Playground Project: Freiheit und Anarchie für Kinder
14. Juli 2018Spielplätze sind mittlerweile aus deutschen Städten nicht mehr wegzudenken. Rote Klettergerüste, regenbogenfarbene Schaukeln, Tunnelrutschen und gerne auch mal ein Brunnen mit dazugehörigem Matschfeld. So oder so ähnlich sehen Spielplätze in Deutschland heute aus.
Doch das war nicht immer so. Als Nebenprodukt der Industriellen Revolution entstanden Spielplätze erstmals Ende des 19. Jahrhunderts in den USA und Großbritannien. Diese Gebiete, oft leer stehende Grundstücke inmitten von Wohnprojekten, dienten zunächst als Treffpunkt für die Kinder von Einwanderern und in Armut lebenden Menschen.
Die Ausstellung "Playground Project" in der Bonner Bundeskunsthalle verfolgt die Entwicklung dieser Gemeinschaftsräume von den kargen urbanen Nischen hin zu den heute so häufig anzutreffenden Abenteuerspielplätzen.
Anfänge als soziales Projekt
Es war wohl der philanthropische Sozialreformer Charles B. Stover, der in New York den ersten Spielplatz konzipierte. 1890 gründete er die "Outdoor Recreation League". Ziel der Organisation war es, Spielplätze in der ganzen Stadt bauen, Räume zu schaffen, die helfen sollten, Kinder vor dem harten Leben auf den Straßen der Großstadt zu bewahren. Die ersten Spielplätze experimentierten mit dem, was die sich rapide industrialisierende Welt um sie herum anzubieten hatte. So entstanden die ersten Parks mit eher improvisierten Klettergerüsten aus Holz und Stahlrohren - Sicherheit wurde damals noch nicht so groß geschrieben wie heute.
Das Konzept war so erfolgreich, dass das New Yorker Park Department 1903 den ersten städtischen Spielplatz, den Seward Park, eröffnete.
Skandinavien: Natur kommt in die Städte
Obwohl das frühe Spielgerät nicht nur simpel sondern auch gefährlich war, setzte sich die Idee auch in anderen Teilen der Welt durch. Carl Theodor Sørensen, Landschaftsarchitekt in Kopenhagen, interessierte sich besonders für das "natürliche" Kinderspiel. Ab 1925 arbeitete er daran, die ländliche Umgebung in den Höfen dänischer Wohnanlagen nachzubilden. In seiner Welt wurde ein Sandkasten zum Strand, ein Kinderbecken ersetzte das Meer und Grasflächen mit Büschen und Wegen dienten den Kindern als Orientierungsfläche wie im Wald.
Gleichzeitig entwickelte er das Konzept des Abenteuerspielplatzes oder "Skrammellegeplads", eines Freiraums voller Baumaterialien und Werkzeuge, der es Kindern ermöglichen sollte, ihre eigenen Bauprojekte kreativ zu verwirklichen.
Sørensen bemühte sich sehr darum, seine "Skrammellegeplads" den Wünschen und Bedürfnissen der Kinder anzupassen. Doch eine Bildungsstätte sollten sie nicht werden, wie sein engster Mitarbeiter, John Bertelsen, betonte: "Ich kann und will den Kindern nichts beibringen. Ich kann sie in ihrem kreativen Spiel und ihrer Arbeit unterstützen und ihnen so helfen, jene Talente und Fähigkeiten zu entwickeln, die zu Hause und in der Schule häufig unterdrückt werden."
Daher wurde großer Wert darauf gelegt, die Spielplätze so zu gestalten, dass sie ein zufälliges Spielen ermöglichen - im Gegensatz zu einem künstlichen, von Erwachsenen gesteuerten Spielen mit starren Strukturen. Eine kinderfreundliche Umgebung, so Bertelsen, erfordere einen spielerischen physischen Hintergrund. Die Vorstellung von Spielskulpturen, wie beispielsweise Rutschen in Form eines Elefantenkopfes, war geboren.
Der Abenteuerspielplatz erobert die Welt
Sørensens Ideen hatten einen prägenden Einfluss auf die Londoner Landschaftsarchitektin Lady Marjory Allen of Hurtwood. Auch sie konzentrierte sich auf die Schaffung kinderfreundlicher Umgebungen. "Das Leben im Freien ist genauso wichtig wie das Leben im Haus, besonders für die Kinder", schrieb die Britin 1968 in ihrem Buch "Planning for Play". Allen war fasziniert vom Konzept des Spielplatzes als Raum, der aus ihrer Sicht immer eine Mischung aus Freiheit und Anarchie erfordere, damit Kinder ihre Kreativität darin optimal ausleben können.
Allen reiste um die Welt, um auf die Notwendigkeit der richtigen Planung von Spielplätzen für Kinder aufmerksam zu machen. In ihrem Buch wies sie Stadtplaner an, mehr Rücksicht auf Kinder zu nehmen. Beispielweise sollten sie darauf achten, die Entfernung, die kleine Kinder zu Fuß zu einem Spielplatz zurücklegen müssen, so gering wie möglich zu halten. Außerdem plädierte sie dafür, auch den Stadtverkehr so zu planen, dass dieser den Zugang der Kinder zu den Spielplätzen nicht behindert.
Allens Konzept der Abenteuerspielplätze war für viele Eltern in Deutschland völlig neu und wurde nicht selten mit Skepsis beäugt. Doch mit den neuen sozialen Bewegungen der 60er Jahre rückte die Selbstbestimmung immer stärker in den Vordergrund, und viele Bürger kamen zusammen, um gemeinschaftliche Spielplatzprojekte zu initiieren.
Der erste Abenteuerspielplatz entstand 1967 im Märkischen Viertel in Berlin. Trotz anfänglicher Kritik an diesen Spielplätzen als antiautoritäre Räume verbreitete sich die Idee auch in anderen Regionen. Ihre schnelle Akzeptanz und Entwicklung spiegelte die damalige aktivistische Haltung wider: Wenn die Regierung keine Spielplätze baut, müssen die Eltern das eben selbst in die Hand nehmen.
Spielend die Welt entdecken
Während in Deutschland die elterliche Liebesaffäre mit dem Abenteuerspielplatz bis heute anhält - was in vielen Großstädten zu ungewöhnlichen Spielplätzen geführt hat - haben Sicherheitsbedenken an anderen Orten wie den USA die Gestaltung erheblich erschwert. Sie bekamen vielfach ein normiertes, homogenes Erscheinungsbild. Natürliche Materialien wie Sand und Wasser wurden gegen Zement und Gummi ausgetauscht.
Dennoch ist nicht jede Hoffnung verloren. Mit der Ausstellung in der Bundeskunsthalle wollen sowohl die Kuratorin Gabriela Burkhalter als auch der Museumsdirektor Rein Wolfs zeigen, was Spielplätze zu bieten haben - sowohl aus gestalterischer als auch aus historischer, pädagogischer und städtebaulicher Sicht.
"Indem wir spielen, beginnen wir die Welt zu entdecken, sie zu verstehen und uns darin zurechtzufinden", sagt Wolfs. "Das Spielen stellt gesellschaftliche Konventionen auf die Probe, und wie die Kunst ist es eine Domäne ungehinderten Schaffens, ein Selbstzweck, ungehindert von den doppelten Anforderungen von Zweck und Nutzen." Und mit dieser partizipativen, performativen Ausstellung, in der die Besucher aufgefordert werden, auf, in und durch die Exponate zu klettern, geschieht genau das. Spielen, ungehindert.