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Pipeline-Gegner stürzen Bolivien in die Krise

Daniel Wortmann14. Oktober 2003

Seit Wochen beherrschen Unruhen und Streiks das politische Geschehen in Bolivien. Die Landbevölkerung und andere benachteiligte Gruppen stellen mit dem wirtschaftsliberalen Regierungskurs auch die Demokratie in Frage.

Ausverkauf der Ressourcen: Demonstranten in BolivienBild: AP

Mindestens zehn Menschen hat der Konflikt in den vergangenen Wochen seit September 2003 das Leben gekostet. Genaue Zahlen kennt niemand, manche Menschenrechtsorganisation spricht von bis zu 30 Todesopfern. Mit Straßenblockaden und Massenstreiks protestieren Bauern, städtische Angestellte und Gewerkschaftler gemeinsam gegen die Politik von Präsident Gonzalo Sánchez de Lozada.

Mit Wirtschaftspolitik gescheitert: Gonzalo Sánchez de LozadaBild: AP

Im Zentrum der Demonstrationen steht die Verärgerung über den geplanten Bau einer 900 Kilometer langen Gaspipeline. Sie soll durch das Nachbarland Chile zur Pazifikküste führen. Von dort aus will ein Konsortium von Energieunternehmen aus den USA, England, Spanien und Argentinien das Gas nach Nordamerika exportieren: Fünf Milliarden US-Dollar werden sie sich die Pipeline kosten lassen.

Pipeline bringt zu wenig Umsatz

Die Regierungsgegner werfen der politischen Elite des Landes vor, einen "Ausverkauf" der nationalen Ressourcen zu betreiben. Lediglich 18 Prozent der Umsätze aus dem Projekt würden tatsächlich nach Bolivien fließen, haben sie errechnet. Deshalb müsse man den Bau verhindern.

Oppositionsführer Evo MoralesBild: AP

Das Angebot der Regierung, über die Maßnahmen zu verhandeln, lehnen die Protestler ab. Mittlerweile fürchten bolivianische Politiker, dass es nicht mehr nur um das Gas-Projekt geht. Sie sprechen von einem Putschversuch durch den Oppositionsführer Evo Morales, der bei der Präsidentschaftswahl nur knapp gegen Sánchez de Lozada verloren hatte. Doch Morales wiegelt ab: "Dieser Konflikt dreht sich ausschließlich um Erdgas. Es befindet sich in der Macht von internationalen Unternehmen und muss zurück in die Hände der Bolivianer gelangen."

Marktwirtschaft am Ende?

Die politische Situation in Bolivien lässt anderes vermuten. Bert Hoffmann, Bolivien-Experte des Instituts für Iberoamerika-Kunde in Hamburg, sieht die derzeitigen Unruhen als Teil einer längeren Entwicklung: "Das wirtschaftsliberale Projekt der Regierung hat seine Glaubwürdigkeit verloren. Der Unmut über diese Politik entzündet sich nun an dem geplanten Pipeline-Bau."

Die Unzufriedenheit der Bolivianer geht darauf zurück, dass die Demokratie in Bolivien stark von der gesellschaftlichen Elite geprägt ist. Die einfache Landbevölkerung ist kaum in die politischen Prozesse eingebunden. Der liberale Reformkurs der Regierung hat zudem das wirtschaftliche Gefälle zwischen Arm und Reich verstärkt.

"Die soziale Frage wird von den führenden Persönlichkeiten nicht ausreichend beantwortet," erläutert Amerika-Forscher Hoffmann. So hätten sich zwar die allgemeinen Wirtschaftsdaten verbessert, die einfache Bevölkerung habe davon jedoch kaum profitiert. "Das bedeutet eine Krise für das gesamte Wirtschaftsmodell," fügt Hoffmann hinzu.

Regierung fürchtet Absetzung

Soldaten in Bolivien auf der Suche nach ProtestlernBild: AP

Diesem stellt die Opposition eine sozialistisch und protektionistisch geprägte Alternative gegenüber. Die politische Gegenkraft lebt dabei von ihrer breiten Basis, die in der bäuerlichen Landbevölkerung ebenso angesiedelt ist wie in den traditionellen Arbeitergewerkschaften. Ein "radikalisierter ziviler Ungehorsam" sei ihr Mittel, erklärt Hoffmann. Die Reaktionen der Regierung zeigten dabei die Tiefe der sozialen Unruhe. Wenn sie nicht hart einschreite, müsse sie weitere Massendemonstrationen und sogar ihre Absetzung fürchten.

In den jüngsten Ausschreitungen hat das Militär tatsächlich härter durchgegriffen als bisher. Menschenrechtsorganisationen kritisieren den Einsatz von Mörsergranaten und anderer großkalibriger Munition gegen die Demonstranten.

Eine Beruhigung der Lage ist nicht in Sicht. Die Regierung müsse ihre Konzentration auf städtische Eliten aufgeben und glaubhaft die Interessen der einfachen Bevölkerung in den Vordergrund stellen, fordert der Wissenschaftler Hoffmann: "Neue Köpfe und ein Bruch mit dem neoliberalen Wirtschaftssystem wären nötig, um das Vertrauen der Menschen in die Politik zurückzugewinnen."