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PolitikEuropa

Polen drängt auf Corona-Hilfen der EU

31. Mai 2022

Polen erwartet von der EU die Freigabe von dringend benötigten Geldern. Doch reichen die polnischen Zugeständnisse im Konflikt um den Rechtsstaat aus? Experten haben Zweifel.

Die EU-Fahne und die polnische Flagge wehen vor dem Präsidentenpalast in Warschau
Die Fahnen der EU und Polens wehen vor dem Präsidentenpalast in WarschauBild: Bernd Riegert/DW

In der polnischen Hauptstadt Warschau wird der Besuch der Präsidentin der Europäischen Kommission am kommenden Donnerstag (2.6.2022) mit Spannung erwartet. Polens Regierung hofft, dass Ursula von der Leyen die Freigabe der für Polen bestimmten Corona-Hilfen aus dem EU-Topf verkündet.

Bereits vor einem Jahr hat Polen den nationalen Corona-Aufbauplan vorgelegt. Doch die Auszahlung der dafür benötigten EU-Mittel wurde wegen mehrerer Verstöße der nationalkonservativen Regierung unter der Partei PiS (Recht und Gerechtigkeit) gegen die Unabhängigkeit der Justiz, einem der EU-Grundwerte, bisher nicht bewilligt.

Wird am Donnerstag in Warschau erwartet: EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der LeyenBild: Olivier Hoslet/dpa/Pool EPA/AP/picture alliance

Die PiS ignoriert auch Urteile des Europäischen Gerichtshofs. Das vom Juli 2021 etwa forderte, die Arbeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts einzustellen, weil die politisch besetzte Kammer, die die Richter bestrafen und entlassen kann, als Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit gesehen wurde.

Geld gegen Rechtsstaatlichkeit

Für die Missachtung des Urteils wurde Polen mit Zwangsgeld von einer Million Euro pro Tag bestraft. Doch die Strafe wurde nicht gezahlt, inzwischen sind rund 200 Millionen Euro aufgelaufen. Im Oktober 2021 knüpfte Brüssel die Freigabe der Corona-Hilfen für Polen an die Erfüllung des EuGH-Urteils. Als Teil des europäischen Wiederaufbaufonds stehen Polen rund 76 Milliarden Euro zur Verfügung. Derzeit geht der Streit um 23,9 Milliarden Euro an Zuschüssen und 11,5 Milliarden Euro als Darlehen, die Warschau beantragt hat.

Polens Premierminister Mateusz Morawiecki hofft auf die Freigabe der EU-GelderBild: John Thys, Pool Photo/AP/picture alliance

Um die Auflagen zu erfüllen, wird dieser Tage innerhalb kürzester Zeit ein Gesetz zur Abschaffung der Disziplinarkammer durch das Parlament gepeitscht. Die untere Kammer, der Sejm, hat es bereits gebilligt. Premierminister Mateusz Morawiecki gibt sich zuversichtlich, was die baldige Auszahlung der EU-Mittel angeht. "Wir erhalten in dieser Hinsicht positive Signale von der Europäischen Kommission", sagte er am vergangenen Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Es sei "eine Frage von Monaten", dass die EU-Milliarden ins Land fließen würden.

Nur eine Taktik der PiS?

Jede Aussage aus Brüssel wird in Warschau heftig diskutiert. "Die Reform der Disziplinarordnung in Polen ist ein positiver Schritt", zitiert die polnische Presseagentur PAP den Sprecher der Europäischen Kommission, Christian Wigand, am vergangenen Montag (30.5.2022). Auch das ist für viele Polen ein Signal, dass das ersehnte EU-Geld endlich freigegeben wird.

Agnieszka Lada-Konefal sieht die polnischen Zugeständnisse im Rechtsstaatsstreit mit SkepsisBild: Grzegorz Litynski

Experten sind jedoch kritisch, sowohl in Bezug auf das neue polnische Gesetz als auch, was ein mögliches Einlenken der EU angeht. "Für die PiS ist es wichtig, eine Einigung mit Brüssel zu erzielen, um die Geldmittel zu erhalten. Das Gesetz zur Abschaffung der Disziplinarkammer ist ein Manöver, mit dem sie für einige kleine Zugeständnisse viel erreichen will", sagt Agnieszka Lada-Konefal, EU-Expertin und Vizechefin des Deutschen Polen-Instituts in Darmstadt, der DW.

