Plastikmüll: Gelingt ein internationales Abkommen?
5. August 2025
Eigentlich wollte man schon vergangenes Jahr in Busan zu einem Ergebnis kommen. Doch damals scheiterten die Verhandlungen unter der Leitung des Umweltprogramms der Vereinten Nationen. In einem neuen Anlauf treffen sich in Genf ab heute bis zum 14. August Vertreter aus über 170 Ländern, um ein verbindliches Abkommen zur Reduzierung von Plastikmüll auszuhandeln.
Wichtige Themen dabei: Soll die Herstellung von Kunststoff begrenzt werden, wie kann der Umgang mit gesundheitsgefährdenden Kunststoffprodukten und Chemikalien verbessert werden, und welche finanzielle Unterstützung erhalten Entwicklungsländer für die Umsetzung des Abkommens?
413 Millionen Tonnen Kunststoffe werden pro Jahr weltweit produziert. Damit könnte man mehr als eine halbe Millionen olympischer Schwimmbecken füllen.
Gerade mal neun Prozent davon werden weltweit recycelt. Der Rest wird verbrannt, landet auf Deponien, im Meer, verschmutzt Böden, schadet der Tierwelt und der Gesundheit des Menschen. Mikroplastik ist inzwischen überall auf der Welt und im menschlichen Körper nachweisbar.
Wer will was aushandeln?
Rund hundert Länder setzen sich für ein ambitioniertes Abkommen ein, das auch eine Reduzierung der Plastikproduktion beinhaltet. Dazu gehören unter anderem viele Länder aus Afrika und Lateinamerika, ebenso Deutschland und die EU.
Doch Herstellerländer und Ölproduzenten der sogenannten "Like-Minded Coalition", darunter Russland, Iran und Saudi Arabien, blockierten bisher eine stärkere Regulierung der Produktion.
Sie wollen praktisch weiter machen wie bisher und versuchen deshalb unter anderem Vereinbarungen, "die zur Begrenzung der Nachfrage führen würden, zum Beispiel Einwegplastikprodukte nicht mehr auf dem Markt zu haben, im Abkommen zu verhindern," so Florian Titze, Chef für Internationale Politik bei der Umweltorganisation WWF.
Die Plastikindustrie und Staaten, die davon besonders profitieren, stellen die Plastikkrise eher als ein Problem der "mangelhaften Abfallwirtschaft" dar. Sie wollen, dass ein Abkommen das Sammeln von Plastik, mehr Verbraucherinformation und höhere Recylingraten in den Fokus nimmt.
Doch die Überproduktion, also die eigentliche Quelle des Problems, würde damit nicht gestoppt werden.
Virginia Janssens, Direktorin des europäischen Branchenverbands der Plastikindustrie, sieht das anders. Sie warnt gegenüber der DW vor "stark vereinfachten Maßnahmen, wie zum Beispiel wie einer Begrenzung der weltweiten Produktion von Primärkunststoffen."
Die Branche, so sagt sie, nehme Plastikverschmutzung ernst. Das Problem anzugehen erfordere aber "eine sektorübergreifende Zusammenarbeit, nicht nur innerhalb unserer Branche, sondern auch entlang der gesamten Wertschöpfungskette, mit Behörden und darüber hinaus", so Janssens.
Recycling wird das Problem nicht lösen
Zwar seien Recycling und Abfallmanagement ein wichtiger Teil zur Bekämpfung des Problems. Doch die Wirkung bleibe begrenzt, wenn nicht gleichzeitig die Plastikmenge reduziert werde, erklärt dagegen Melanie Bergmann, Meeresbiologin des Alfred-Wegener-Instituts. Sie begleitet die deutsche Delegation bei den Verhandlungen als wissenschaftliche Beobachterin.
"Wenn die Menge an Plastik im Kreislauf jedes Jahr zunimmt, dann brauchen wir immer mehr solcher Strukturen [für Recycling und Abfallwirtschaft]. Wir sehen schon heute in den reicheren Teilen der Welt: unsere Systeme können das nicht bewältigen".
Schon jetzt ist der Aufwand der Staaten für Müllsysteme beträchtlich. Deutschland beispielsweise gibt jedes Jahr 16 Milliarden Euro für die gesamte Abfallwirtschaft, Wasserreinigung und der Bekämpfung von Umweltverschmutzung aus, das sind etwa 0,4 Prozent des BIP. Und der Anteil des Plastikabfalls im System wächst stetig.
Bei den Verhandlungen könnte die EU daher finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer an Zusagen zur Reduzierung der Kunststoffproduktion knüpfen, vermutet Bergmann.
Scheinheiligkeit von Deutschland und der EU?
Aleksandar Rankovic warnt dagegen davor, die Verantwortlichkeit nur auf Öl-Staaten und Produzenten von Kunststoffen abzuschieben. Er ist Gründer des Think Thanks Common Initiative, der sich für den Schutz gemeinschaftlicher Güter einsetzt und die Verhandlungen seit langem beobachtet.
Gerade westliche Ländern wie Deutschland, Frankreich oder auch dem Vereinigten Königreich wirft er Scheinheiligkeit vor. "Alle behaupten, sie seien super ehrgeizig. Ich finde das pervers," so Rankovic.
Mit rund acht Millionen Tonnen Kunststoffproduktion jährlich ist Deutschland mit Abstand der größte Plastikhersteller Europas, gefolgt von Belgien und Frankreich.
