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Plastikzertifikate: gut fürs Klima oder Greenwashing?

Tim Schauenberg
16. Mai 2022

Mit Plastik-Zertifikaten können Firmen die nachhaltige Abfallwirtschaft auch in Entwicklungsländern fördern. Sie dürfen sich dann "plastikneutral" nennen, aber selber weiter Kunststoffe verwenden. Was bringt das?

Plastikmüll an einem Strand, im Hintergrund stehen Hochhäuser
Weltweit belasten Plastikabfälle die Umwelt, und jedes Jahr werden mehr Kunststoffe produziert Bild: Luis Acosta/AFP/Getty Images

Wäre es nicht schön, wenn man den ökologischen Fußabdruck von Kunststoff einfach rückgängig machen könnte? Plastik weiter benutzen, nur ohne der Umwelt zu schaden – quasi plastikneutral werden?

Einige Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen suggerieren, dass genau das möglich ist. Und zwar durch sogenanntes Plastik-Offsetting (dt. Plastik-Kompensationen).

Plastikproduktion wächst weiter

Dass das Plastikproblem gelöst werden muss, ist klar. Heute wird 200 mal mehr Plastik hergestellt als 1950. Gerade einmal neun Prozent davon wurde bisher weltweit recycelt. Ob auf dem Mount Everest, in jeder Wasserschicht des Meeres, im arktischen Eis, den Mägen von Tieren, in Trinkwasser, Essen und sogar im menschlichen Blut – Mikroplastik und Plastikmüll ist überall. 

Auch Meeresschildkröten sind durch Plastikmüll gefährdetBild: Paulo de Oliveira/Photoshot/picture alliance

Plastik-Zertifikate: So funktioniert's

Firmen, die ihren einen Plastikverbrauch ausgleichen wollen, zahlen einen Betrag an Nichtregierungsorganisationen und Unternehmen im Plastik-Offset-Sektor. Mit dem Geld wird eine entsprechende Menge Kunststoff vom Anbieter selbst oder von Drittanbietern in Entwicklungsländern gesammelt, in manchen Fällen auch recycelt.

Je nach Anbieter erhalten die Firmen dann ein Zertifikat über den "Ausgleich" des eigenen Plastikverbrauchs, das Zertifikat "plastikneutral" oder Plastik-"Sammel-Kredite".

Doch was mit dem gesammelten Plastik passiert, ist oft undurchsichtig. Wissenschaftliche Untersuchungen zu den Effekten von solchen Plastik-Kompensationen gibt es bisher nicht.

Einer der Pioniere am Markt ist das Unternehmen rePurpose Global aus New York, es vergibt unter anderem das Zertifikat "plastikneutral". Heißt: Unternehmen könnten in Sammel-, Recyclingprogramme von rePurpose Global investieren und ihre Produkte dann mit dem Zertifikat "plastikneutral" vermarkten. An weniger Plastikverbrauch ist das Zertifikat aber nicht zwingend gebunden. Firmen können beispielsweise weiter eigene Produkte in Plastik verpacken.

Von rePurpose Global heißt es in einem Statement an die DW, man zertifiziere kein Unternehmen, "die sich nicht wirklich für die Reduzierung des Plastikverbrauchs einsetzen". Man stelle den Marken "ethisch recycelten Kunststoff aus unseren Projekten zur Verfügung, um sie auf ihrem Weg zu 100 Prozent Kreislauf-Lieferketten zu unterstützen."

Wenn man das Zertifikat sieht "würde man erwarten, dass das Produkt in Sachen Plastik keine negativen Folgen für die Umwelt hat. Aber das ist nicht wirklich der Fall," sagt Alix Grabowski vom WWF.

"Daher halte ich es für ziemlich irreführend, wenn ein Unternehmen behauptet, dass seine Produkte plastikneutral sind, man sie aber trotzdem in der Natur finden könnte."

Als "plastikneutral" zertifizierten Firmen unterstützen bessere Abfallkonzepte, doch sie können weiter Plastikverpackungen verwendenBild: rePurpose Global

Wenig Transparenz beim Plastikausgleich

Eine Markanalyse der U.S amerikanischen Nichtregierungsorganisation "The Circular Initiative" sieht vor allem durch mangelnde Transparenz ein deutliches Risiko für Greenwashing. Von 32 untersuchten Angeboten stellen nur drei den Zusammenhang von Klimawandel und Plastikverbrauch her.

Auch Tom Zoete von der Umweltorganisation Recyclingnetwerk Benelux blick skeptisch auf die Angebote. "Der gesamte Lebenszyklus von Plastik ist mit Ressourcenverbrauch verbunden, Erdöl und Energie zur Herstellung von Plastik, den Transport und so weiter", so Zoete zur DW.  Nur wer kein Plastik verbraucht, könne "plastikneutral" sein.

rePurpose Global wirbt damit pro Jahr sieben Millionen Kilogramm Plastik zu sammeln, das sonst in der Natur gelandet wäre. Davon wird laut eigenen Angaben 100 Prozent des wiederverwertbaren Plastiks zu Kleidung, Mülleimern oder in Materialien für den Straßen- und Wohnungsbau recycelt.

Was nicht recyclebar ist, wird als Energielieferant für die Zementindustrie benutzt und verbrannt, dadurch soll Kohleenergie ersetzt werden. Kritiker sagen, dass hier ein dreckiger Brennstoff durch den anderen ersetzt wird und die Methode zusätzlich zur Luftverschmutzung beiträgt.

Für Grabowski vom WWF sind vor allem die Marketinginstrumente das Problem, weniger die Projekte selbst. Viele der Projekte würden sich tatsächlich für eine bessere Abfallwirtschaft und bessere Löhne an den Orten einsetzen, die am stärksten von der Plastikverschmutzung betroffen seien.

Diesen März hatten sich 200 Länder erstmals darauf geeinigt, bis 2024 verpflichtende Regeln für die Produktion, den Verbrauch und die Entsorgung von Plastik festlegen. Der WWF bezeichnete die Vereinbarung als historisch.

Lukrative Petrochemie treibt Nachfrage nach Öl

Produkte und Verpackungen aus Kunststoff: Die petrochemische Industrie verdient mit.Bild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Plastik wird zu 99 Prozent aus Produkten der Erdölindustrie hergestellt, die wenig Interesse hat, den lukrativen Absatzmarkt zu verkleinern.

Die Internationale Energie Agentur (IEA) geht davon aus, dass Petrochemikalien schon bald der größte Treiber für die Nachfrage von Erdöl sein werden.

In den USA hat der Generalstaatsanwalt des Bundesstaats Kalifornien jetzt eine weitreichende Untersuchung gegen ExxonMobil eingeleitet. Dem Öl-Konzern wird vorgeworfen, seit Jahrzehnten von den Gefahren durch Plastik gewusst zu haben und eine "aggressive Kampagne gefahren zu haben", um den "Mythos aufrechtzuerhalten, dass Recycling die Kunststoffkrise lösen kann", so Generalstaatsanwalt Rob Bonta gegeüber Nachrichtenagentur AFP. ExxonMobil bestreitet die Vorwürfe.

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