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PolitikPolen

Polen baut "Schutzschild Ost" und jagt russische Agenten

23. Mai 2024

In Polen wächst die Angst vor der Bedrohung aus Russland. Stecken Saboteure hinter den Großbränden der letzten Tage? Sind Politiker der national-konservativen Opposition russische Spione? Nun handelt die Regierung.

Schwarze
 Rauchwolken über einem Gebäudekomplex
Großbrand im Einkaufszentrum Marywilska 44 im Norden der polnischen Hauptstadt Warschau am 12.05.2024Bild: LESZEK SZYMANSKI/PAP/EPA

Polen ist seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Februar 2022 ein Frontstaat der EU. Doch erst jetzt scheint die polnische Gesellschaft das volle Ausmaß der Bedrohung aus dem Osten begriffen zu haben. Mehrere Großbrände haben die Menschen in letzter Zeit aufgeschreckt. Obwohl bisher keine belastbaren Beweise gefunden wurden, vermuten viele Polen, dass fremde Geheimdienste dahinter stecken könnten. "Wir haben heute keine Zweifel mehr, dass die russischen und die mit ihnen eng kooperierenden belarussischen Geheimdienste in Polen sehr aktiv sind", sagte Regierungschef Donald Tusk nach der Kabinettssitzung am Dienstag (21.05.2024). Er nutzt in diesen Tagen jede Gelegenheit, um vor Sabotagegefahr und Desinformation aus dem Osten zu warnen.

Laut Tusk sitzen derzeit zwölf Personen in Untersuchungshaft in Polen, denen die Beteiligung an Sabotageakten im Auftrag Russlands vorgeworfen wird. Wie er weiter mitteilte, hatten russische Geheimdienste wahrscheinlich auch mit dem Großbrand des Einkaufszentrums Marywilska 44 im Norden der polnischen Hauptstadt "etwas zu tun". Am 12. Mai 2024 vernichtete das Feuer dort rund 1400 Geschäfte. Innerhalb weniger Stunden verloren tausende Händler, vor allem aus Vietnam, ihr Hab und Gut. Die Tatsache, dass das Feuer gleichzeitig an mehreren Stellen aufflammte, gab Anlass zu wilden Spekulationen. "Wir prüfen das", versprach Tusk.

Polnische Feuerwehr bekämpft einen Großbrand im Einkaufszentrum Marywilska 44 im Norden der polnischen Hauptstadt Warschau am 12.05.2024Bild: Attila Husejnow/SOPA/IMAGO

In den vergangenen Wochen mehrten sich ähnliche Zwischenfälle. Mal brannte eine Mülldeponie, mal ein Schulgebäude während der Abiturprüfung. Die überraschende Flucht des polnischen Richters Tomasz Schmydt nach Belarus Anfang Mai, von wo er im Auftrag des Diktators Alexander Lukaschenko  antipolnische Propaganda betreibt, hat die Verunsicherung in Polen noch verschärft. Wahrscheinlich hatte der strebsame Jurist seit langem mit ausländischen Spionagediensten kooperiert und brisantes Material weitergegeben.

Tusk kündigt "Schutzschild Ost" an

Angesichts wachsender Gefahren für die Sicherheit seines Landes entschloss sich Tusk, zur Gegenoffensive überzugehen. Bereits in der vergangenen Woche stellte er das Projekt einer Verteidigungslinie vor, die die 600 Kilometer lange Grenze zu Russland und Belarus schützen soll. Neben Naturhindernissen wie Flüssen, Seen, Sümpfen und Wäldern sollen die Befestigungen - von Tusk "Schutzschild Ost" genannt - aus Panzersperren und viel Elektronik, darunter Aufklärungseinrichtungen bestehen. Er hoffe, dass Brüssel einen Teil der Kosten übernehme, so Polens Regierungschef.  

