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Kritik an deutschem Gedenkstein für polnische Nazi-Opfer

Jacek Lepiarz (Warschau)
18. Juni 2025

Seit Jahren ist ein Denkmal für die Opfer der Besetzung Polens durch Nazi-Deutschland in Berlin geplant. Jetzt erinnert immerhin ein provisorischer Gedenkstein an die Millionen Toten - und erregt heftige Kritik in Polen.

Ein großer, grauer Stein liegt auf einem Platz, davor ist eine Platte mit einer Inschrift in den Boden eingelassen, vor dem Stein liegen Blumengebinde mit schwarz-rot-goldenen und weiß-roten Bändern daran
Der Gedenkstein für die polnischen Opfer der Nazi-Herrschaft wurde am 16.06.2025 im Berliner Tiergarten eingeweihtBild: Wojciech Szymanski/DW

Auf der Wiese zwischen Bundeskanzleramt und Reichstagsgebäude in Berlin steht neuerdings ein knapp 30 Tonnen schwerer Findling. Der am Montag (16.06.2025) feierlich enthüllte Gedenkstein soll an fünf bis sechs Millionen Bürgerinnen und Bürger Polens erinnern, die im Zweiten Weltkrieg von den deutschen Besatzern in den Jahren 1939 bis 1945 ermordet wurden. An dieser Stelle im Tiergarten stand früher die Kroll-Oper, wo Hitler am 1. September 1939 den Überfall auf Polen verkündete.

Es ist eine provisorische Lösung, die auf eine zivilgesellschaftliche Initiative einiger deutscher Polen-Freunde zurückgeht, darunter Ex-Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth. Die Umsetzung des eigentlichen Projektes - des Deutsch-Polnischen Hauses, das neben einem Denkmal auch ein Dokumentationszentrum und eine Begegnungsstätte beheimaten soll - verzögert sich dagegen weiter.

Jaroslaw Kaczynski ist Vorsitzender der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS)Bild: Wojtek Radwanski/AFP/Getty Images

Doch wer in Berlin glaubte, Deutschlands Image durch den Gedenkstein nicht nur beim liberalen und proeuropäischen Teil der polnischen Gesellschaft, sondern auch in den rechtskonservativen Kreisen um den Chef der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS), Jaroslaw Kaczynski, aufzupolieren, wurde eines Besseren belehrt.

Die gut gemeinte Idee geriet in Polen - wie jedes deutsch-polnische Projekt - in den Strudel politischer Auseinandersetzung zwischen der Mitte-Links-Regierung unter Premier Donald Tusk und der nationalkonservativen Opposition. Misstrauen gegenüber Deutschland, dem Kaczynski Drang zur Hegemonie und Vorherrschaft vorwirft, gehört zu Fundamenten des Weltbildes der PiS.

Blumen statt Wiedergutmachung

"Ein absurdes Spektakel", schrieb entsprechend Ex-Regierungschef Mateusz Morawiecki auf X. "Statt echter Wiedergutmachung - Blumen unter einem Felsen", so der PiS-Politiker weiter. "Kein polnischer Politiker sollte vor einem Stein knien, bevor die Deutschen nicht vor der Wahrheit niederknien und für ihre Verbrechen Rechenschaft ablegen."

"Einerseits wollen die Deutschen nicht über Reparationen und Entschädigungen für den Zweiten Weltkrieg reden, andererseits zwingen sie uns, sich über einen Findling zu freuen. Das ist ein Beweis für die fehlende Sensibilität und Verständnis. Das tut weh", begründete der PiS-Abgeordnete Szymon Szynkowski vel Sek seine Ablehnung. Sein Kollege, der ehemalige Vize-Außenminister Pawel Jablonski, kritisierte den Stein als Ausdruck "verlogener deutscher Geschichtspolitik". Jede Anwesenheit polnischer Politiker bei der Enthüllung sei "Verrat der nationalen Interessen Polens".

"Nach 80 Jahren - ein Stein statt realer Wiedergutmachung. Ein unwürdiges Symbol angesichts des Ausmaßes polnischen Leids", schrieb Arkadiusz Mularczyk auf X. Als Vize-Außenminister koordinierte er in der PiS-Regierung die Bemühungen um Reparationen von Deutschland. Nach polnischen Schätzungen schuldet Deutschland Polen Reparationen in Höhe von 1,3 Billionen Euro.

Wladyslaw Teofil Bartoszewski, Vize-Außenminister der derzeitigen polnischen Regierung, verteidigte das Projekt dagegen: "Wir haben uns seit vielen Jahren um dieses Denkmal bemüht. Es ist gut, dass es entstehen wird. Zunächst kommt der Stein, dann kommt das Denkmal an einer sehr guten Stelle in Berlin. […] Es ist ein Meilenstein", so der Politiker der Regierungskoalition.

Shitstorm in den Sozialen Medien

In den Sozialen Medien in Polen läuft seit Tagen ein regelrechter Shitstorm gegen den Gedenkstein. Die Rede ist von einem "Stein der Schande", von "deutscher Frechheit" und "einem beschämenden Schauspiel". Auch gemäßigte User äußern Zweifel an dem guten Willen Deutschlands - und fragen, ob aus dem Projekt des Deutsch-Polnischen Hauses jemals etwas werden wird.

