschaftsabbruch einleiten, nur in Arztpraxen und Kliniken mit entsprechender Zulassung sowie bei wenigen Versandapotheken erhältlich. Allerdings ist es bei weitem nicht so, dass jeder und jede ohne weiters Abtreibungspillen kaufen kann. Patientinnen benötigen ein Rezept von einem zertifizierten Arzt.
Abtreibungspille als "Schritt in die richtige Richtung"
Die Organisation "Planned Parenthood America", die im ganzen Land medizinische Dienste im Bereich Sexualmedizin, Gynäkologie und Familienplanung anbietet, bezeichnet die Nachricht als "Schritt in die richtige Richtung für gesundheitliche Gleichheit. Die Möglichkeit, verschriebene Abtreibungsmedikamente per Post zu erhalten oder sie wie jedes andere Rezept persönlich in einer Apotheke abzuholen, ist ein entscheidender Fortschritt für Menschen, die versuchen, Zugang zur medizinischen Grundversorgung zu erhalten."
Dagegen erklärte etwa die Organisation "SBA Pro-Life America", die gegen Abtreibungen mobilmacht: "Abtreibungsaktivisten wollen jedes Postamt und jede Apotheke in ein Abtreibungsgeschäft verwandeln, und die Biden-FDA macht bereitwillig mit - selbst wenn Studien zeigen, dass die Notaufnahmen mit Frauen überschwemmt werden, die an schweren, lebensbedrohlichen Komplikationen leiden, die durch Abtreibungsmedikamente verursacht werden."
Diese Behauptung widerspricht nicht nur den Informationen der FDA, sondern auch etwa denen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Nichtregierungsorganisation "Ärzte ohne Grenzen".
WHO empfiehlt Abtreibung zuhause
Bei den Abtreibungspillen handelt es sich meist um Medikamente mit den Wirkstoffen Mifepriston und Misoprostol. Die Pillen werden mit einem zeitlichen Abstand von 36 bis 48 Stunden nacheinander eingenommen, wobei die erste eine Öffnung des Gebärmutterhalses bewirkt und die zweite eine Ausstoßung des Schwangerschaftsgewebes fördert.
Eine derartige medikamentöse Abtreibung ist in den USA bis zur zehnten Schwangerschaftswoche zugelassen, in anderen Staaten gibt es ähnliche Fristen. Bereits jetzt erfolge laut Experten in den USA mehr als die Hälfte aller Schwangerschaftsabbrüche durch Abtreibungspillen, schreibt die Nachrichtenagentur AFP. Auch in anderen Ländern ersetzen sie zu einem Teil operative Eingriffe.
Medikamentöse Abtreibungen - auch eigenständig vorgenommen - sind eine von der WHO empfohlene Art des Schwangerschaftsabbruchs. In einem Papier der Organisation dazu heißt es, schwangere Personen sollten sich bis zur zwölften Schwangerschaftswoche dafür entscheiden können, sich die Medikamente selbst zu verabreichen, ohne direkte Überwachung durch medizinisches Personal.
Selbstdurchgeführte Abtreibungen könnten etwa aus Kostengründen, wegen der einfacheren und schnelleren Durchführbarkeit und der größeren Privatsphäre attraktiv sein. Der WHO zufolge "kann die Einbeziehung der Selbstversorgung eine innovative Strategie sein, um die medizinische Grundversorgung" zu stärken - gerade auch in Ländern und Regionen mit überlasteten Gesundheitssystemen.
In vielen Ländern ist ein medikamentöser Schwangerschaftsabbruch in den eigenen vier Wänden jedoch nicht erlaubt - auch in Deutschland muss die Einnahme unter ärztlicher Aufsicht erfolgen.
"Ich wollte alleine zuhause sein und in Ruhe trauern"
Eine US-amerikanische Twitter-Nutzerin, die sich Brooke nennt, erzählt der Deutschen Welle, sie habe sich sich vor zwei Jahren für eine medikamentöse Abtreibung zuhause entschieden. Ein Schwangerschaftsabbruch sei nötig gewesen, nachdem eine Schwangerschaft ohne Fötus festgestellt worden war, es aber von alleine nicht zu der für den Körper notwendigen Fehlgeburt kam.
Sie erklärt: "Ich wollte alleine zuhause sein und in Ruhe trauern, ohne dass Ärzte an mir herumdokterten. Ich wollte mich sicher fühlen." Es sei zudem eine Hochphase der Corona-Pandemie gewesen - für die heute 25-Jährige ein weiterer Grund, ihr Zuhause dem Krankenhaus vorzuziehen.
In der Corona-Pandemie hatten angesichts von Lockdowns und Ansteckungsgefahren einige Länder Ausnahmen gemacht und den Zugang zu Abtreibungspillen vereinfacht. Dadurch waren es etwa vorübergehend ermöglich, dass Frauen nach einer Telefon- oder Online-Beratung die Pillen in den eigenen vier Wänden einnehmen durften. Doch vielerorts - gerade in Ländern, in denen Abtreibungen generell sehr eingeschränkt oder verboten sind - hatten Frauen zu Hochzeiten der Pandemie sogar noch größere Probleme als ohnehin.
Online-Versand als Alternative
Es gibt jedoch auch die Möglichkeit, die Medikamente online zu bestellen. Die Frauenrechtsorganisation "Women on Web" zum Beispiel richtet sich mit ihrer gleichnamigen Plattform in 22 Sprachen an solche Frauen, bietet medizinische Online-Beratungen an und verschickt die Medikamente.
Unter anderem durch solche Angebote und das Reisen in andere Länder - oder im Fall der USA andere Bundesstaaten - können Frauen weltweit Abtreibungsverbote umgehen. Viele tun genau das - doch nicht immer auf sichere Art und Weise.
Insgesamt führen Abtreibungseinschränkungen und -verbote erfahrungsgemäß nicht zu weniger Schwangerschaftsabbrüchen, sondern nur dazu, dass mehr Abtreibungen unter unsicheren Bedingungen stattfinden - etwa bei illegalen chirurgischen Eingriffen oder unter Einsatz nicht anerkannter Tinkturen und Chemikalien. Laut WHO-Schätzungen erfolgen ganze 45 Prozent aller Abtreibungen unter solchen gesundheits-, und teils lebensgefährlichen Umständen.
Abtreibungspillen als Gamechanger
Laut Manisha Kumar, der Leiterin der "Ärzte ohne Grenzen"-Taskforce für sichere Abtreibungen, sind Abtreibungspillen deshalb "Gamechanger", die den Zugang zu sicheren Schwangerschaftsabbrüchen "revolutionieren" könnten. Es gebe immer mehr Belege dafür, dass selbst durchgeführte Abtreibungen "genauso sicher und wirksam" seien wie in einer medizinischen Einrichtung, schreibt die Ärztin in einemKommentar auf der Seite der Organisation.
"Leider wissen viele Menschen immer noch nicht, was ein Schwangerschaftsabbruch mit Pillen ist, wie er funktioniert oder wie sicher er ist. Gesetzliche Einschränkungen und Verbote, soziale Stigmatisierung und unnötige medizinische Anforderungen schränken den Zugang ebenfalls ein." All diese Hindernisse würden sich unverhältnismäßig stark auf die am stärksten Ausgegrenzten auswirken: People of Color, Arme, Jugendliche, Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, und Menschen, die von Krisen oder Konflikten betroffen sind.