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Plastikkrise: ExxonMobil wegen Plastikmüll vor Gericht

Tamsin Walker
29. November 2024

Kalifornien verklagt den Öl- und Gaskonzern ExxonMobil. Der Fall macht die Verbindung zwischen Fossil-Industrie und Plastikmüll deutlich - und zeigt: Wir brauchen eine Obergrenze für die Plastikproduktion.

Ein Pferd trinkt aus dem über und über mit Plastikmüll bedeckten Cerron-Grande-Stausee in El Salvador
Nicht nur Kalifornien hat Probleme mit Plastikmüll: hier der Cerron-Grande-Stausee in El Salvador Bild: MARVIN RECINOS/AFP

400 Millionen Tonnen – diese gewaltige Menge kann man sich ohne Vergleich gar nicht vorstellen. Daher so: 400 Millionen Tonnen entsprechen dem Gewicht aller Menschen auf diesem Planeten. Und: Rund 400 Millionen Tonnen Plastik werden jedes Jahr auf diesem Planten produziert.

Ungeachtet der Tatsache, dass Kunststoff also schon jetzt ein Schwergewicht ist, ist er auf dem besten Weg, noch mehr Platz in unserer Welt zu beanspruchen. Aktuelle Prognosen gehen davon aus, dass sich die derzeitige Produktion bis zum Jahr 2060 etwa verdreifachen wird. Gegenwärtig landen jedes Jahr schätzungsweise 20 Millionen Tonnen Plastik in der Umwelt - die jährliche globale Recyclingquote liegt dagegen gerade einmal bei nur neun Prozent.

Seit Jahren warnen Expertinnen und Experten sowie Umweltgruppen, es sei schlicht unmöglich, die wachsenden Berge an Plastikmüll durch Recycling zu beseitigen - und fordern eine Begrenzung der Produktion. Doch stattdessen drehen sich die Räder der Produktionsmaschine immer schneller.

Plastikproduktion hält die Fossil-Industrie am Leben

Im Zeitalter boomender Erneuerbarer Energien hat die steigende Produktion von Neuplastik viel mit der Öl- und Gasindustrie zu tun. Der überwiegende Teil an Plastik wird mit fossilen Brennstoffen hergestellt.

Plastik ist überall in unserem Leben - in einem normalen Supermarkt plastikfrei einzukaufen, ist fast unmöglichBild: picture alliance/Caro Teich

"Die Unternehmen, die fossile Brennstoffe herstellen, sind heute nicht mehr auf den Verkauf von Benzin oder Treibstoff für Energie oder Transport angewiesen, um zu überleben. Sie verlassen sich zunehmend auf die Produktion von Petrochemikalien", so Delphine Levi Alvares, die am Internationalen Zentrum für Umweltrecht (CIEL) das Themenfeld globale Petrochemie leitet.

Das heißt: Unternehmen, die traditionell fossile Energieträger wie Erdöl, Kohle und Erdgas verkauft haben, investieren nun in die Plastikproduktion - in der Größenordnung von zig Milliarden Dollar.

Streit über Drosselung der Plastikproduktion und Klage gegen ExxonMobil

Die Verringerung der Produktion bleibt in den Gesprächen über ein globales Plastikabkommen ein zentraler Streitpunkt. Ob die letzte Gesprächsrunde, die derzeit in Südkorea stattfindet, eine Einigung in diesem Punkt bringen wird, lässt sich kaum vorhersehen.

Die Überproduktion von Plastik hat zu einer globalen Müllkrise geführt - dennoch wird immer mehr Plastik neu hergestellt Bild: Johannes Panji Christo/Anadolu/picture alliance

Aber es gibt noch andere Möglichkeiten, um Veränderungen zu erzwingen. Eine davon ist die Klage, die der US-Bundesstaat Kalifornien gegen den Öl- und Gaskonzern ExxonMobil eingereicht hat.

Darin wirft der kalifornische Generalstaatsanwalt Rob Bonta dem weltweit größten Hersteller von Einwegplastik vor, dass dieser "aggressiv die Entwicklung von Kunststoffprodukten auf der Basis fossiler Brennstoffe gefördert und Kampagnen durchgeführt hat, um das öffentliche Bewusstsein über die schädlichen Folgen dieser Produkte kleinzuhalten." ExxonMobil habe "die Menschen in Kalifornien fast ein halbes Jahrhundert lang" mit dem Versprechen getäuscht, "dass Recycling die ständig wachsende Plastikmüllkrise lösen könnte."

"Gezieltes Falsch-Marketing über Recyclingfähigkeit von Plastik"

Laut Mark James, Interimsdirektor des Instituts für Energie und Umwelt an der Vermont Law and Graduate School, haben Öl- und Gasunternehmen wie ExxonMobil sehr bewusst Märkte für Plastikprodukte geschaffen, die dann in den Einkaufskörben von Verbraucherinnen und Verbrauchern landen.

Es habe definitiv ein Marketing für die Recyclingfähigkeit von Kunststoffen gegeben, das die Endkunden beeinflussen sollte. "Aber das hat sich die Industrie (nur) ausgedacht. Und mit diesem Bewusstsein erkennen wir, was sie alles getan haben, um einen falschen Eindruck über die Recyclingfähigkeit ihrer Produkte zu erwecken."