Das Gesetz sei keineswegs ein Zeichen dafür, "dass sich die Sichtweise der PiS auf die Justiz ändert". Die Disziplinarkammer sei nur einer von zahlreichen Bausteinen der Justizreform der PiS. Lada-Konefal verweist auf andere schwerwiegende Beispiele wie die politische Zusammensetzung von anderen Richtergremien und das Urteil des polnischen Verfassungstribunals vom Oktober 2021, das dem nationalen Recht den Vorrang vor dem EU-Recht gibt.

Die Verantwortung der EU

Marek Prawda, ehemaliger Vertreter der EU-Kommission in Polen und Ex-Botschafter Polens in Berlin und Brüssel, hält es für sehr wahrscheinlich, dass Brüssel trotz Bedenken die Geldmittel für Polen bald freigeben wird. Das habe politische Gründe, die mit der Bedrohungslage und dem Krieg gegen die Ukraine zusammenhingen.

Der Soziologe und Diplomat Marek Prawda war Botschafter Polens in Deutschland und bei der EUBild: privat

Für die EU habe der Krieg "die Hierarchie der Dinge" verändert. "Angesichts der Tragödie, die wir erleben, ist die Rechtsstaatlichkeit genauso wichtig wie früher, wenn nicht sogar noch wichtiger", so Prawda im Gespräch mit der DW. Doch wegen der Folgen der Corona-Pandemie und der steigenden Preise sei die Gesellschaft "enorm belastet". Deshalb tue die EU-Kommission so, als ob sie glauben würde, dass Polen die Bedingungen erfüllt.

Prawda ist sicher, dass die Abschaffung der Disziplinarkammer "die Lage der Richter und der Rechtsstaatlichkeit in Polen keineswegs verbessert." Doch angesichts der Bedrohungslage aufgrund des Ukraine-Kriegs drücke Brüssel ein Auge zu. Der Diplomat spricht jedoch von einer großen Verantwortung, die die EU damit übernehme. Die Freigabe der EU-Mittel für Polen wäre "eine politisch motivierte Kreditentscheidung mit schwerwiegenden Folgen".

Kritik der Opposition

Polnische Oppositionspolitiker wie der liberale Warschauer Oberbürgermeister Rafal Trzaskowski, rufen die EU dazu auf, die Kriterien nicht aufzuweichen und der PiS-Regierung noch genauer auf die Finger zu schauen. "Ich habe mit Kommissionspräsidentin  Ursula von der Leyen gesprochen, und ich bin guter Dinge, dass die Europäische Kommission zusätzliche Bedingungen stellen wird und dass diese Bedingungen erfüllt werden müssen, damit das Geld nach Polen fließt", sagte Trzaskowski bei einer Pressekonferenz am vergangenen Samstag (28.5.2022). Für die Verzögerung der Auszahlung macht er die Regierung verantwortlich: "Es kann nicht sein, dass die Gesellschaft die Rechnung für das völlig unverantwortliche Handeln der PiS bezahlt", so der Oppositionelle.

Für Agnieszka Lada-Konefal ist klar, dass das EU-Geld die PiS im Wahlkampf vor den Parlamentswahlen 2023 begünstigen würde. Dank der EU-Gelder werde es Polens Regierungpartei leichter haben, ihre Wahlversprechen zu finanzieren, "sei es in Form von Investitionen oder in Form von direkten Mitteln, die die Regierung zuweisen kann."

Eine Zusage der EU würde die Regierung als ihren eigenen großen Erfolg feiern. "Der Wahlkampf in Polen ist bereits voll im Gange und jedes Ereignis, etwa der Besuch von Ursula von der Leyen in Warschau, wird bereits in diesem internen Spiel verwendet", so die Politologin.