1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
Politik

Das Gegen-Facebook

Magdalena Gwozdz-Pallokat
8. Februar 2021

In Polen ist mit dem Segen von Regierungsmitgliedern ein soziales Netzwerk aktiv, das US-Internet-Giganten "zensurfrei" Paroli bieten soll. Doch der Start war holprig, ausgerechnet ein Journalist sah sich ausgesperrt.

Symbolbild I BigTech I Social Media
Big Tech - Facebook, Twitter, GoogleBild: Jakub Porzycki/NurPhoto/picture alliance

Die Registrierung geht schnell. Nicht einmal seinen Namen muss man angeben. Um auf Albicla, der Optik nach ein polnisches "Facebook", ein Profil zu erstellen, genügt eine E-Mail-Adresse. Wer sich auf der Plattform umschaut, entdeckt neben Klarnamen-Profilen auch solche von Jesus Christus, Wladimir Putin oder von verschiedenen Päpsten. Viele von ihnen sind deaktiviert. Aber auch das offizielle Profil des polnischen Präsidenten Andrzej Duda lässt sich finden.

Zwei Wochen nach dem Start vermeldet ein Zähler auf der Seite 56.000 aktive Nutzer. Einer der ersten von ihnen ist Kulturminister Piotr Gliński. In seinem Albicla-Debüt lobt er in Anlehnung an ein geflügeltes Wort aus der polnischen Romantik, die Macher hätten "schnell und treffsicher auf Versuche globaler Konzerne reagiert, 'Herrschaft über Seelen' zu gewinnen".

So "liberal" wie möglich

Die Internet-Sperre von Donald Trump bei den großen sozialen Netzwerken hat in Polen einen alten Verdacht verstärkt: Dass die Tech-Giganten bevorzugt zuungunsten "rechter" Kommentatoren intervenierten. Ein "bisweilen absurdes Ausmaß der Zensur" in den sozialen Medien beklagt Tomasz Sakiewicz, Chefredakteur der PiS-nahen "Gazeta Polska Codziennie", der hinter der neuen Plattform steht. Laut Eigendarstellung will Albicla "zensurfreien Austausch von Gedanken, Ideen und Meinungen" ermöglichen. Sakiewicz betont im DW-Gespräch, es würden lediglich vulgäre, kinderpornografische sowie Inhalte mit Spam-Charakter entfernt. "Allgemein habe ich empfohlen, dass man so liberal wie möglich vorgeht. Wenn etwas grenzwertig oder zweifelhaft ist, dann soll man es eben stehen lassen."

Das polnische Gegen-Facebook: Let All Be Clear - AlbiclaBild: albicla.com

Wer blockierte den Journalisten?

Bei Albicla könne man über einen anderen Menschen "absolut alles sagen, aber unter einer Bedingung: Hauptsache, man benutzt Großbuchstaben beim Siezen", pointiert Bartosz Węglarczyk, Chefredakteur des Internet-Portals Onet seine Erfahrungen mit der Seite. Man könne also jemanden als "Volksdeutschen" beschimpfen, solange man das "Sie" nur großschreibt, spottet er gegenüber der DW. Der Begriff Volksdeutsche wird in Polen oft als Synonym für NS-Kollaborateure gebraucht.

Węglarczyk hatte sich, ähnlich wie der Kulturminister, gleich am ersten Tag bei Albicla angemeldet. Um "Informationsblasen zu durchstechen", wie er betont: "Wenn Leser rechter Portale merken, dass die Welt anders ist als der ganze Dreck, der täglich über sie ausgeschüttet wird, ändert sich vielleicht etwas zum Besseren." Nachdem er allerhand Onet-Texte verlinkt hatte, war sein Konto plötzlich gesperrt. Als er das öffentlich machte, habe ihn der Gazeta-Polska-Chefredakteur kontaktiert. "Er versicherte mir, dass dies ein Hacker-Angriff gewesen sei." Sein Konto sei dann wieder freigeschaltet worden.

Der Chefredakteur des Internet-Portals Onet wurde auf Albicla blockiert Bild: Onet

Desinformation und "Junk-News"

Dank Sicherheitslücken und anderer Pannen war der Projektstart ziemlich holprig, was dem Vorhaben Spott einbrachte - auch wegen des eigenartigen englischsprachigen Firmenmottos ("Let AlBiCla - Let All Be Clear"). Dass viele Polen das Netzwerk mit eher spitzen Fingern anfassen, liegt auch am Umfeld, aus dem heraus es entstand. Denn Sakiewiczs "Gazeta Polska Codziennie" berichtet stramm auf PiS-Linie, egal, ob das Blatt die Wahl Ursula von der Leyens zum "Erfolg Polens" erklärt oder den Frauenstreik als "Straßenkrieg" verteufelt. Sein Schwesterblatt, ein Wochentitel gleichen Namens, machte 2019 weltweit Schlagzeilen, als es im Wahlkampf Sticker mit der Aufschrift "LGBT-freie Zone" druckte. 

