Polen: Affäre um Corona-Hilfen der EU? Tusk unter Druck
19. August 2025
Die rechtskonservative Opposition in Polen setzt in der Auseinandersetzung mit der Mitte-Links-Regierung von Donald Tusk auf ein neues Thema: Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds, die den Kleinunternehmern in der Hotelbranche und Gastronomie nach der Corona-Pandemie helfen sollten, sollen zweckentfremdet verteilt worden sein.
Das behaupten seit zwei Wochen Politiker der größten Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS). "Gigantischer Skandal", schrieb auf X der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski. Inzwischen hat auch die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) Ermittlungen eingeleitet.
Insgesamt stehen Polen EU-Corona-Hilfen im Wert bis zu 59,8 Milliarden Euro (255,8 Milliarden Zloty) zu. Die Summe besteht aus Zuschüssen in Höhe von 25,3 Milliarden Euro und niedrig verzinsten Krediten in Höhe von 34,5 Milliarden Euro. Die von der Opposition in der Hauptstadt Warschau erhobenen Vorwürfe betreffen lediglich einen Bruchteil des Gesamtprogramms.
Es geht um 1,2 Milliarden Zloty, wobei bisher 110 Millionen Zloty ausgezahlt wurden. Aus diesem Topf sollen Kleinunternehmer aus Hotel- und Gastrobranche, die unter der COVID 19-Pandemie besonders stark gelitten hatten, resilienter gegen mögliche künftige Epidemien und Krisen gemacht werden.
Corona-Hilfen für Swingerclub?
Doch die Beispiele, die zunächst im Internet und bald darauf in den mit der PiS verbundenen Medien auftauchten, brachten viele Leser auf die Palme. Aus dem EU-Geld sollten danach Segelboote, Saunen, Solarien, neue Firmenmöbel, virtuelle Schießstände, Internet-Bridgekurse und sogar ein Swinger-Club finanziert werden. Profitiert haben sollen auch Personen, die mit der Mitte-Links-Regierungskoalition von Premier Donald Tusk verbunden sind.
Die Regierung habe die Staatsfinanzen ruiniert und sei außerstande, Haushaltseinnahmen sicherzustellen. "Jetzt seht ihr, was sie mit den Geldern aus dem Wiederaufbaufonds machen, die für die Entwicklung der polnischen Wirtschaft bestimmt sein sollten", schrieb Kaczynski auf X. "Statt ökonomischem Anreiz ein gigantischer Skandal: Segelboote, Solarien, Veranstaltungen unter freiem Himmel und Kaffeemaschinen", so der Oppositionspolitiker weiter.
Vorwürfe treffen Tusk ins Mark
PiS-Politiker fordern die Einrichtung einer Sondergruppe der Staatsanwaltschaft, die die Affäre untersuchen soll. Der Abgeordnete Jacek Sasin hat gar Strafanzeige erstattet - "vor allem gegen Tusk", weil er "nicht so tun kann, als ob er damit nichts zu tun hätte". Für PiS-Vize Tobiasz Bochenski ist das Ganze "die größte Affäre seit der demokratischen Wende von 1989".
Die Vorwürfe treffen Tusk ins Mark. Als Oppositionsführer hatte er im Wahlkampf vor zwei Jahren versprochen, die von der EU-Kommission aufgrund von Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit unter der PiS-Regierung gesperrten Gelder aus dem EU-Wiederaufbaufonds ins Land zu holen. Das gelang ihm, obwohl seine Regierung bisher die Rechtsstaatlichkeit nicht wieder voll hergestellt hat.
Fundament des polnischen Wirtschaftserfolgs
Doch Brüssel gewährte dem liberalkonservativen und proeuropäischen Regierungschef einen Vertrauensvorschuss. Die Corona-Hilfen wurden zum Flaggschiff seines Regierungsprogramms und bildeten in den vergangenen anderthalb Jahren das Fundament von Polens wirtschaftlichem Erfolg. "Der Skandal hat das Image der Tusk-Regierung ruiniert", urteilt die Wochenzeitschrift Wprost. "Das, was seine Stärke sein sollte, erwies sich als ein Stein am Hals", hieß es in einem Kommentar.
