Polen: Deutsche Botschaft ohne Botschafter
25. August 2020Ende Juni ist die Amtszeit von Rolf Nikel abgelaufen, seit 2014 Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Polen. Bereits einen Monat früher hatte Berlin beim polnischen Außenministerium die Akkreditierung seines Nachfolgers Arndt Freytag von Loringhoven beantragt. Dass die Routineüberprüfung nicht etwa eine oder zwei Wochen, sondern Monate dauern würde, ahnte damals noch niemand.
Es sei völlig ungewöhnlich, ja, es sei zwischen Polen und Deutschland noch nie passiert, den neuen Botschafter so lange auf das förmliche Agrément des Gastgeberlandes warten zu lassen, hört man bei der deutschen Botschaft in Warschau. Von polnischer Seite kommt keine Erklärung. Die Erteilung einer offiziellen Zustimmung bedürfe keines Kommentars - mit dieser Routineantwort werden Journalistenanfragen beantwortet.
Der 63-jährige Arndt Freytag von Loringhoven, den Berlin als Botschafter in Warschau haben möchte, war früher Leiter der politischen Abteilung der deutschen Botschaft in Moskau, Botschafter in Tschechien, Vizepräsident des Bundesnachrichtendienstes und zuletzt Geheimdienstkoordinator der NATO. In polnisch-deutschen Diplomatenkreisen gilt er als "Schwergewicht", das zur "ersten Liga der deutschen Diplomatie" gehört. Sein neues Amt sollte er Anfang Juli zum Start der deutschen Präsidentschaft im EU-Rat antreten.
Kein Zusammenhalt zwischen Berlin und Warschau
Das Zögern des polnischen Außenministeriums scheint vielen unverständlich. Das belaste die deutsch-polnischen Beziehungen, sagt der ehemalige polnische Ex-Vizeaußenminister Pawel Kowal, derzeit Oppositionsabgeordneter im polnischen Parlament. Angesichts der angespannten Lage in Belarus, die gerade jetzt einen Zusammenhalt der EU-Länder erfordere, schade dies dem Image Polens in Europa.
"Damit zeigen wir der ganzen Welt, dass wir Probleme mit unserem nächsten Nachbar haben. Dabei liegt die Stärke der Diplomatie doch darin, Probleme zu lösen, statt sie zu schaffen", kommentiert Kowal. Deutschland sei der wichtigste politische und wirtschaftliche Partner Polens. Dershalb mache der "diplomatische Nasenstüber gegenüber dem neuen deutschen Botschafter" keinen Sinn: "Gerade jetzt gilt es zu zeigen, wo wir stehen, nämlich zusammen mit dem Westen". Ein reales Problem für Polen seien "autoritäre Regime im Osten" und nicht die Beziehungen zum EU-Nachbar Deutschland, unterstreicht der polnische Oppositionspolitiker.
Eine diplomatische Sackgasse
Empört ist auch Bartosz Wielinski, stellvertretender Chefredakteur der linksliberalen "Gazeta Wyborcza" und ehemaliger Deutschland-Korrespondent der Zeitung. "Die Kandidatur, die offiziell vorgestellt wurde, muss doch vorher zwischen den Regierungen der beiden Länder abgestimmt worden sein. Es gibt diese eklige Methode in der Diplomatie: jemanden im Vorzimmer lange warten zu lassen, um ihn zu demütigen. Das ist ein Affront gegenüber dem künftigen Botschafter", sagt der Publizist. Polens Regierung habe sich selbst in eine Sackgasse manövriert und brauche nun "die Geschichte mit dem Hitlerbunker, um das zu vertuschen". Damit meint Wielinski die zahlreichen Artikel der rechtsnationalen Medien über den Vaters des Botschafterkandidaten, Bernd Freytag von Loringhoven, der 1944 und 1945 als Adjutant in Hitlers Bunker diente.
Solche Texte erscheinen seit Juni regelmässig und haben offenbar ihr Ziel erreicht: Viele in Polen betrachten inzwischen den künftigen Botschafter lediglich als Sohn eines früheren Hitler-Vertrauten. Ignoriert wird dabei, dass Bernd Freytag von Loringhoven nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs keine Kriegsverbrechen nachgewiesen wurden und er bis 1973 als hoher Offizier in der Bundeswehr diente.
Auch die früheren Tätigkeiten von Arndt Freytag von Loringhoven im BND und als Geheimdienstkoordinator der NATO sind regierungsfreundlichen Medien in Polen ein Dorn im Auge. Auf dem Internetportal des Staatsfernsehens TVP kann man lesen, dass seine "Spionagetätigkeit" ein Grund für das lange Warten auf das Agrément des polnischen Außenministeriums sei. "Berlin schickt einen gut trainierten Spion nach Polen, um hier einen neuen Kulturkampf zu betreiben", sagt ein rechtsnationaler Publizist auf einem populären Youtubekanal. Er vergleicht die heutige Lage mit der deutschen Besatzung Polens im XIX. Jahrhundert, als Reichskanzler Otto von Bismarck mit seinem "Kulturkampf" die polnische Bevölkerung germanisieren wollte.
Ein "Medienkrieg"
Bartosz Wielinski sieht das alles als Folge der "antideutschen Rhetorik" der PiS im letzten Wahlkampf.
Kurz vor den Präsidentschaftswahlen im Juli 2020 griff selbst der polnische Präsident Andrzej Duda deutsche Medien an. Diesmal stand das Boulevardblatt "Fakt", das dem schweizerisch- deutschen Medienkonzern Ringier Axel Springer gehört, am Pranger. Nach einem Artikel im "Fakt", in dem die Begnadigung eines Pädophilen durch Präsident Duda kritisiert wird, sprach dieser von einem "deutschen Angriff in diesen Wahlen". Duda kritisierte auch namentlich den Warschau-Korrespondenten der Tageszeitung "Die Welt", Philipp Fritz. Dieser habe geschrieben, dass Dudas Herausforderer Rafał Trzaskowski der bessere Präsident wäre, weil er - anders als Duda - nicht auf deutschen Kriegsreparationszahlungen beharre. Tatsächlich hatte Fritz geschrieben, dass Trzaskowski Reparationsforderungen skeptisch gegenüberstehe.
Mitte August hat Premierminister Mateusz Morawiecki offiziell gegen einen Artikel über die Gräueltaten in den polnischen Gefangenenlagern im polnisch-sowjetischen Krieg 1920 protestiert. Der Artikel erschien in Newsweek Polska, ebenfalls im Besitz des Springer-Verlags.
"Angesichts dieses Medienkriegs kann sich die Ankunft des neuen Botschafters noch weiter verspäten", meint Bartosz Wielinski.