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Kunst

"Ich will nicht der Propaganda dienen"

Bernd Sobolla
16. März 2017

Mit seiner Kunst wolle er das Denken in der Gesellschaft ändern, sagt Pjotr Pawlenski im DW-Interview. Der Dokumentarfilm "Pawlenski - Der Mensch und die Macht" erzählt die Geschichte des russischen Aktionskünstlers.

Pjotr Pawlenski demonstriert mit zugenähtem Mund gegen den Pussy-Riot-Prozess
Bild: Reuters

Pjotr Pawlenski ist dem Kreml seit Jahren ein Dorn im Auge. Grund sind seine Kunstaktionen, mit denen er weltweit Aufsehen erregt hat. So nähte er sich beispielsweise 2012 den Mund zu, aus Protest gegen die Inhaftierung der Punkband Pussy Riot. 2013 nagelte er seinen Hodensack auf dem Roten Platz in Moskau fest, um gegen die Korruption im Polizeiapparat zu protestieren. 2015 zündete er aus Protest gegen den Staatsterror die Eingangstür des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB an. Ende 2016 hat er drei Bücher veröffentlicht, die seine Kunst darstellen: "Aktionen" (Verlag Ciconia), "Der bürokratische Krampf und die neue Ökonomie politischer Kunst" (Merve Verlag) und "Fröhliche Wissenschaft: Gefängnis des Alltäglichen" (Matthes & Seitz). Vor zwei Monaten bat Pawlenski in Frankreich um politisches Asyl für ihn und seine Familie, da ihm in Russland Lagerhaft droht. Ihm und seiner Frau wird sexueller Missbrauch vorgeworfen. Eine Schauspielerin beschuldigt die beiden, sie vergewaltigt zu haben. Pawlenski selbst bezeichnet die Anschuldigungen als "Denunziation". Der Dokumentarfilm "Pawlenski - Der Mensch und die Macht" ist am Donnerstag (16.03.2017) in den deutschen Kinos gestartet. 

Deutsche Welle: Herr Pawlenski, Sie haben ursprünglich Wandmalerei studiert. Wie und wann sind Sie zur Aktionskunst gekommen?

Das war 2012, als der Machtapparat öffentlich versucht hat, die Kunst zu instrumentalisieren. Das passiert natürlich ständig in Russland. Aber es wurde noch nie so offensichtlich: An den Kunsthochschulen habe ich erlebt, wie die Studenten Jahr für Jahr beeinflusst werden und eine Gehirnwäsche durchlaufen. Ich habe beobachtet, wie aus Künstlern "Bedienungskünstler" wurden. Und mit dem Prozess gegen Pussy Riot habe ich gesehen, wie das eine neue Qualität bekam. Weil ich mich als Künstler verstehe und als Künstler weiterleben wollte, musste ich etwas unternehmen. Es betraf mich, mein Leben und meine Kunst. Ich wollte nicht mit der Perspektive leben, der Propaganda als Stellschraube zu dienen.  

Wie haben die Menschen 2012 reagiert, als Sie sich aus Protest gegen den Pussy-Riot-Prozess in St. Petersburg mit zugenähtem Mund vor eine Kirche stellten?

Pjotr Pawlenski Ende 2016Bild: DW/B.Sobolla

Die Menschen, die sich zu dem Zeitpunkt da befanden, waren interessiert an der Aktion und wollten verstehen, was da eigentlich passiert. Niemand von ihnen zeigte sich aggressiv, niemand wollte mich angreifen. Das spricht dafür, dass die Menschen offen sind, das aufzunehmen, was ihnen angeboten wird und was man sagen möchte.

Bei der Aktion "Kadaver" haben Sie sich vor einem Regierungsgebäude in St. Petersburg nackt in einen Stacheldraht wickeln lassen. Bezog sich diese Aktion auch auf die Beamten, die im System eingewickelt sind?

Nein. Ich spreche von Menschen, die sich wie in einem Stacheldraht des gesetzgebenden Systems befinden. Damit sind nicht die Beamten gemeint, die in dem System arbeiten. Ich wollte damals das repressive System zeigen, in dem sich die Menschen wie in einem Pferch befinden und nicht heraus kommen.

Sie wurden im Gefängnis geschlagen und getreten. Es gab Leute, die sind in russischen Gefängnissen zu Tode gekommen. Nehmen Sie dieses Risiko in Kauf oder glauben Sie inzwischen eine Bekanntheit zu haben, die Sie schützt?

2013: Protest gegen das repressive SystemBild: PavlenskyLichtfilm

Die Risiken, auf die ich mich einlasse, sind immer unvorhersehbar. Bei der Aktion "Abtrennung auf der Mauer" hätte ich nach der Logik des Systems als Idiot erklärt werden müssen oder ich wäre ins Gefängnis gekommen. Weder das eine noch das andere ist passiert. Und es ist interessant, wenn man nicht vorhersehen kann, was passiert. Aber was die Bekanntheit betrifft: Es ist schwierig zu sagen, ob sie hilfreich ist oder eher stört. Im Rahmen des Prozesses vor dem Moskauer Gericht wurde ich während des Transports geschlagen. Diesen Menschen ist es egal, ob ich berühmt bin oder unbekannt. Denn das System samt Strafvollzug ist so aufgebaut, dass niemand erfahren wird, wer mich geschlagen hat. Es ist teilweise auch so, dass sie Masken tragen, damit sie nicht erkannt werden. Außerdem bin ich durch meine Bekanntheit öfter von den anderen Häftlingen getrennt worden und kam deshalb in Isolierräume.

