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Politik

Polen: Merkel als "letzte Chance"?

Gerhard Gnauck
6. Februar 2017

An diesem Dienstag besucht die Bundeskanzlerin Warschau. In einer schwierigen internationalen Lage will sie für beide Länder Kompromisse ausloten. Höhepunkt des Besuchs: Ein Treffen mit PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski.

Berlin 2006 Angela Merkel & Jaroslav Kaczynski
Merkel und Kaczynski (damals polnischer Premier) bei einem Treffen in Berlin im Jahr 2006 Bild: Getty Images/S. Gallup

Nach dem Wahlsieg von Donald Trump ist in Polen jedem klar, wie gefährlich die internationale Lage geworden ist - auch für das eigene Land. So blicken Polens Medien in diesen Tagen intensiv auf Deutschland. An diesem Dienstag wird Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem kurzen, mit Terminen vollgepackten Besuch nach Warschau kommen.

Ihr Foto ziert jetzt viele Titelseiten. "Die Merkel der letzten Chance - Polen und Deutschland sind zueinander verurteilt", heißt es beim liberal-katholischen "Tygodnik Powszechny" (Allgemeines Wochenblatt). "Deutschland und Polen - eine Vernunftehe" steht auf dem Cover des Magazins "Wprost" (Direkt). Dort ist eine Fotomontage zu sehen, auf der Merkel und der PiS-Vorsitzende Jaroslaw Kaczynski sich fast umarmen.   

Ein Wiedersehen nach Jahren

Die Kanzlerin erwidert mit ihrer Reise den Besuch der polnischen Ministerpräsidentin Beata Szydlo in Berlin im vorigen Jahr. Daneben trifft sie Staatspräsident Andrzej Duda, die Chefs der Oppositionsparteien PO und PSL, die beide Mitglieder der Europäischen Volkspartei sind, sowie Vertreter der deutschen Minderheit. Ihr wichtigster Termin ist jedoch ein anderer: Erstmals seit vielen Jahren trifft sie Jaroslaw Kaczynski, Chef der regierenden nationalkonservativen Partei PiS. Das Angebot zu diesem Treffen komme von der polnischen Seite, heißt es dazu in Berlin.

Kaczynski ist heute der Königsmacher, der mächtigste Mann im Land. Er reist seit Jahren weder privat noch dienstlich ins Ausland, sein Hauptinteresse ist die Innenpolitik, vor allem die "konservative Konterrevolution", die er nach eigenen Worten dem Land verordnet hat. Doch hat er, seit seine Partei Ende 2015 die Wahlen gewann, einige wenige ausländische Gäste empfangen, darunter den Präsidenten der Ukraine, den Außenminister Frankreichs und einen ranghohen amerikanischen Politiker aus dem Trump-Lager. Jetzt also Merkel. Das Treffen soll am Nachmittag "auf neutralem Boden" stattfinden, wie es in Warschau heißt, offenbar in dem traditionsreichen Hotel Bristol. Äußerungen für die Medien seien danach nicht geplant.

Nähe auf Distanz

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind heute so eng wie selten zuvor. Der deutsch-polnische Handel könnte für 2016 erstmals die 100-Milliarden-Euro-Marke erreicht haben. Die Zusammenarbeit in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung läuft im Großen und Ganzen gut. In der Politik gegenüber Russland ist man sich - abgesehen von der Frage der Ostsee-Pipeline - weitgehend einig. Aber die Probleme wachsen, und sie weisen zumeist über diese Region hinaus. Dabei ist der Umgang der polnischen Regierung mit der Rechtsstaatlichkeit noch gar nicht berücksichtigt; die EU hat deswegen ein Verfahren gegen Polen eröffnet. Berlin hält sich mit öffentlicher Kritik zurück - man wolle dieses EU-Thema nicht "bilateralisieren", heißt es dazu.

Während der Gespräche in Warschau dürften die Zukunft der EU und die Migrationspolitik die wichtigsten Themen sein. So will Polen einiges an den Europäischen Verträgen ändern - zugunsten einer Stärkung der Mitgliedsstaaten. Berlin lehnt das ab: "Wenn wir hier mit einem Land anfangen, öffnet das die Büchse der Pandora", sagt ein deutscher Diplomat.

Im "Brexit" könnte Warschau auch eine Chance "für eine Stärkung der Position Polens" sehen, meint der Politologe Olaf Osica Bild: picture alliance/dpa/M. Kappeler

Bei der Migration aus dem Süden sind sich Berlin und Warschau zwar einig, dass die EU-Außengrenzen stärker geschützt und Fluchtursachen bekämpft werden müssen. Aber was die Lösungen innerhalb der EU betrifft, gibt es weiterhin keine Annäherung. Die Bundesregierung hofft auf eine "gerechte Lastenverteilung". Doch viele Länder werden eine Umverteilung der Migranten mit Sicherheit weiterhin ablehnen, so dass allenfalls an eine Verteilung der finanziellen Lasten gedacht werden kann.     

Einiges zu klären

Schwierig ist die Zusammenarbeit für Berlin auch deshalb, weil die polnische Seite selten konkrete Vorschläge formuliert. Das betrifft zum Beispiel die Idee einer europäischen Armee, die sowohl Kaczynski als auch Ungarns Regierungschef Viktor Orban zu verschiedenen Zeiten in die Debatte geworfen haben. Aber auch die Frage, was die Visegrad-Gruppe (Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn) eigentlich will, bleibt weitgehend unbeantwortet.   

Polens Regierung dagegen hat Gründe, die Ereignisse "Brexit" und "Trump" etwas anders zu sehen als Deutschland. Während beide für Berlin vor allem Probleme seien, könne die Regierung in Warschau mit ihrer leicht EU-skeptischen Haltung darin auch eine Chance für "eine Stärkung der Position und der Bedeutung Polens" sehen, schreibt der Politologe Olaf Osica jetzt im "Tygodnik Powszechny". Die polnischen Eliten störe an den Deutschen deren "geringe Fähigkeit, andere Standpunkte als den eigenen zu akzeptieren. Das hat seinen Grund in der (deutschen) Überzeugung, die deutsche Politik habe geradezu universale Politikansätze erarbeitet". Viele deutsche Politiker glaubten, die Befolgung ihrer Ansätze würde fast alle Probleme der Welt lösen, und wer das nicht verstehe, sei dumm oder rückständig.

Osica zählt viele Differenzen auf (Migration, Energie, Klima, Ostsee-Pipeline, Eurozone) und kommt zu dem Schluss: "Der Kanon der Streitpunkte zwischen Berlin und Warschau ist unabhängig von der Farbe der regierenden Parteien." Nur habe man sie vor dem Regierungswechsel in Polen "direkt unter den Chefs" angesprochen. Das ist jetzt anders geworden: Vieles wird in scharfer Form öffentlich debattiert. Osicas Hoffnung ist daher, dass es zu einem "ernsten Gespräch über ernste Themen und der Definierung der gemeinsamen Interessen" kommt.

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