Polanskis Retter
16. Oktober 2020Zu Essen gab es meist gesalzene Kartoffeln, manchmal Milch, im Sommer auch hin und wieder Pilze oder Blaubeeren. Die Buchałas waren eine arme und einfache Familie mit drei Kindern und wohnten in einem kleinen Haus 40 Kilometer von Krakau entfernt.
Und trotzdem entschieden sie, das Wenige, das sie hatten, fast zwei Jahre lang mit einem kleinen jüdischen Jungen zu teilen. Dessen Vater hatte ihn im März 1943 aus dem Krakauer Ghetto hinausbugsiert, nachdem er mit einer Zange den Stacheldrahtzaun durchschnitten hatte. Der Neunjährige wurde von Familie zu Familie gereicht, bis er zu den Buchałas kam.
Später betonte er, die "Güte", die ihm Stefania Buchała, die Mutter, erwies, sei "erstaunlich" gewesen. Das Paar riskierte sein eigenes Leben, denn für das Verbergen von Juden drohte im besetzten Polen der Tod. Wahrscheinlich gingen ihre leiblichen Kinder davon aus, dass "Romek" ihr Bruder war. Viel später wurde bekannt, dass aus dem kleinen jüdischen Jungen der weltbekannte Regisseur Roman Polanski geworden war.
Zweimal reiste Polanski nach dem Krieg in das Dorf Wysoka, um nach Spuren seiner Retter zu suchen. In seiner Autobiografie schrieb er später, er habe sich beim Anblick des Hauses kaum mehr vorstellen können, wie sechs Menschen in so einer winzigen Hütte leben konnten. In dem Buch erinnert er sich auch, dass der Alltag der Buchałas ein "Kampf ums Überleben" war.
Romek, der "Onkel" aus Amerika
Was Polanski jahrelang nicht gelungen war, schafften nun die jungen Filmemacher Mateusz Kudła und Anna Kokoszka-Romer. Pararell zum Dreh ihres Films über die Kriegserfahrungen Polanskis und seines Freundes, des weltbekannten Fotografen Ryszard Horowitz, waren sie auf der Suche nach noch lebenden Verwandten der Familie Buchała.
So trafen sie auf Stanisław Buchała, den Enkel von Stefania und Jan. Dieser hatte keine Ahnung davon, dass seine Großeltern Polanski versteckt und ihm wohl auf diese Weise das Leben gerettet haben. Stanisławs Vater, Ludwik, war bis zu seinem Tod 1999 überzeugt, dass "Romek" sein Bruder war.
Wahrscheinlich hatten es die Eltern so dargestellt, um die Familie nicht zu gefährden. Stanisław glaubte all die Jahre, in Amerika einen Onkel zu haben, von dem er nur wusste, dass er Romek hieß. Hätte er Polanskis Autobiographie gelesen, wäre ihm wahrscheinlich aufgegangen, dass die dort beschriebenen Retter seine Großeltern waren.
Aber erst eine Begegnung mit Polanski gab den Filmemachern letzte Gewissheit, dass ihre Suche erfolgreich gewesen war. "Als Stanisław Buchała ihm Fotos seiner Oma zeigte, sagte Polanski gerührt: 'Ja, das ist sie. Sie hat mir das Leben gerettet'", erzählt die Produzentin des Films, Anna Kokoszka-Romer, im DW-Gespräch.
Sie betont, dass die gemeinsame Reise nach Wysoka sowohl für Roman Polanski als auch für Stanisław Buchała ein bewegender Moment war und dazu noch der erste Besuch Buchałas im Dorf seiner Großeltern. "Polanski hat Buchała alles über seine Großeltern erzählt: wo das Haus stand, womit sich sein Opa beschäftigte, wo Äpfel und Pflaumen wuchsen. Polanski führte ihn sozusagen zu seinen Wurzeln zurück", sagt Kokoszka-Romer.
Eine späte Ehrung
Nach dieser Begegnung wandte sich Polanski an Yad Vashem, die Gedenkstätte in Jersualem, die an die nationalsozialistische Judenvernichtung erinnert und diese wissenschaftlich dokumentiert. Der Regisseur beantragte die Ehrung für Stefania Buchała. Er schrieb: "Sie gewährte mir Zuflucht und gefährdete ihr eigenes Leben und das ihrer Familie. Sie war eine sensible, sanfte und schwer arbeitende Frau."
75 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs nahm nun ihr Enkelsohn Stanisław die Medaille für seine verstorbenen Verwandten entgegen. "Das ist Ausdruck größter Menschlichkeit seitens meiner Großeltern", sagte Buchała. "Dass Polanski sich daran erinnert, heißt, es ging ihm gut dort, er hat gute Erinnerungen daran. Er suchte meine Familie, wollte sich bedanken."
Polanski reiste auch zur Auszeichnung in das schlesische Gleiwitz/Gliwice. Dort erzählte er während der Zeremonie im örtlichen Museum, wie er nach dem Krieg zweimal an den Ort zurückgekehrt war, wo ihn die Buchałas versteckt hatten. "In Wysoka gab es dieses mit Stroh bedeckte Haus nicht mehr, in dem die Familie Buchała lebte. Als ich von diesen Ereignissen erzählte, wirkte es, als ob ich mir das ausgedacht hätte", erzählte der Regisseur.
Gerechte unter den Völkern
Die Buchałas stehen jetzt in einer Reihe mit mehr als 27.000 Gerechten unter den Völkern auf der ganzen Welt. Dass davon 7000 - rund ein Viertel - Polen waren, ist eine imponierende Zahl, die aber auch nachvollziehbar ist, meint Barbara Engelking, Gründerin des Zentrums zur Erforschung des Holocaust an der Polnischen Akademie der Wissenschaften.
Im Gespräch mit der DW erinnert sie daran, dass bis zum Holocaust die meisten (etwa drei Millionen) der ermordeten Juden in Polen gelebt hatten. "Es wäre seltsam, wenn in einem Land, in dem es so viele Juden gab und wo das Epizentrum des Holocaust lag, sich nicht auch die meisten Personen finden würden, die halfen."
Die Forscherin sagt, es sei schwer, die Helfer und ihre Motive zu typologisieren. Für manche sei es schlicht die Möglichkeit gewesen, Geld zu verdienen, was in vielen Fällen zur Ausbeutung der Juden geführt habe. "Es gab aber auch andere Motive, wie Solidarität oder Freundschaft." In Warschau zum Beispiel lebten Polen und Juden vor dem Krieg oft eng zusammen, pflegten Freundschaften, die sich im Krieg bewährten.
Mit dem Ehrentitel Gerechte unter den Völkern wird an nichtjüdische Personen und Organisationen erinnert, die sich dem NS-Regime widersetzten, um Juden zu retten. Ihre Namen und ihre Herkunftsländer sind in der Gedenkstätte Yad Vashem auf Tafeln vermerkt. Auf der Medaille, die Stanisław Buchała nun bekommen hat, steht der Satz "Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt".