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Indien: Kreuzzug gegen Plastik

Jasvinder Sehgal
4. Juli 2018

Der Weg in eine plastikfreie Zukunft ist lang und anstrengend, auch in Indien. Eine Frau hat sich vorgenommen, ihn trotzdem zu gehen: Sie wandert mehr als 1000 Kilometer, um die Menschen im Land aufzurütteln.

Child waste-pickers holding a sack
Bild: Jasvinder Sehgal

Die 32-Jährige auf der staubigen Landstraße in Nordindien schlingt ihr Tuch noch etwas fester um ihr Gesicht. Nur so kann sie sich gegen den Wind schützen, der ihr unerbittlich heiß entgegen bläst. Selbst jetzt, die Sonne steht noch lange nicht im Zenit, ist es hier schon 45 Grad Celsius heiß.

Die Frau heißt Rajeshwari Singh. Sie hat keine Wahl, sie muss jetzt auf dieser Straße entlang. Denn Rajeshwari Singh hat eine Mission und von der kann sie auch das Klima nicht abbringen.

Ihr Marsch führt sie über eine Strecke von 1.100 Kilometern - von der westindischen Stadt Vadodara zur Hauptstadt Neu-Delhi.

Im Kampf gegen Plastikmüll nimmt Rajeshwari Singh (Mitte) einen langen Weg auf sich: von Vadodara im Westen bis in die Hauptstadt New DelhiBild: Jasvinder Sehgal

Sie tue das, sagt sie, um gegen die "Bedrohung" Indiens durch Plastikmüll zu kämpfen.

"Mir geht es bei der Reise vor allem darum, alle zu erreichen, weil sich das Plastikproblem überall in Indien ausbreitet", sagt Singh. Das macht sie auch auf dem T-Shirt deutlich, das sie trägt. Auf weißem Grund prangen da die Slogans ihrer Reise: "let's walk for awareness" und "my waste, my responsibility", was so viel heißt wie: "Lasst uns für Aufklärung laufen" und "Mein Müll, meine Verantwortung".

Im weltweiten Vergleich verbrauchen Inder pro Kopf zwar deutlich weniger Plastik als der Durchschnitt (11 Kilogramm gegenüber 28 Kilogramm). Jeden Tag fallen trotzdem landesweit 15.000 Tonnen an Plastikabfällen an.

Davon werden 9000 Tonnen gesammelt und recycelt, sagt zumindest die Regierung. Umweltschützer und Bürgerverbände wollen das allerdings nicht so recht glauben. Sie gehen davon aus, dass die tatsächliche Menge geringer ist und der Rest auf Mülldeponien oder direkt in der Landschaft landet.

Müll verbrennen und Zweige zum Zähneputzen

Im Verlauf der Wanderung wird das ganze Ausmaß des Problems immer wieder offensichtlich. Singh erreicht eine Deponie auf der sich Plastikabfälle türmen. Die Halde befindet sich direkt neben einer Nationalstraße. Müllsammler durchwühlen in der Gluthitze den Abfall nach verwertbaren Materialien. Insgesamt, schätzt man, gebe es landesweit mehr als 1,5 Millionen Menschen, die so ihren Lebensunterhalt verdienen.

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Teile des Abfalls stehen in Flammen, angesteckt, um die schiere Masse des Mülls zu verringern. Rajeshwari Singh fixiert ihr Tuch vor Mund und Nase, um dem stinkenden, schwarzen Rauch zu entgehen, der beim Verbrennen von Plastik entsteht.

Vor etwa 12 Jahren habe sie sich geschworen, Plastik in Zukunft zu vermeiden, sagt Singh. Damals sei ihr die Gefahr für die Umwelt bewusst geworden. Mit der gemeinnützigen Schule, die sie inzwischen leitet, versuchen Singh und ihre Kollegen, tagtäglich Müllsammler über die Gefahren des Stoffs aufzuklären, von dem sie leben.

Zahnbürsten können auch aus Holz statt aus Plastik sein - diese Frauen nutzen spezielle Zweige zum ZähneputzenBild: Jasvinder Sehgal

Auch heute auf der staubigen Straße schließen sich immer wieder Menschen der Missionarin in Sachen Plastik an und begleiten sie ein Stück. Es sind Regierungsbeamte darunter, aber auch Dorfbewohner und Umweltaktivisten. Singh ermutigt ihren Tross dazu, selbst Verantwortung zu übernehmen und ihrem Beispiel zu folgen.