Tusk reagierte auf die Vorwürfe mit Entschlossenheit: "Ich werde keine Verschwendung der Corona-Hilfen hinnehmen", so der Regierungschef. Er betonte, dass erste Kontrollen weder Korruption noch Veruntreuung entdeckt hätten. Es sei eher "sorglose Verwendung der Gelder" gewesen, so der Premier.
Ministerin bleibt im Amt
Zudem kündigte Tusk personelle Konsequenzen an - doch bisher zumindest ist die zuständige Ministerin für Fonds und regionale Entwicklung, Katarzyna Pelczynska-Nalecz, weiter im Amt. Sie gehört zur Führung der mitregierenden liberalen Partei Polska2050, ohne die die Tusk-Koalition keine Mehrheit im Parlament hat.
Die Politikerin, die nach Koalitions-Absprache im Herbst Vize-Regierungschefin werden will, soll seit Monaten von den Unregelmäßigkeiten gewusst haben, wollte aber den Fall "nicht an die große Glocke hängen". Tusk kommentierte, er sei mit der Erklärung der Ministerin "mittelmäßig zufrieden" - seine Geduld sei aber "noch nicht erschöpft". Obwohl er in harmloseren Fällen Minister entlassen hatte, verzichtete er diesmal auf einen Rauswurf.
Trägt die PiS die Verantwortung?
Die Verantwortung für die Affäre sieht Tusk bei der PiS: Die Vorgängerregierung habe seinem Kabinett und ihm "sehr wenig Zeit gelassen, um die Mittel an polnische Firmen zu vergeben". Um das zeitlich zu schaffen, habe das von Pelczynska-Nalecz geleitete Ministerium "die Verfahren gelockert, damit die Menschen das Geld kriegen", so der Regierungschef weiter.
Die EU-Kommission hatte den Corona-Wiederaufbaufonds für Polen wegen Verstößen der PiS-Regierung gegen die Rechtsstaatlichkeit zurückgehalten und die Mittel erst nach dem Regierungswechsel zu Tusk mit zweijähriger Verzögerung freigegeben.
Mittelvergabe bis auf Weiteres eingestellt
Unter der Affäre leiden vor allem die Hoteliers und Gastwirte. Pelczynska-Nalecz hat die Zuschüsse bis auf Weiteres eingestellt. Alle Verträge sollten noch einmal auf Übereinstimmung mit den EU-Kriterien überprüft werden, heißt es im Ministerium. Es gebe auch die Möglichkeit, Gelder zurückzuverlangen, wenn Unregelmäßigkeiten bei bereits realisierten Verträgen festgestellt werden. Die Behörde hatte bisher mehr als 3000 derartige Verträge unterzeichnet.
Das Programm für die Hotel- und Gastrobranche stellt nur einen Bruchteil des Wiederaufbaufonds dar. Das Gros der Gelder wird für Klimaprojekte, Modernisierung des Schienenverkehrs, Energieversorger und Krankenhäuser verwendet. Nach Umwidmung der Mittel aus dem Stadtentwicklungsprogramm sollen auch Verteidigungsprojekte gefördert werden. Nach Angaben des zuständigen Ministeriums wurden bis zum Juni 2025 Verträge für über 60 Prozent des Zuschussbudgets sowie über 33,5 Prozent der Kreditmittel unterschrieben.
Zu Wort meldete sich auch der neue Präsident Karol Nawrocki. "Die Polen, wenn sie hören, dass öffentliche Gelder für Solarien, Saunen und Segelboote ausgegeben werden, haben Recht, sich zu empören", sagte das Staatsoberhaupt dem Fernsehsender Polsat. "Verantwortung trägt selbstverständlich die amtierende Regierung", betonte er. Der aus dem rechtskonservativen Lager stammende Nawrocki macht keinen Hehl aus seinem Ziel, die Tusk-Regierung zu Fall zu bringen, am besten noch vor der Parlamentswahl 2027.