Die Punkband Pussy Riot hat ihre Performance in der Erlöserkirche mit der Kamera aufgenommen und ist dann weggerannt. Sie laufen nie weg. Aber die Beamten wissen nicht, was sie mit Ihnen machen sollen. Als Sie auf der Mauer der Psychiatrie saßen, stritten sich die Beamten. Keiner wollte für Sie zuständig sein. Sind das Momente, wo Sie das Gefühl haben, eine gewisse Macht über das System zu haben?

Natürlich konnte ich in der Situation auf der Mauer die Macht in eine Sackgasse treiben. Das ist die eine Sache. Andererseits gibt es sehr unangenehme körperliche Gefühle wie Schmerz und Kälte. Es ist schwierig, Genugtuung zu empfinden, wenn der Körper vor Kälte zittert und du einen Krampf im Bein hast. Da kann man keine Genugtuung empfinden.

So radikal Ihre Aktionen sind, so nett  – fast zuvorkommend – sprechen Sie im Film mit den Polizisten oder Geheimdienst-Mitarbeitern, die Sie verhören. Man hat den Eindruck, dass diese Leute Sie eigentlich mögen, obgleich Sie das System, denen diese Leute dienen, hart angreifen. Diese Szenen sind im Film als Schattenspiel inszeniert. Trifft diese Nettigkeit zu oder war das nur die künstlerische Freiheit der Regisseurin Irene Langemann?

Das ist sehr gut gemacht. Für die Regisseurin war es eine sehr schwierige Aufgabe, zumal ich verhaftet wurde, als wir uns gerade erst zwei Monate kannten. Sie musste auf der Basis von Wörtern und Sätzen, die wir gewechselt hatten, etwas ausdrücken. Und da hat sie diese Form gewählt. Ich hebe hervor, dass sie abstrakt ist. Wenn es reale Schauspieler mit realen Gesichtern wären, hätte ich immer denken müssen, wie ähnlich sieht er mir oder nicht? Aber so war es abstrakt. Das hat mir gefallen.

Aber die fast nette Atmosphäre. Entsprach das der Wirklichkeit?

In der Realität herrschte eine große Anspannung unter allen, die dabei waren. Es gab sehr lange Pausen. Und es war eine steife Atmosphäre. Es waren Gespräche zwischen Menschen, die einander die Hand nicht reichen.

Gab es Momente, in denen Sie den Eindruck hatten, ihre Aktionskunst bewirkt etwas?

Die Aktionen, die ich mache, richten sich nicht an eine elitäre Gruppe oder an Künstler. Sie richten sich an die Massen. Denn ich will das Denken in der Gesellschaft verändern und einen Präzedenzfall mit meinen Aktionen schaffen. Ich hoffe, dass dieser Präzedenzfall dann das Denken und die Verhaltensnormen verändert. 

Stimmt es, dass Ihre Anwesenheit im Gefängnis unter den Gefangenen Dialoge über Kunst initiiert hat?

Pjotr Pawlenski 2015 vor der brennenden Tür des Innlandsgeheimdienstes FSBBild: Lichtfilm SWR

Das hat mir zumindest mein Anwalt erzählt. Das war aber keine Diskussion, sondern ein Briefwechsel unter Zellennachbarn. Meine zwei Zellennachbarn waren an einem Austausch über Kunst mit anderen Zellen beteiligt. Sie haben großes Interesse an politischer Kunst gezeigt. Und ich habe bei den Transportfahrten im Rahmen der Untersuchungshaft über Kunst gesprochen. Andererseits bin ich mir nicht sicher, ob sie verstehen, was politische Kunst ausmacht.  

Vor einigen Jahren gab es bei den Wahlen in Russland massive Manipulationen. Das braucht Putin heute nicht mehr. Eine klare Mehrheit unterstützt seine Politik. Ist das ein bisschen desillusionierend für Sie?

Ich glaube schon sehr lange nicht mehr an Wahlen. Sie sind ein Instrument der herrschenden Realität, ein Beispiel für die Dekoration des allgemeinen Wohlstands.

Welchen Stellenwert hat dieser Film für Sie?

Dieser Film hat für mich eine große Bedeutung, vor allem weil es der Regisseurin gelungen ist, das zu zeigen, was verdeckt ist. Sie hat eine künstlerische Methode gefunden, um zu zeigen, was im Gefängnis und in den russischen Gerichten passiert, wovon der normale Zuschauer nichts weiß.

Das Gespräch führte Bernd Sobolla.

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