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Wie Mikroplastik in unseren Körper kommt

29. März 2022

Dass wir Menschen eine Flut an Plastikmüll produzieren, ist traurige Realität. Neue Studien zeigen: Kleinste Plastikpartikel lagern sich sogar in unserem Blut und Magen ab. Und zwar nicht zu knapp.

Mikroplastikpartikel an einem Finger
Mikroplastikpartikel umgeben uns überall - und schaffen es auch in unseren KörperBild: Christian Ohde/picture alliance

Riesige Teppiche aus Plastikabfällen, die irgendwo im Meer treiben - es gibt kaum ein klareres Sinnbild dafür, wie wir Menschen unseren Planeten zumüllen. Laut einer von der Naturschutzorganisation WWF in Auftrag gegebenen Studie haben sich zwischen 86 und 150 Millionen Tonnen Kunststoff in den Ozeanen angereichert.

Im Ozean wird Plastik in Mikro- und Nanoplastikpartikel (MNP) zersetzt, also in winzige Kleinstteile. In den nächsten 30 Jahren wird sich der Gehalt dieser Partikel in den Weltmeeren laut der WWF-Studie verdoppeln.

Aber die Plastikpartikel unseres Mülls finden sich nicht nur in der Natur wieder. Sie lagern sich auch im menschlichen Körper ab.

Plastik in Blut und Magen

Ein Team von Forschenden der Vrije Universiteit Amsterdam konnte erstmals winzige Plastikpartikel im menschlichen Blutkreislauf nachweisen. In einer Studie, die diesen Monat im Fachmagazin Environment International erschien, beschreibt die Gruppe um Heather Leslie und Marja Lamoree, dass 17 von 22 Versuchsteilnehmer Plastik im Blut hatten. Im Schnitt fanden die Forscherinnen bei den anonymen Blutspendern 1,6 Mikrogramm pro Milliliter an Plastikpartikeln, so viel wie ein Teelöffel Plastik in 1000 Litern Wasser.

Auch im Magen-Darmtrakt lagern sich MNP ab. Forschende der MedUni Wien veröffentlichten die Ergebnisse ihrer Übersichtsstudie diesen Monat im Fachmagazin Exposure & Health. Im Artikel schreiben sie, dass im Schnitt pro Kopf und Woche fünf Gramm Plastik im menschlichen Magen-Darmtrakt landen - in etwa das Gewicht einer Kreditkarte.

"Mich haben diese Zahlen sehr überrascht", sagte Elisabeth Gruber, Fachärztin für Allgemein- und Viszeralchirurgie mit dem Schwerpunkt onkologische Chirurgie und Krebsforschung am Universitätsklinikum AKH, das eng mit der MedUni Wien zusammenarbeitet, im DW-Gespräch. "Das ist schon schockierend."     

Gruber ist Teil eines österreichischen Forschungsprojekts, microONE, das sich mit möglichen Auswirkungen von Plastikpartikeln im menschlichen Körper beschäftigt. Dabei geht es auch um die Frage, inwiefern diese sich auf die Entstehung von Krebserkrankungen auswirken.  

Fakten: Sie und das Plastik 

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Was sind Mikro- und Nanoplastikpartikel?

Die Plastik-Kleinstteilchen sind in Gebrauchsgegenständen, in Kosmetikprodukten, Zahnpasta oder Duschgel enthalten. Sie entstehen auch beim Zerfall von Kunststoffprodukten. Zuvor wurden sie bereits in Stuhlproben und sogar in der Plazenta nachgewiesen.

Nanoplastikpartikel haben eine Größe von unter 0,001 Millimetern. Mikroplastikpartikel sind bis zu 5 Millimeter groß und damit sogar teilweise mit bloßem Auge sichtbar.  

Gesundheitliche Folgen beim Menschen noch nicht klar

In unserem Blut und Magen sind Plastikpartikel also ohne Zweifel vorhanden. Aber wie beeinflussen die Kleinstteile unsere Gesundheit? Die Forschenden des microONE Projekts beschäftigen sich mit genau diesem Thema, aber abschließende Antworten stehen noch aus.

"Hinsichtlich Krebsentstehung gibt es zum jetzigen Zeitpunkt Ergebnisse aus Zellkulturversuchen und aus Tierversuchen", sagt Gruber. "Was [die Plastikartikel] genau im menschlichen Körper machen, ist Fragestellung unseres Projekts."