Unter den Menschen, die ein Stück mit der Kreuzritterin in Sachen Plastikvermeidung gehen, ist auch eine Gruppe Mädchen. Sie sind gekommen, um Singh mit frischen Rosenknospen willkommen zu heißen. Auch die 18-jährige Sarita Devi ist dabei.

"Es ist beeindruckend zu sehen, dass eine Frau allein von Vadodara nach Neu-Delhi geht", sagt sie mit strahlenden Augen. "Kunststoffe gehören zu unserem Alltag, aber wir können versuchen, sie nicht mehr zu verwenden."

Um zu zeigen, dass es auch anders geht, verteilt die wandernde Aktivistin Plastikalternativen. Die Mädchen werden so zu glücklichen Besitzerinnen neuer, plastikfreier Stofftaschen. Zwei ältere Damen beschenken Singh im Gegenzug mit Zweigen, die zur Zahnreinigung genutzt werden können. Sie stellen eine saubere, natürliche Alternative zu einem der Hauptverursacher des indischen Plastikproblems dar. Schätzungen zufolge werden in Indien jeden Monat rund 150 Millionen Zahnbürsten in den Müll geworfen.

Auf nach Neu-Delhi

Pünktlich, fünfundvierzig Tage nach ihrem Aufbruch, trifft Singh im Büro der Vereinten Nationen in Neu-Delhi ein. Hier richtet Indien den Weltumwelttag aus. Das Thema in diesem Jahr lautet: "Bekämpft den Plastikmüll".

Viele sind gekommen, um Rajeshwari Singh zu begrüßen. Nicht nur UN-Beamte, sondern auch prominente Unterstützer wie die Bollywood-Schauspielerin Diya Mirza, Umweltaktivisten und Schüler. Unter ihnen ist auch der 12-jährige Aditya Mukherjee aus Neu-Delhi. Er kämpft dafür, dass Strohhalme aus Plastik nicht mehr verwendet werden. Wie Zahnbürsten landen auch sie massenweise im Müll.

Bollywood-Star Diya Mirza (l.) begrüßt Umweltschützerin Rajeshwari Singh (r.) Bild: Jasvinder Sehgal

"Meine Kampagne ist simpel umzusetzen. Ich gehe zu Restaurants und kläre sie auf. Ich sage: Hören Sie auf, Plastikstrohhalme zu verwenden. Und, wenn ihr Kunde darauf besteht, dann geben Sie ihm oder ihr stattdessen Strohhalme aus Papier", sagt Mukherjee. Die Rückmeldungen bisher wären weitgehend positiv gewesen.

Indien hat sich auf nationaler Ebene dazu verpflichtet, bis 2022 alle Einweg-Kunststoffe abzuschaffen. Der Premierminister des Landes, Narendra Modi, sagte bei einer Rede in Neu-Delhi, dass die Welt eine Entscheidung treffen müsse, die über "unsere gemeinsame Zukunft bestimmen" wird.

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"Die Entscheidung mag nicht einfach sein, aber durch Bewusstsein, Technologie und eine echte globale Partnerschaft bin ich sicher, dass wir die richtigen Entscheidungen treffen können", so Modi. Er selbst wolle aus seinem eigenen Leben Einweg-Kunststoffe verbannen, versprach der Premier.

Bis das Land aber tatsächlich plastikfrei ist, wird noch einige Zeit verstreichen. Für Singh ist das ein Grund mehr, ihre Mission fortzusetzen. Selbst, wenn ihr der Wind noch so heiß entgegen bläst.

Tatsächlich plant sie bereits den nächsten Marsch. Diesmal soll es über eine Strecke von 2856 Kilometer gehen, von Kaschmir im hohen Norden des Landes bis nach Kanyakumari an der Südspitze.

"Mein Kampf gegen Plastik hat gerade erst begonnen", sagt sie. "Es liegt noch ein langer Weg vor uns. Lasst uns gemeinsam gegen die Bedrohung durch Plastik kämpfen."

  
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