Weltweit kommt ein Drittel aller Kunststoffe aus China, knapp 20 Prozent aus anderen asiatischen Ländern und Nordamerika. In Nordamerika und Europa verbraucht jeder Mensch im Schnitt laut den Vereinten Nationen zwischen 85 und 94 kg Plastik pro Jahr. In China sind es 58 kg.
Auch wenn die Länder der sogenannten High Ambition Koalition sich für ein ehrgeizigeres Abkommen einsetzt, bemängelt Rankovic, dass es keinen klaren Vorschlag gäbe für ein verbindliches Ziel, weniger Plastik zu produzieren.
"Den Verbrauch und die Produktion von Kunststoffen auf ein nachhaltiges Maß beschränken", wie es die Koalition formuliert, findet Rankovic viel zu vage.
Aus Kreisen des deutschen Umweltministeriums wird diese Kritik zurückgewiesen. Die Datenlage sei gar nicht so gut, dass man "jetzt derartige Ziele numerisch beschreiben könnten. Also so ein 1,5 Grad Ziel, [wie im Klimaabkommen], ließe sich momentan überhaupt nicht beschreiben," heißt es.
Dem stimmt auch Melanie Bergman vom AWI zu. Allerdings sagt sie es sei eindeutig, dass die Plastikproduktion weltweit um mindestens 12 bis 19 Prozent zurückfahren müsse, allein um die Ziele des Pariser Klimaabkommens zu erreichen, so die Wissenschaftlerin.
Auch das Umweltministerium wolle die Primärproduktion zu reduzieren, um die Kreisläufe zu schließen und die Kreislaufwirtschaft zu unterstützen, heißt es aus dem Umfeld des Ministeriums. Auch Italien, Spanien und Frankreich würden diese Auffassung teilen und eine dementsprechende Position in der EU vorantreiben.
Die Macht der Kunststoff-Lobby
In Genf werden neben den Verhandlungsteams der Länder auch hunderte Interessensvertreter Plastik- und Chemiendustrie erwartet.
"Lösungen könnten nur in Zusammenarbeit und Kooperation mit sowohl Zivilgesellschaft als auch der Wirtschaft funktionieren", so heißt es aus Kreisen des deutschen Umweltministeriums.
"Meine persönliche Erfahrung ist, dass es in den letzten Jahren vermehrt Lobbyarbeit und Bemühungen gegeben hat, die Wissenschaft im Bereich der Kunststoffe zu untergraben," erklärt Bethanie Carney Almroth. Sie ist Ökotoxikologin an der Universität Göteborg in Schweden und erforscht schädliche Auswirkungen von Chemikalien in Kunststoffen.
Gemessen an den Teilnehmern ist der Einfluss der Industrie auf die Verhandlungen groß. Im vergangenen Jahr etwa waren mehr Lobbyisten anwesend als alle Delegierten der Mitgliedstaaten der Europäischen Union zusammen. Mit eigenen voreingenommenen Studien versuche die Industrie Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Wissenschaft zu streuen, so Carney Almroth.
Dagegen betont Plastics Europe gegenüber der DW, dass der Verband und seine Mitglieder die Bedeutung unabhängiger Wissenschaft anerkenne. "Die Gewährleistung eines evidenzbasierten Dialogs und einer evidenzbasierten Entscheidungsfindung ist entscheidend für die Suche nach den wirksamsten Lösungen," so Janssens vom europäischen Branchenverband.
Die Toxikologin Carney Almroth berichtet indessen von persönlichen Diffamierungen und Einschüchterungen gegen Wissenschaftler wie sie selbst - in E-Mails, in den Medien und persönlichen Gesprächen, in Briefen an die Redakteure wissenschaftlicher Publikationen, und durch Mitarbeiter großer Firmen.
"In fast allen Vorfällen wurde nicht meine Forschung kritisiert. Sie haben mich als Person kritisiert, was für mich zwei Dinge bedeutet: Erstens, dass meine Forschung Bestand hat, und zweitens, dass ich etwas Wichtiges tue, dass meine Arbeit etwas bewirkt", so die Forscherin.
Bei einer Konferenz in Kanada sei sie von einem Vertreter der Verpackungsindustrie eingeschüchtert und angeschrien worden, der in den Vortragsraum stürmte und sie der Verbreitung von Falschinformationen beschuldigte. Carney Almroth reichte eine Beschwerde bei der UN ein. Der Mann musste sich daraufhin entschuldigen.
Bei UN-Konferenzen sei auch versucht worden, Handy und Laptopbildschirme abzufotografieren und heimlich Gespräche aufzuzeichnen, erzählt sie. Auch andere Kollegen würden unter Druck stehen.
"Ich muss schon aufpassen, wo ich gerade bin und wer um mich herum ist." Ihre Bildschirme sind inzwischen mit Sichtschutz versehen.
Wird die historische Chance für ein wirksames Abkommen genutzt?
Rankovic glaubt nicht, dass in Genf ein bahnbrechendes Abkommen verabschiedet wird, sondern eher eine Art Rahmenkonvention, ein Minimalkonsens, auf dem dann in den nächsten Jahren aufgebaut werden könnte. Zu unterschiedlich seien die Positionen. Und bei den internationalen Verhandlungen können Entscheidungen nur im Konsens getroffen werden.
Dennoch drängt die Zeit, darin ist sich die Wissenschaft einig. Denn es gilt als sicher, dass sich die Plastikproduktion in den nächsten zwanzig Jahren verdoppeln wird. Mit einem Abkommen habe man die historische Chance, das Kunststoffproblem in den Griff zu bekommen, so Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener Institut.