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Politik

"Polen braucht soziale Marktwirtschaft"

Gerhard Gnauck
18. Februar 2017

Mateusz Morawiecki ist in Polens Regierung der Super-Wirtschaftsminister. Der erfolgreiche frühere Banker will die Ungerechtigkeiten der Reformen seit 1989 ausgleichen. Manches schaut er sich von den Deutschen ab.

Polen Szczecin NATO Uebung "Brilliant Jump 2016
Bild: Zbigniew Plesner

Ginge es nach Mateusz Morawiecki, müssten die Wirtschaftsreformen nach 1989 in Polen noch einmal neu und anders begonnen werden - obwohl Ökonomen weltweit sie bewundert haben. Drei Viertel der Bevölkerung Polens seien heute einem "Blutsauger-Kapitalismus" ausgeliefert. Das will der Vizepremier ändern. "Wir bauen eine soziale Marktwirtschaft, wie sie die deutschen Ökonomen Eucken und Rüstow nach dem Krieg entworfen haben", sagt Morawiecki im Gespräch mit der DW.

Vom Banker zum Robin Hood

Die Qualifikation dafür besitzt er. Der groß gewachsene, schlanke 48-Jährige ist Sohn eines führenden Solidarność-Aktivisten aus Breslau (Wrocław). Deutschland kennt er von einem Praktikum bei der Bundesbank und Studienaufenthalten an deutschen Universitäten. Acht Jahre lang war er Chef der Bank Zachodni WBK, einer der größten polnischen Banken. 2015, nach dem Wahlsieg der national-konservativen Partei PiS, wurde er in die Regierung berufen. "Jetzt habe ich fünfmal mehr Arbeit", sagt Morawiecki. Kein Wunder: Er leitet derzeit zwei Ministerien, das Entwicklungs- und das Finanzministerium.

Ambitioniert: Polen Wirtschaftsminister Mateusz MorawieckiBild: DW/M. Martin

Als Vertreter des "Blutsauger-Kapitalismus" sieht er sich nicht. "In der Finanzkrise haben wir im Bankvorstand 2009 unsere Gehälter um 50 Prozent gekürzt, das war in Europa einmalig", erzählt er. Sein Haus habe damals als einzige Bank Polens keine sogenannten Gruppenentlassungen durchgeführt.

Hoffnungsträger der Nationalkonservativen

Erst kürzlich ist Morawiecki der PiS beigetreten. Parteichef Jarosław Kaczyński bezeichnet ihn bereits als "unseren Balcerowicz". Professor Leszek Balcerowicz war der Autor der "Schocktherapie", der radikalen Reformen nach 1989. Nach seinem Plan gelang in Polen in den 1990er Jahren die Wende von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft. Das Bild des ehemaligen Finanzministers hängt in dem Raum, in dem Morawiecki heute Interviews gibt. "Aber unter Balcerowicz wurde ein Großteil des polnischen Volksvermögens liquidiert und zu Schleuderpreisen verkauft", kritisiert der Nachfolger heute. "Wir wollen die negativen Folgen dieser Reformen umkehren."

Noch immer knapp: Wohnungen in Polen (hier in Gdynia)Bild: picture alliance/dpa/NurPhoto/M. Fludra

Wie soll das geschehen? Der Superminister erklärt die zwei Flaggschiffe seiner Sozialpolitik: das erstmals eingeführte Kindergeld und das Bauprogramm "Wohnung plus". Das Kindergeld - umgerechnet 120 Euro, für viele Familien eine Menge Geld - wird bereits ausgezahlt. "Das ist eine große soziale Unterstützung und zugleich ein Appell, den demografischen Trend umzukehren", sagt der Minister. In der Tat ist die bisher sehr niedrige Geburtenrate gestiegen.

Kritiker fragen allerdings, wie lange sich Polen solche Ausgaben leisten kann, ohne dass der Haushalt in Gefahr gerät. Morawiecki ist unbesorgt. Das künftige Wohnungsbauprogramm organisiere der Staat, aber es werde den Staat fast nichts kosten. "Es wird bisher schlafende Aktiva mobilisieren. Wir werden damit von den Gewinnmargen von 50 bis 70 Prozent herunterkommen, die die Wohnungsbaufirmen bisher hatten. Damit können wir die Wohnungspreise um die Hälfte senken."