Ministerpräsident Donald Tusk kündigt am 18.05.2024 in Krakau Milliarden-Investitionen in die Grenzsicherung nach Belarus anBild: Dominika Zarzycka/NurPhoto/picture alliance

Am Dienstag (21.05.2024) rief er eine Kommission ins Leben, die den Einfluss russischer und belarussischer Geheimdienste auf die polnische Politik untersuchen soll. Der Ausschuss soll unter der Leitung des auch international angesehenen Chefs des Militärischen Abschirmdienstes SKW, Jaroslaw Strozyk, arbeiten und bereits vor der Sommerpause den ersten Bericht vorlegen.

PiS-Kontakte zu Russland im Visier

Die Kommission soll aus Experten bestehen, hinter verschlossener Tür ohne laufende Kameras tagen und die Zeit seit 2004, also auch die Regierungszeit der Tusk-Partei Bürgerplattform (PO) von 2007 bis 2015 durchleuchten. Auch wenn sich Tusk um den Anschein von Neutralität bemüht, liegt für alle politischen Beobachterinnen und Beobachter auf der Hand, dass sich im Zentrum der Aufmerksamkeit der Experten die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) von Jaroslaw Kaczynski befindet.

Der ehemalige polnische Verteidigungsminister und heutige PiS-Abgeordnete Antoni MacierewiczBild: Radek Pietruszka/PAP/picture alliance

In diesem Zusammenhang wird ein Name besonders oft genannt: Antoni Macierewicz. Der einstige Regimekritiker, der seit den 1970er Jahren gegen das kommunistische System kämpfte, näherte sich nach der demokratischen Wende immer mehr dem nationalistisch-klerikalen Flügel der Opposition an. Seit 2006 in verschiedenen Funktionen im Verteidigungsministerium, führte Macierewicz radikale Säuberungen im militärischen Geheimdienst durch. Kritiker warfen ihm vor, die polnische Armee damit lahmgelegt zu haben. Auch als Verteidigungsminister 2015-2017 soll er die Modernisierung der Streitkräfte durch Kündigung der Rüstungsverträge, etwa mit Frankreich, behindert haben.

Tusk will kein zweiter McCarthy sein

"Die Schlinge der Informationen, die wir sammeln, zieht sich um Antoni Macierewicz fest", sagte Tusk. In seiner Umgebung seien Personen tätig gewesen, die die polnische Armee abgerüstet und den Nachrichtendienst ausgeschaltet hätten. "Viele Entscheidungen [von Macierewicz] dienten Russland",  sagte Marek Biernacki, der Chef des Parlamentsausschusses zur Kontrolle der Geheimdienste am Mittwoch (22.05.2024) dem Fernsehsender TVN. Seiner Meinung nach sei die PiS "keine prorussische, sondern eine von Russland infiltrierte Partei".

Marek Biernacki, der Chef des Parlamentsausschusses zur Kontrolle der Geheimdienste im polnischen SejmBild: Leszek Szymañski/picture alliance

"Ich bin kein moderner McCarthy", versicherte Tusk. Doch in der heißen Phase des Wahlkampfes vor der Europawahl am 9. Juni will der Chef der größten Regierungspartei PO seine Wähler mobilisieren, indem er den Urnengang zur Abstimmung über die Konfrontation zwischen Europa und Russland stilisiert. Im auch in seiner Partei umstrittenen Wahl-Spot heißt es: "Russland ist schon hier". Die Autoren bezichtigen die PiS, Kontakte mit Russland und Belarus zu haben und zitieren aus einer Rede Tusks im Parlament, in der er die polnische Rechte als "bezahlte Verräter, Knechte Russlands" bezeichnet.

"Tusk braucht unbedingt den Sieg, um die Übernahme der Kontrolle über den Staat zu beschleunigen", schreibt Michal Szuldrzynski in der Zeitung Rzeczpospolita. Trotz Aufdeckung zahlreicher Skandale und Korruptionsfälle der Vorgängerregierung bleibt die Unterstützung für Kaczynskis Partei auf hohem Niveau. Die Umfragen sagen ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen PO und PiS voraus. Der zehnte Wahlsieg der PiS hintereinander wäre ein schwerer Prestigeverlust für Tusk.

Die Botschaft, die Tusk angesichts dessen immer wieder an die Wähler richtet, könnte nicht einfacher sein: "Putin will Europa destabilisieren. Willst du Frieden, geh wählen."

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.