Sakiewicz ist von PiS-Größen umgeben. Ein Europaabgeordneter der Partei leitet den Aufsichtsrat der Gesellschaft, die die Zeitung herausgibt, ein Kaczyński-Cousin war bis letzten Sommer Vorstandschef. Und am Albicla-Betreiber "Słowo Niezależne" ("Unabhängiges Wort") ist neben Sakiewicz selbst auch das Unternehmen "Srebrna" beteiligt, das einem Firmengeflecht um die PiS-Partei zugeordnet wird. Dennoch beteuert Sakiewicz, als Journalist Abstand zur Macht zu halten. Meinungsfreiheit sei ein Grundpfeiler der Demokratie.

Seit Trumps Twitter-Bann fallen auch führende PiS-Politiker durch ähnliche Bekenntnisse auf. Premier Mateusz Morawiecki war einer der ersten, die den Bann kritisierten - auf Twitter. Und PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński versprach, die Redefreiheit gegen Großkonzerne zu verteidigen. "Wir haben wachsende ökonomische und technische Möglichkeiten", sagte er dem TV-Sender wPolsce.pl. "Es geht nur um Entschlusskraft."

PiS-Chef Jaroslaw Kaczyński will die "Redefreiheit gegen Großkonzerne" verteidigenBild: Reuters/K. Pempel

Medienwissenschaftler Łukasz Szurmiński beunruhigen solche Äußerungen: "Wenn die Regierung um Redefreiheit kämpft, heißt das, dass sie diese einschränken will", glaubt er. "Setzt sie sich für Pluralismus in den Medien ein, will sie sie kontrollieren." Das zeige die Erfahrung der letzten Jahre. Sein Forscher-Kollege Wiesław Godzic hält es im DW-Gespräch für abwegig, ausgerechnet Trump zur Lichtgestalt einer Journalisten-Initiative zu machen.

Immerhin war sein Twitter-Bann mit dem von ihm inspirierten Sturm auf das Kapitol in Washington verbunden, bei dem Menschen starben. Desinformation ist derweil auch in Polen ein womöglich drängenderes Problem als "Zensur". Oxford-Forscher wiesen schon vor zwei Jahren anlässlich der Europawahlen darauf hin: in keinem EU-Land würden "Junk-News", also falsche oder grob irreführende Nachrichten, so stark verbreitet wie in Polen. Länder mit einer ohnehin besonders polarisierten Bevölkerung seien besonders anfällig für diese Art von Desinformation.

Per Reklamesteuer zum Erfolg?

Fake-Profile, die halbseidene Informationen verbreiteten, tauchten auch im Präsidentenwahlkampf auf allen Seiten des politischen Spektrums auf. Eher mäßig erfolgreich sind, gemessen an der Auflage, klassische PiS-nahe Medien wie "Gazeta Polska", und das, obwohl rechtskonservative Journalisten seit dem Umbau des öffentlich-rechtlichen TVP zum "nationalen" Sender dort als Experten im Studio ein- und ausgehen.

Auch hatte die PiS lange versprochen, Medien zu "repolonisieren", etwa durch Kapitalobergrenzen. Nachdem der staatlich kontrollierte Ölkonzern "Orlen" die Regionalzeitungsgruppe "Polska Press" einer deutschen Verlagsgruppe abkaufte, kam jetzt auch das grüne Licht vom Kartellamt dafür. Für PiS-Chef Kaczyński eine der "besten Nachrichten der letzten Jahre": Er fordert schon lange, dass die Medien des Landes "polnischer" werden müssten. Die Übernahme von Medien besonders durch "Deutsche" habe Polen Souveränität gekostet.

Medien-"Repolonisierung": der Mineralölkonzern "Orlen" hat Polska Press von der deutschen Verlagsgruppe Passau gekauftBild: Jaap Arriens/NurPhoto/picture alliance

Nun könnte die weltweite Kritik am Gebaren der Internet-Riesen der weiteren Medien-"Polonisierung" neuen Schub verleihen. Eine geplante Reklamesteuer soll besonders die großen Internet-Firmen treffen (wenn sie denn zahlen). Auch das "nationale" Fernsehen TVP und der Hörfunk, die als Sprachrohr der Regierung gelten, müssten zahlen, hätten aber gute Chancen, das Geld wiederzusehen, denn die Steuer soll auch in einen "Fonds zur Förderung der Kultur und des nationalen Erbes in den Medien” fließen.

Forscher Godzic befürchtet jedenfalls, dass das Vorhaben auf "zynische" Weise regierungsfreundliche Medien bevorzugen könnte. Węglarczyks Onet etwa würde die Steuer wohl Geld kosten: "Das Unverschämte daran ist, dass es Medien, die die Regierenden nicht mögen, zwingt, jene zu finanzieren, die von der Regierung bevorzugt werden”. Geld, das möglicherweise auch dem polnischen Gegen-Facebook Albicla zugute kommen könnte.

Magdalena Gwozdz-Pallokat Korrespondentin DW Polski, HA Programs for Europe, Warschau, Polen