Ehrgeizige Pläne

Solche Pläne kommen angesichts des immer noch großen Wohnungsmangels  bei den Wählern gut an, zumal viele von ihnen in alten Plattenbauten wohnen. Im Moment werden in Polen etwa 150.000 Wohnungen jährlich gebaut. Wenn Morawieckis Pläne aufgingen, kämen ab 2018 zusätzlich "Wohnung plus"-Bauten dazu. Nach den Wahlen 2019 wären es "jährlich zusätzlich Zehn-, wenn nicht Hunderttausende".

Damit würde Wohnraum für viele Menschen erschwinglicher. Das Programm könnte noch einen weiteren Effekt bringen, hofft der Minister: Binnen vier Jahren würden "mehr als 100.000 polnische Migranten" aus Westeuropa zurückkehren, der Trend zur Auswanderung könne umgekehrt werden.

Dass die Investitionen, vor allem jene der Kommunen und Regionen, 2016 einen starken Einbruch erlebt haben, weiß Morawiecki natürlich. Das hat, Experten zufolge, viel mit dem Rhythmus der EU-Zuschüsse zu tun. Für 2017 erwartet der Minister wieder einen Boom dieser Investitionen und in der Folge einen Anstieg der Inflation. Nach seiner Prognose werde die Teuerung mehr als 1,3 Prozent betragen. Das Wirtschaftswachstum werde 2017 drei Prozent übersteigen, "vielleicht sogar 3,5 Prozent".

Morawiecki verteidigt auch umstrittene Entscheidungen, etwa jene, dass Energiekonzerne sich an Kohlebergwerken beteiligen. "Die Umstrukturierung des Bergbaus ist sehr schwierig, aber jetzt verläuft sie endlich positiv."

Spagat eines Reformers

Politisch versucht der Superminister gelegentlich auch einen Spagat. Während man sonst aus dem Regierungslager scharfe Kritik an der Dominanz ausländischer Konzerne in Polen hört, lobt er zum Beispiel eine deutsche Firma. "Volkswagen beginnt gerade mit dem Bau eines zweiten Werks", sagt der Minister. "Eine Greenfield-Investition. Und Volkswagen ist beispielhaft, was die partnerschaftliche Zusammenarbeit mit der lokalen Community und den Arbeitnehmern angeht."

VW in Polen: Eröffnung des Werkes Września bei Posen (Poznań) im Herbst 2016Bild: DW/A.-M. Pędziwol

Mit dem wichtigsten Handelspartner Deutschland wachsen Im- und Export "mit sieben, acht Prozent im Jahr", freut sich der Minister. Das könne sich auch politisch auswirken: "Wir können gemeinsam, ob als Tandem oder im Weimarer Dreieck mit Frankreich, ein guter Grundstock für die Erneuerung der EU sein. Wir sind sehr pro-EU. Ich denke, wir sind noch entschiedener für den Zusammenhalt der EU als die Bevölkerung Deutschlands. Aber nicht für eine utopische EU, für vereinigte Staaten oder ein föderales Europa." Allerdings sei auch gut, "die Europäischen Verträge noch einmal zu analysieren". Die Regierung in Warschau möchte einiges an den Verträgen ändern.

Auch in der Flüchtlingsfrage gibt Moraiwecki sich milder als sein politisches Lager. Während die Regierung kürzlich in die Kritik geriet, weil sie sich gegen den Vorschlag aussprach, zehn traumatisierten Kindern aus dem syrischen Aleppo in Polen einen Reha-Aufenthalt zu ermöglichen, versucht Morawiecki zu schlichten. Der Streit darüber sei "ein Missverständnis", meint er. "Wir werden uns sicher einigen, Kinder aufzunehmen, die kein Dach über dem Kopf haben." Man darf gespannt sein, ob sich seine Regierung dazu durchringt.

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