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In einer Antwort auf die Vorwürfe konterte ExxonMobil, die kalifornischen Behörden hätten "gewusst, dass ihr Recyclingsystem nicht effektiv ist" und hätten dennoch nicht gehandelt. Auf eine DW-Anfrage nach einer weiteren Stellungnahme hatte das Unternehmen zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels noch nicht reagiert.

Levi Alvares sieht die Klage in Kalifornien als einen entscheidenden Schritt, um die Verbindung der Kunststoffproduktion mit den Fossil-Unternehmen öffentlich deutlich zu machen. Denn viele Menschen seien sich zwar der Auswirkungen der Fossil-Industrie auf die Klimakrise bewusst, nicht aber der Auswirkungen auf andere Sektoren.

Was bedeutet "neuartiges Recycling"?

Trotz der historisch niedrigen Recyclingrate - nur zehn Prozent aller jemals produzierten Kunststoffe wurden bislang in etwas anderes umgewandelt - und der Tatsache, dass viele Produkte nicht ohne Weiteres in andere Waren umgewandelt werden können, setzt ExxonMobil auf sogenanntes "neuartiges Recycling". Diese Technologie, so heißt es, "wandelt Kunststoffabfälle in molekulare Bausteine zurück", sie sollen demnach also zum Rohstoff für neue Produkte werden.

Nach eigenen Angaben hat das Unternehmen mit Hilfe dieses "neuartigen Recyclings" "mehr als 60 Millionen Pfund Kunststoffabfälle zu verwertbaren Rohstoffen verarbeitet" und so eine Lagerung auf Mülldeponien vermieden. Und nur wenige Wochen, nachdem Kalifornien seine Klage eingereicht hatte, gab ExxonMobil bekannt, seine Kapazitäten ausbauen zu wollen.

In der kalifornischen Klage, die sich auf eine zweijährige Untersuchung stützt, heißt es jedoch: Selbst in ExxonMobils "Best-Case-Szenario" werde "neuartiges Recycling" nur einen winzigen Bruchteil des Kunststoffs betreffen, den das Unternehmen weiterhin produziere. Es sei also "nichts weiter als ein PR-Gag, der die Öffentlichkeit ermutigen soll, weiterhin Einwegplastik zu kaufen, das die Plastikkrise anheizt."

Der Elefant im Raum: Neuplastik

Weil die Fossil-Unternehmen ganz am Anfang der Kunststoff-Lieferkette stünden, hätten sie "einen erheblichen Einfluss auf die Menge des auf den Markt kommenden Kunststoffs", erklärt Adam Herriott von der Umweltschutzorganisation WRAP. Deswegen könnten sie auch einen systemrelevanten Wandel herbeiführen, wenn es darum gehe, die Produktion von Neuplastik zu verringern.

Wie andere führende Unternehmen aus den Bereichen fossile Brennstoffe, Petrochemie und schnelllebige Konsumgüter ist auch ExxonMobil Mitglied der unabhängigen globalen Allianz gegen Plastikmüll, der Alliance to End Plastic Waste (AEPW). Doch hier setzt man sich lediglich dafür ein, Plastik zu bekämpfen, sobald es zu Abfall geworden ist. Das Plastikproblem durch eine Verringerung der Produktion anzugehen, steht nicht auf der Agenda.

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In einer E-Mail an die DW erklärt AEPW, der Auftrag der Allianz konzentriere sich vor allem darauf Lösungen für eine Kreislaufwirtschaft von Kunststoffen zu fördern, wie etwa das Sammeln, Sortieren und Recyceln von Plastikmüll.

Die AEPW sei davon überzeugt, dass "die Arbeit der verschiedenen Beteiligten - von vorgelagerten bis hin zu nachgelagerten Lösungen – in der Summe dabei helfen wird, die Herausforderung zu lösen."

Welche Chancen bieten Klagen gegen Fossil-Konzerne?

Von der Klage Kaliforniens gegen ExxonMobil – das Verfahren dürfte sich vermutlich über mehrere Jahre hinziehen - hängt eine Menge ab. Es geht nicht nur darum, ob das Unternehmen dazu verurteilt wird, die Forderungen des US-Bundesstaats zu erfüllen, zu denen auch Schadensersatzzahlungen und die Unterlassung irreführender Behauptungen gehören. Es geht vor allem auch darum, ob es zu ähnlichen Klagen in anderen Ländern kommt - also um Frage, ob es möglich ist, die Fossil-Industrie gerichtlich in die Schranken zu weisen.

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Patrick Boyle, Anwalt für Unternehmensverantwortung bei CIEL, rechnet mit weiteren Klagen dieser Art in den USA und sogar darüber hinaus. Wenn die im Zusammenhang mit der Exxon-Klage vorgelegten Beweise und Zeugenaussagen öffentlich bekannt würden, könnten sie auch in anderen Verfahren genutzt werden, in denen es um Themen wie Mikroplastik, Greenwashing oder Genehmigungen für "neuartiges Recycling" gehe.

"Ich denke, wir müssen mit unseren Partnern herausfinden, wie wir die Erkenntnisse aus dem Verfahren im internationalen Kontext nutzen können." Und in der Zwischenzeit, ergänzt seine Kollegin Levi Alvares, mache die Klage gegen Exxon klar, dass das Problem Plastikmüll von der Fossil-Industrie verursacht wurde.

Redaktion: Sarah Steffen, Jennifer Collins

Adaption aus dem Englischen: Jeannette Cwienk

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