Ex-Außenminister Heiko Maß und die ehemaligen Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth und Wolfgang Thierse bei der Einweihung am 16.06.2025Bild: Christian Ditsch/epd/IMAGO

Auch nicht PiS-nahe Medien beurteilen den Gedenkstein skeptisch bis kritisch. "Die Deutschen verstehen die Polen nicht", schreibt etwa Estera Flieger in der Tageszeitung "Rzeczpospolita". "Es geht um die Augenhöhe - die deutsch-polnischen Beziehungen werden partnerschaftlich sein oder es wird gar keine Beziehungen geben", warnt die Publizistin. Polen sei nicht mehr eine "ärmere Schwester Deutschlands in Europa", betont Flieger - und wirft den Deutschen vor, dass sie diese Veränderung nicht zur Kenntnis genommen haben.

Initiative der deutschen Zivilgesellschaft

Tatsächlich erinnern die Bemühungen um einen würdigen Gedenkort für polnische Opfer des Zweiten Weltkriegs an eine unendliche Geschichte. Der ehemalige Auschwitz-Häftling Wladyslaw Bartoszewski, in den Jahren 2007 bis 2015 Beauftragter der damaligen polnischen Regierung für Kontakte mit Deutschland und Israel, forderte mehrmals die Einrichtung eines Gedenkortes für diejenigen seiner Landsleute, die Opfer des nazideutschen Terror-Regimes im besetzten Polen geworden waren.

Wladyslaw Bartoszewski war 2007 bis 2015 Beauftragter der damaligen polnischen Regierung für Kontakte mit Deutschland und IsraelBild: Julien Warnand/dpa/picture alliance

Weil seine Appelle auf taube Ohren stießen, ergriff 2017 die deutsche Zivilgesellschaft die Initiative. In einem Aufruf forderten unter anderem die ehemaligen Bundestagspräsidenten Rita Süssmuth und Wolfgang Thierse den Bundestag und die deutsche Öffentlichkeit auf, "in der Mitte Berlins" ein Denkmal zum Gedenken an die polnischen Opfer der Nazi-Herrschaft zu errichten.

"Elend lange Verhandlungen"

Nach langen Debatten - Kritiker warnten u.a. vor einer "Nationalisierung des Opferdiskurses" - beschloss das deutsche Parlament im Oktober 2020, einen "Ort der Erinnerung und Begegnung" zu schaffen. Von "elend langen Verhandlungen" schrieb in seinen Memoiren der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, der zu den prominentesten Befürwortern des Projektes gehörte.

Wolfgang Schäuble, damals Bundesinnenminister, im Februar 2009 in BerlinBild: Michael Sohn/AP/picture alliance

Nachdem dann im Juni 2024 endlich die Bundesregierung die Realisierung des Projektes beschlossen hatte, zerfiel die Ampelkoalition von Bundeskanzler Olaf Scholz - und alle deutsch-polnischen Projekte wurden aufs Eis gelegt. Im Koalitionsvertrag der neuen Regierung unter Bundeskanzler Friedrich Merz wird das Projekt Gedenkort erneut erwähnt. 

Um zum 80. Jahrestag des Kriegsendes irgendwas Konkretes in der Hand zu haben, ergriffen die Polen-Freunde um Süssmuth und Thierse abermals die Initiative: Der provisorische Gedenkstein soll nun immerhin zeigen, dass Deutschland die polnischen Kriegsopfer nicht vergessen hat.

Reparationsfrage zurück auf der Agenda

In seinen Memoiren gab Schäuble zu, dass er sich vom Polen-Denkmal "einen Impuls für die Entspannung des auch durch die unhaltbaren polnischen Reparationsforderungen belasteten bilateralen Verhältnisses" erhoffe. Diese Hoffnung scheint aber nicht in Erfüllung zu gehen.

Polens neuer Präsident Karol Nawrocki, der am 6. August 2025 sein Amt antreten wird, hatte bereits vor seiner Wahl angekündigt, dass er die Bemühungen um Kriegsreparationen fortsetzen wolle. "Die Frage der Reparationen ist - anders als Tusk, dieser Kammerdiener des deutschen Staates, denkt - nicht erledigt", sagte er in einem Zeitungsinterview. Er wolle "vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an" um Reparationen kämpfen.

Auch wenn der neue Bundestag den Realisierungsvorschlag des Deutsch-Polnischen Hauses bald absegnen sollte, werden bis zu seiner Entstehung noch einige Jahre vergehen. Ob die letzten Augenzeugen der deutschen Kriegsverbrechen in Polen im Zweiten Weltkrieg diesen Tag erleben, ist fraglich. Auch deshalb wird dieses Thema weiterhin die Politik und Medien in beiden Staaten beschäftigen. "Die Polen nerven, und sie nerven zurecht. Sie haben es verdient, von Deutschland ernst genommen zu werden", kommentierte der Chefredakteur der "Berliner Zeitung", Tomasz Kurianowicz.

Jacek Lepiarz Journalist in der polnischen Redaktion mit Schwerpunkt auf deutsch-polnischen Themen.