Aus bisherigen Forschungsergebnissen ist klar: Die Plastikpartikel können Mechanismen auslösen, die Teil der Krebsentstehung sind. Bei Versuchstieren haben Mikroplastikpartikel Entzündungen im Darm ausgelöst, vermutlich durch die Störung der Mikrobiotik. Diese Störung könnte auch zur Tumorentstehung führen. Auch Immunreaktionen könnten durch MNP ausgelöst werden.

Besonders hoch schätzen die Forschenden das Risiko bei Menschen mit chronischen Erkrankungen ein. Ein gesunder Darm beispielsweise kann mögliche Folgen von aufgenommenen Plastikpartikeln abwehren, bei bereits beeinträchtigten Abwehrmechanismen funktioniert das weniger gut.  

Und wie gelangen die Kleinstteile in unseren Körper?

Partikel können zum Beispiel über das Trinkwasser aufgenommen werden. Wer die empfohlenen 1,5 bis zwei Liter Wasser am Tag aus Plastikflaschen trinkt, kann laut einer Studie, die im Fachmagazin Environmental Science and Technology veröffentlicht wurde, so rund 90.000 Plastikpartikel pro Jahr zu sich nehmen. Wer dagegen auf Leitungswasser aus Glas umsteigt, reduziert diese Zahl auf 40.000.

Auch in einigen Lebensmitteln wie bestimmten Fischarten, Salz und Muscheln konnten MNP nachgewiesen werden (da kommen die Plastikmüllteppiche im Ozean wieder ins Spiel).

In Fischen wurden die Partikel hauptsächlich in Magen- und Darminhalten gefunden, die der Mensch normalerweise nicht mitisst, so das Chemische Untersuchungsamt Münsterland-Emscher-Lippe.

Bei überprüften Miesmuscheln aus verschiedenen Gegenden wurden laut Bundesinstitut für Risikobewertung zwischen 2,6 und 20 Mikroplastikpartikel pro 10 Gramm Muschelfleisch gefunden. Hier ist das Risiko der Aufnahme besonders hoch, erklärt Gruber, weil Muscheln komplett verspeist werden.

Mode ohne Mikroplastik

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Kleidung aus synthetischen Fasern wie Fleecestoff gibt ebenfalls viele Mikroplastikpartikel ab. Diese landen entweder nach einer Runde in der Waschmaschine im Abwasser (und später im Grundwasser), oder lösen sich, während wir die Kleidung tragen. 

Sogar aus der Luft gelangen MNP in den menschlichen Körper. Ein Großteil der Mikroplastikpartikel, die wir einatmen, kommt vom Abrieb der Autoreifen. "Für jede 50.000 Kilometer, die ein Auto fährt, setzen sich von den Reifen sechs Kilogramm Plastikpartikel ab", sagt Lukas Kenner, Krebsforscher und Pathologe an der MedUni Wien und wissenschaftlicher Leiter des microONE Projekts, im DW-Gespräch.   

Wie lässt sich die Aufnahme von Mikroplastik verhindern?

Das wichtigste sei, so Kenner, verlässliche Informationen dazu zu haben, wie hoch der Anteil von Mikroplastikartikeln in der Luft und im Wasser tatsächlich ist. "Messen, messen, messen! Wir müssen das regelmäßig kontrollieren, sonst kriegen wir das Problem nicht in den Griff", sagt Kenner.

Bei Autoreifen entsteht weniger Abrieb, wenn langsamer gefahren wird. Von daher hält der Forscher Geschwindigkeitsbeschränkungen für sinnvoll. Gruber betont, wie wichtig bewusster Konsum ist. Dazu gehöre, "den Genuss von Meeresfrüchten limitieren und Materialien bevorzugen, die nicht so viele synthetische Fasern enthalten."

In Weltregionen, wo es möglich ist, sollten Menschen außerdem auf den Kauf von Wasser in Plastikflaschen verzichten. "Kaufe deine Getränke in Glasflaschen, die du wieder befüllen kannst", sagt Gruber. "In Österreich und Deutschland sind die Gewässer sehr sauber. Man kann ohne Bedenken Wasser aus der Leitung trinken. Das ist ein großer Luxus."

Carla Bleiker Redakteurin, Channel Managerin und Reporterin mit Blick auf Wissenschaft und US-Politik.@cbleiker