Mission Atalanta
13. August 2011"Piratenküste" wird sie genannt, die 3000 Kilometer lange somalische Küstenlinie. Hier, am Horn von Afrika, ist der Indische Ozean am gefährlichsten. Es herrscht Piraten-Alarm. Weil die Übergangsregierung in Mogadischu zu schwach ist, sorgen seit 2008 europäische Kriegsschiffe für die Sicherheit der Seewege. Die EU-Mission "Atalanta" operiert dabei in einem Gebiet, das etwa so groß ist wie das Mittelmeer. Acht Millionen Euro zahlen die EU-Bürger allein in diesem Jahr für den Einsatz.
Konvois durch den Ozean
Vier EU-Fregatten und drei Flugzeuge zur See-Fernaufklärung eskortieren derzeit Hilfsschiffe in die somalischen Häfen. "Es werden auch mehrere Schiffe in Konvois zusammengeschlossen und dann von einem Militärschiff begleitet", erklärt Fregattenkapitän Uwe Rossmeisl, Sprecher des Atalanta-Einsatzes in Dschibuti. Von dem Nachbarstaat Somalias aus leitet Deutschland von August bis Dezember 2011 den EU-Einsatz. In den nächsten vier Wochen rechnet das Kommando mit fünf bis sechs Eskorten für Frachter des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WEP). Seit Gründung der Mission 2008 hat Atalanta nach eigenen Angaben mehr als 500.000 Tonnen Nahrungsmittel sicher nach Somalia gebracht. Mehr Details zu den Hilfstransporten will auch das Welternährungsprogramm nicht veröffentlichen. Zu groß sei die Angst, sagt ein Sprecher. Informationen über die genauen Schiffsrouten könnten in die falschen Hände geraten - in die Hände von Seeräubern zum Beispiel.
Piraten vor der somalischen Küste abschrecken und bekämpfen, ist Teil des Atalanta-Mandats. Doch gerade dabei kann die Mission keine Erfolge verbuchen. Denn die Seeräuber werden immer aggressiver. Nach Angaben der Atalanta-Zentrale im britischen Northwood gab es in diesem Jahr bereits 126 Attacken. 2010 waren es gerade einmal 78. In den kommenden Wochen könnte den Piraten auch das Wetter in die Hände spielen. "Nachdem der Monsunwind nun langsam abflaut, rechnen wir mit mehr Piratenangriffen", sagt Fregattenkapitän Rossmeisl.
Lukratives Geschäft
Die Piraten haben es schon lange nicht mehr auf Waren abgesehen, sondern gezielt auf Menschen. Etwa 28 Schiffe und 400 Geiseln haben die Seeräuber in ihrer Gewalt, Nichtregierungsorganisationen (NGOs) nennen noch höhere Zahlen. "Das Piratengeschäft ist einfach zu lukrativ. Mit nur einer Aktion können die Seeräuber extrem reich werden", erklärt der Somalia-Experte Mathias Weber. An Land würden die Piraten ihren neuen Reichtum dann öffentlich zur Schau stellen, protzige Geländewagen fahren und Villen bauen. Jeder könne sehen, dass sich das Piratenleben lohnt, sagt Weber. Allein im vergangenen Jahr lag die Zahl der erpressten Lösegelder im dreistelligen Millionenbereich. Dabei waren die meisten Seeräuber einmal harmlose Fischer. Doch weil internationale Fangflotten seit Jahren illegal die Gewässer vor Somalia leer fischen, haben sie nichts mehr zum Leben. Viele werden dann Piraten.
Allein den Golf von Aden – die Meeresenge zwischen Nordsomalia und dem Jemen – passieren jährlich rund 30.000 Schiffe. Die meisten davon sind Containerschiffe, die Öl oder andere wertvolle Waren transportieren. "Die Marine ist sehr erfolgreich in dem Mandat Atalanta aktiv, aber das ist ein sehr kleines Seegebiet. Das Seegebiet, in dem wir überfallen werden, ist viel größer, und die zuständigen Ministerien sagen bisher, wir haben keine Kräfte, um die Handelsflotte zu schützen", kritisiert Max Johns vom Verband deutscher Reeder. Laut einer Umfrage seines Verbands glauben gerade einmal 17 von 100 Reedern, dass Atalanta einen wesentlichen Beitrag zur Bekämpfung der Piraterie leistet. Nach Schätzungen der Nichtregierungsorganisation "One Earth Future Foundation" verursachen die somalischen Piraten jährlich wirtschaftliche Kosten von sieben bis zwölf Milliarden Dollar.
Die deutsche Marine dagegen misst den Erfolg der Atalanta-Mission allein an den sicher eskortierten Hilfslieferungen. "Die Piraten-Angriffe haben sicherlich nicht abgenommen, aber vorrangig ist bei dieser Operation der Schutz der Hilfsgüter für die Zielgebiete, und erst in nachrangiger Priorität werden dann die anderen Schiffe beschützt, die von Piraten bedroht werden", sagt Fregattenkapitän Rossmeisl. Zur Unterstützung des Einsatzes schickt die Bundesrepublik Ende August mit der "Köln" ein zweites deutsches Kriegsschiff ans Horn von Afrika.
Wettrüsten ist keine Lösung
Doch auch die Piraten rüsten immer weiter auf. "Sie haben sogenannte Mutterschiffe, die sehr große Reichweiten haben. Auch Panzerfäuste sind inzwischen ganz normal", sagt Somalia-Experte Mathias Weber. Und die Millionen aus den Lösegeldforderungen würden die Piraten in immer modernere Waffensysteme investieren. Dazu komme, dass die Seeräuber keine Strafen zu befürchten hätten, kritisiert der Experte. "80 Prozent der Piraten werden festgenommen und dann wieder auf freien Fuß gelassen, weil viele Länder nicht bereit sind, sie zu verurteilen", so Weber.
Viele Reeder versuchen inzwischen, sich selbst zu helfen. Sie legen Schmierseife an Bord aus und verbarrikadieren die Schiffe mit Stacheldraht. Oder sie zahlen für professionellen Schutz. "Wir nehmen jetzt bewaffnete Sicherheitskräfte mit an Bord, das heißt kleine Teams von zwei bis sechs bewaffneten erfahrenen Leuten, die den Piraten deutlich machen, dass es bewaffnete Gegenwehr gibt", sagt Max Johns vom Verband der Reeder. Bereits jede vierte Reederei habe private Sicherheitsleute an Bord. Und bislang sei noch keines der so geschützten Schiffe von Piraten attackiert worden.
Doch langfristig ist das Wettrüsten auf See keine Lösung. Somalia hat schon seit 20 Jahren keine funktionierende Zentralregierung mehr, im Süden des Landes terrorisieren islamistische Al-Schabaab-Milizen die hungernde Bevölkerung. Die Piraterie, da sind sich die Experten einig, ist Teil dieser Krise an Land und muss auch dort bekämpft werden. "Es führt kein Weg daran vorbei, Somalia zu befrieden und wieder aufzubauen, und das ist möglich, indem man örtliche zivile Kräfte unterstützt, die Schulen, Krankenhäuser, Gesundheitszentren und auch Brunnen betreiben", sagt Weber. Doch für die Piraten – soviel steht fest – ist ein friedliches Somalia wohl erst dann eine Option, wenn sich das Leben an Land wieder mehr lohnt als die Raubzüge auf See.
Autorin: Julia Hahn
Redaktion: Katrin Ogunsade